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Otto Julius Bierbaum
Erlebte
Gedichte . 2. Auflage 1903
Bilder von Böcklin
An Wilhelm Weigand.
I.
Die Todteninsel.
Ganz einsam liegt im riesigen Ozean ein stiller Platz.
Steinriesen wart die Natur mitten in salzige Brandung,
Menschenhänd bauten Kammern hinein zur Ruhe der Todten. Auf dem starren
Gestein, dem kalte Winde von fernher kümmerliche Ackerkrume schenkten,
wächst kein Leben ausser dem Todtenbaum, der düster wilden Cypresse.
Sie winkt, sie winkt, die dunkelgrüne Flagge des
Todes.
Im grellrothen Mantel, den kein Wind bewegt, der todt
hinabfällt an dem starr gereckten Leibe, steuert ein Ferge den Leichenkahn
dem dunklen Ruhethale zu.
In weissem Linnen liegt die Leiche, lang gestreckt.
Vom Leben draussen dringt nur ein leiser
Plätscherschall matt ersterbender Wellen in diese grosse, heilige Stille.
II.
Pan im Schilf.
Der grosse Pan ist todt! Neue Götter kamen.
Trauere, heiteres Heidenthum. Der grosse Pan ist todt.
Aber nein, - er lebt. Er stahl sich in Einsamkeit,
müde der Herrschaft.
Sinnend sitzt er im raschelnden Schilfe und freut sich
der blitzenden Sonnenstrahlen, die ihn besuchen.
III.
Die Heimkehr des Schweizers.
Ein Schweizer Landsknecht kehrte heim von seinen
Fahrten in fremdem Solde.
Nun ist er dem Rauch seines Heerdes wieder nahe und
seinem Frieden.
Ehe er einkehrt in seine niedere Hütte hält
er letzte Rast am kleinen Wasserspiegel
eines Weihers.
Im stillen Wellenaufundniedergang des Wässerchens
sieht er sein ruhig gewordenes Herz und denkt der überwundenen grossen,
rauhen Stürme.
IV.
Frühling.
Der Thauwind küsste die schlafende Erde wach.
Sie hob die Fesseln de Winters mit keimenden Trieben,
und sie that an die Farbe der Hoffnung, das zarte Maiengrün.
Freiheit und Freude singen die Winde und neues Werden.
In Hoffnungssinnen hütet die junge Nymphe den wieder sprudelnden Quell.
Ein kleiner Vogel sitzt auf ihrer Linken und singt sein
erstes Frühlingslied.
Oben am Rande des Wiesenhügels tanzen Amoretten
einen bunten Ringelreihen: ihre Zeit ist gekommen. Nun dürfen sie
fröhlich sein. An der Quelle unten schöpft sich Frische Alter und
Jugend. Ein alter schmeerbäuchiger Faun spürt schon die erste Hitze
und pustet vom schnellen Lauf in der Lenzsonne. Der Junge mit dem fröhlich
bewegten kurzen Ziegenschweif, der roth gesunde, wurde nicht müde in der
Frühlingswärme. Ihm gab sie Durst
und Sehnsucht.
V.
Der Ritt des Todes.
Die Herbstnacht ächzt unter stossenden Winden, die
durch die Wipfel der Bäume rasen und schnelles Sterben künden.
Seltsam violette Farben geistern durch die Luft, Farben der Herbstzeitlose, die
des Todes Lieblingsblume ist.
Da kommt er geritten, der Allbeherrscher, der einzige
Unsterbliche, der kalte Tod.
Eines riesigen Rappen gewaltigen Leib umzwingen die
Knochenschenkel. Als zitternder Gruss des grossen Sterbens tanzen ihm entgegen
die raschelnden Blätter, ein wirrer Reigen ohne Fröhlichkeit.
Es wanken die Mauern; der Mörtel, der lange sie
hielt, zermorscht: Moder duftet, wo der Tod reitet.
Grellzuckendes Licht der Zerstörung glüht ihm
voran, dem grossen Verderber.
Otto
Julius Bierbaum . 1865 - 1910
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