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Otto Julius Bierbaum
Erlebte
Gedichte . 2. Auflage 1903
Drei Liebeslieder zur Harfe
I.
Die Welt ist reich, wie das Auge eines schönen Mädchens.
Tiefes Dunkel ist darin voll süsser und schauriger Räthsel, und die Seligkeit ist in ihr, die glitzernd über die Oberfläche des feuchten Augapfels huscht.
Und das Herz dieser Welt voller Keime und heisser Fluthen - wie das Herz eines verliebten Mädchens ist es, das unbewusst sich nach Umarmung sehnt und schmerzlich seligem Gebären.
Feuerstrahlender Gott, der Du die Wolkenvorhänge zerreissest, die Erde in ihrer Nacktheit zu schauen, heissblickender Mann, Held Helios, giesse Deine Lebensströme in den heiss wartenden Schoss der Erde!
II.
Tonnen stehen im dunklen Keller, breite, braune, bauchige Tonnen, und zwischen ihnen taumelt meine Jagd nach einem Sonnenstrahl, den ich im vorigen Sommer sah.
Sicher, in einer dieser Tonnen steckt er: Napoli oder Caro vigno, ihr goldenen, wer von euch hat ihn?
An einem See war's vor dem grossen Gebirge, und silbergraue Libellen flogen im raschelnden Röhricht des dürr grünen Schilfes. Aus den klingenden, kleinen Wellen tönte silbern die Frage:
"Wo lebt die Eine mit dem liebegütigen Herzen, das Deiner Sehnsucht vorbestimmt ist als weiches Bett?"
Und ein heisser, goldener Strahl kam von der grossen Sonne, der über die Wellen fuhr wie
kriegschlichtender Schwertstreich.
Seid mir Liebesorakel, ihr sonneschwangeren Tonnen!
III.
Da noch Blut in meinen Adern ist und Kraftspannen in meinen Muskeln, will ich lieben, - lieben wie ein seliger Gott und ein gesundes Thier.
Die faule Furcht der Menschheit blas ich hinweg mit meinem Odem voll rasender Sehnsucht.
Meine drängende Brust hebt sich nach den bebenden, vollen Brüsten unendlicher Hingabe.
Zwingen will ich den ausweichenden Blick sehnender Weichheit.
Her zu mir Alle, ihr Liebeskräftigen, ich will euch umarmen.
Wer aber liebesfeige ist, der gehe hin und ersäufe sich in veilchenfarbener Tinte.
Seinem Tode will ich ein Tanzlied singen.
Sela.
Otto
Julius Bierbaum . 1865 - 1910
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