Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Erlebte Gedichte
162 Bücher



Otto Julius Bierbaum
Erlebte Gedichte . 2. Auflage 1903



Epistel an einen Redakteur

(Widmungsgruss an Julius Schaumberger, als er die Zeitschrift "Münchner Kunst" gründete.)

Ich war ein rosarother Idealist,
(Freund Conrad sagt, sothane Leute hätten
Die Nasen bimmelblau), da fiel mir's ein:
Von Nutzen sei's und unerhört verdienstlich,
Wenn ich ein Kunstblatt setzte in die Welt.
"Ein Kunstblatt - hm, ein Kunstblatt, das will sagen:
Ein Blatt für Künstler, die gelobt sein wollen,
Jedoch zu abonniren nicht gesinnt sind.
Dass and're Leute in ein Kunstblatt gucken
Kommt meines Wissens überhaupt nicht vor." -
Der also sprach, das war ein Wohlerfahr'ner,
Und höchst fatal blieb haften mir der Spruch.
"Ja? Nein? Ja? Nein? Soll ich? Hm! Soll ich nicht?"
Der Teufel hol' das Grübeln, Ueberlegen,
Hier in der Stube frisst mich's sicher auf.
Hinaus! Fort, fort! Der Vögel Sang kurirt,
Der Bäume Rauschen und des Himmels Lächeln
Von allen Kunstblattgründungsfraglichkeiten.
Ich ging, ging in den Wald, den grünen Dom;
Da sangen wirklich wundersam die Vögel;
So süss, so frei, so hold naturalistisch
Und ohne Honorar, - o Kunstblatt! Kunstblatt!
Ich ging und ging. In grüne Schleier wob
Des Buchenwaldes Zauber weich mich ein,
Und wo ein alter, dicker Buchenstamm
Mir einen Knorrensitz im Moose bot,
Da setzt' ich mich und blickte in die grüne,
Unendlich reiche Baumwelt über mir,
In der ein Leben, Weben, Klingen, Regen,
Ein säuselnd Auf und Nieder, Hin und Her
Mich lustig mahnte an die Menschenwelt.

War ich nicht König Krokus auf dem Stamm,
Dem liebenswürdig seinen blonden Bart
Ein lieb' Waldweiblein, blond, blauäugig, kraut,
Der König Krokus, der zufried'ne, gute,
Die höchst fidele Bummelmajestät?
O wehe, nein, - ein Kunstblattgründer ich!....
Und richtig, über dieser Wahrheit schlief ich ein.

Da kam im Traum mir seltsamlich Gesicht.
Ein Ungethüm in breitem Wackelgange
Kam dröhnend her, - ein ungeheures Vieh,
An Gröss' ein Mammuth und an Scheusslichkeit
Ein Menschen fressend Baalsungethüm.
Aus Fleisch und Blut nicht war die Bestie,
Sie war geschraubt, geschweisst aus Eisenstücken,
Es war der Kopf ein Schiffskanonenthurm,
Mit tausend Schlünden, immer fort bewegt.
Wie glühende Riesenbomben leuchteten
Die rollenden Augen unter Stachelwimpern,
Die lange Speere waren; wie Pulverblitz
Erzuckt es grässlich in den Augenkugeln
Und stach hervor in schwefeliger Lohe.
Der Leib des Monstrums war wie ein Panzerschiff,
Von glänzend schwarzem Stahle, - starr gereckt
Erhoben klirrend sich in Wuth bisweilen
Vieltausend Bajonette, es trampelte
Das Unthier her auf Kruppkanonenläufen.
Entsetzlich war des Scheusals Schreiten! Rasseln
Und Aechzen klang vermischt und wüthend Fauchen.

Es trampelt dröhnend näher, - plötzlich klappt's
Mit grässlichem Gekrach das Riesenmaul auf.
O schauderhafter Rachen. Eine Flamme,
Von gelbem Schwefeldampf belegt, die Zunge;
Die Zähne fürchterliche Pyramiden
Von unzählbaren Menschenmordwerkzeugen,
Und wie Kanonendonner brüllend klang's:
"Bist du verrückt denn ganz, du Versemacher,
Dass du in MEINER Zeit mit Kunstblattplänen
Herumläufst, während ganz Germanien
Nur für Kanonen schwärmt und offenkundig
Von euren "Künsten" gar nichts wissen will?
Soll ICH denn augenblicks in Grund und Boden
Dich niedertrampeln, Ideologe du,
Erzrevoluzzer, unverschämtester?
Denn Majestätsbeleidigung gegen MICH,
Den Herrscher dieser Zeit, Militarismus,
Von Menschenwahnsinnsgnaden Gott und Herr
In Alt-Europien, Majestätsbeleidigung
Ist's, solcherlei Ideologenspinnweb
Zu hegen! Ich befehl dir: schmeiss es weg!"
"O Majestät," erwiderte ich darauf,
"Im Kopfe, nur im Kopf hab' ich das Zeug!"
"Im Kopf? Ha so! Dem überflüssigen Theil
Des Menschenleibes. Hm, ich sollte dir
Den Kopf wegfressen, - dann wär's schleunigst aus.
Doch ich bin ruhig. In Grossschilda wird
Kein Mensch an deinem Syrup lecken wollen.
Das Volk der Dichter und der Denker ist
Ein Volk von Korporälen heutigen Tag's,
Ein Stechschrittvolk, Paradetrampelvolk,
Ein Repetiergewehrlosschiessevolk,
Kurzum ein herrlich kunstverachtend Volk.
Mach was du willst, höchst unerfahrner Schwärmer,
Am besten ist's, du gehst in's Irrenhaus."

Kaum ausgebrüllt, verschwand das krasse Vieh,
Nur eine Pfütze blieb von Pulverschmand
Und ein Gestank von Sengen und Verwesung.

Mich aber weckte der brutale Traum,
Wahrhaft in Schweiss gebadet lag ich da,
Entsetzlich im Bewusstsein blieb das Bild,
Und tief im Herzen traurig ging ich heim.
Wahrhaftig, Recht, Recht hat das krasse Vieh.
Des neuen deutschen Reichs palästra ist
Das Drillfeld, wohlgeübte Waden sind
Bei weitem wichtiger uns als Hirn und Herz,
Und wer dagegen kämpft, gilt für verrückt.
So nahm ich denn zu Haus' den schönen Plan
Und warf ihn in die Ecke - requiescas
In pace, dummer, unmoderner Traum.
Vielleicht, vielleicht, in hundert Jahren vielleicht
Wird's klar einmal nach so viel Nebelwust,
Und überm letzten Schlachtfeld geht die Sonne,
Die gold'ne Friedenssonne auf der Kunst.
Jetzt ist's nicht Zeit für dich, du Menschentrösterin,
Denn jetzo sind wir wichtiger beschäftigt;
Wir lernen morden, morden auf Commando, -
Das Instruktionsbuch brauchen wir, sonst keins...
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Und siehe da, am nächsten Tage kam
Dein Blatt, mein Freund, so rosaroth wie einst
Mein Ideal, - könnt es mich Lügen strafen!
Du hast's gewagt! Führ' es denn wacker durch
Trotz aller christgermanischen Korporäle.
"Schönheit in Wahrheit" schriebst du dir als Kampfruf;
Die wahre Kunst, die tief das Herz bewegt,
Weil sie aus warmen Herzenstiefen dringt,
Willst du erstreiten helfen, - Glück zum Kampf!
Zwar, Philisteria wird schnöde grinsen
Und hinterm Masskrugwalle sitzen bleiben,
Im idealen Munde die Geselchten, -
Doch das lass dich nicht kümmern, lieber Freund.
Die wahre Kunst, herzechten Menschen bleibt
Sie doch das Heiligste, trotz aller Ungunst,
Und wer ihr dient uneigennützig - treu,
Der fühlt in sich, und mögen Millionen
Philisternasen hohnbereit sich rümpfen,
Doch Lohn und Freude. Bleib' dir selber treu
Und deinem Spruche "Schönheit in der Wahrheit"!
In diesem Zeichen wirst du sicher siegen.


  Otto Julius Bierbaum . 1865 - 1910






Gedicht: Epistel an einen Redakteur

Expressionisten
Dichter abc


Bierbaum
Erlebte Gedichte

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Epistel an einen Redakteur, Otto Julius Bierbaum