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Otto Julius Bierbaum
Erlebte
Gedichte . 2. Auflage 1903
Epistel
an Baron Detlev von Liliencron.
(Geschrieben im Rathskeller zu München.)
Mit flüchtig beflügelten Sohlen kam ich,
(Singen nicht so die trefflichsten Dichter?)
Schritt hinunter die dunklen Stufen,
Sauste hindurch zwischen achtundzwanzig
Wartenden, lachenden Kellnerinnen,
Schoss in die Ecke...- Nichts?!
Ha! und Hoh! Oh Uwe Boje
Tetje Detlev Friedrich Freiherr
Liliencron, zum Donnerwetter,
Sacradi! wo bist Du hin?!
Betty kam, die stimmendumpfe
Ursulinerin aus Augsburg,
Die zur Kellnerin geworden
In dem durstig schönen München,
Und sie that mit tiefem Ton kund:
"Der Baron ging fort mit Wüthen,
Stundenlang schrieb einen Brief er,
Wartewuth sass ihm im Auge,
Und an Sie war dieser Brief."
- - Ha! - -
(Siehst Du wohl, wie schön dies Ha! ist,
Dem Du ewige Feindschaft schwurst?)
Ha! drum nochmals, und ich setzte
Wie ein Lyriker, dem alle
Maigedichte rückgesandt sind,
Also wehmuthvoll mich nieder
Auf die Bank der dunklen Ecke,
Wo bei Porter und bei Ale
Du und ich so oft zusammen
Sitzen und der Welt vergessen,
Dieser dummen, dumpfen Welt,
Die nicht sieht des Tages Schöne,
Die nicht hört des Herzens Tiefe,
Die nicht fühlt des Weibes Wärme, -
Wenigstens nicht so, wie wir.
Ja, wie wir! Wie übermüthig
Bei dem braunen Half and Half
In den spitzig hohen Gläsern
Haben wir gefühlt mit Jauchzen,
Dass in uns, in uns die Freude,
Schönheit, Liebe, Wahrheit ist!
Hurrah hoch der quellende Jubel
Unserer blutstrom-rasenden Herzen,
Heilig und hoch die neue Schönheit,
Welche nur in der Wahrheit ist!
Und ich sehe Dich, freudeweit
Und doch ein bischen arg erfahren,
Mit den blauen Holstenaugen,
Die von gütiger Schönheit voll sind
Wie ein junger Maienmorgen,
Lachen, lachen still und gross.
Porter und Ale auch mir bestell' ich.
Betty bringts, die runden Arme
Kneif' ich ihr, und wie ein Mäuschen
Piepst sie leise, die Kokette.
Zur Entschädigung bekommt sie
Einen säftedrallen Pfirsich.
Mit schneeweissen Zähnen beisst sie
In das säurekühle Fleisch.
Ja, und nun bei Porter und Ale
Muss ich mich verdefendieren,
Dass zu spät ich heute kam.
Meine Absicht selbstverständlich
War erhaben über allen
Zweifel, und ich ging zur rechten
Stunde fort und durch das "Gries",
Wo die kleinen Waschermadeln
An den Bügelbrettern stehen,
Wo Jeanette ihre schwarzen
Augen und sonst noch Hübsches zeigt.
Am Dianabad vorüber
(Am Dianabad, Du weisst schon)
In den englischen Garten dann.
Langsam ging ich durch die Gänge,
Pärchen huschten mir vorüber,
Und im Geiste meinen Segen
Gab ich ihrem heissen Trieb.
Stille war's, so friedeheilig,
Dass ich selbst gesegnet ward
Von des Herzens schwellender Wärme.
Und mich trieb es, zu den weissen
Tempelbogen hinaufzusteigen,
Die "Monopteros" im Grünen
Wie ein Traum aus Aphroditens
Lüstefrohen Zeiten spannt.
Da geschah, was lange mich bannte:
Blutgerinnsel der Abendröthe
Troff am Himmel, und im Schauen
Schrieb ich kunstlos Worte der Wollust:
Ein Meer von rothem, wellendem Gold;
Schwarze Schatten schleichen in Streifen
Scheu dazwischen.
Unendlich breit
Dehnt sich der flammengüssige Sterbezauber der Sonne.
Wie lebendiges Filigran
Schwankt und wispert leise davor
Schmächtiger Wipfel Blättergewirr.
Da haucht ihre Nebel die Nacht.
Mit stahlgrauem Flor verjagt sie das blutrothe Leben.
Leise zerstirbt in veilchenfarbenen Duft das große Triumphroth,
Sinkt, sinkt, sinkt
In die Nacht.
Nun schwebt,
Eine trauernde Herrscherin,
Auf kalten Winden,
Lastenden Flügelschlags,
Lässig,
Schwer
Die Nacht
Herein.
Lange noch hielt mich diese tiefe,
Glutengewaltige Schönheitsbrunst,
Und zu langsam drum begab ich
Mich zum Porter- und Aleziele,
Bis ich schliesslich Dich verlor.
Einsam sitz ich nun und schreibe.
Gläserklirren, Stimmenrauschen,
Unterirdisches Pochen und Pusten
Der Maschine, die Dich immer
An die amerikanische Reise
Seltsam mahnt, umklingt mich wirr.
Flasche um Flasche bringt mir Betty,
Glas um Glas im Schreiben trink ich,
Trink ich Dir und unserer Freude
An der erdruchkräftigen Wahrheit.
Hurrah hoch, mein Meister Detlev!
Dein Spruch tönt mir laut im Herzen:
"Blutlebendig, lebenbeglückt,
Leben, Hurrah!"
Otto
Julius Bierbaum . 1865 - 1910
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