Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Erlebte Gedichte
162 Bücher



Otto Julius Bierbaum
Erlebte Gedichte . 2. Auflage 1903



Fin de siécle

Zwei Phantasiestücke.
An Hermann Bahr.

I.
Traum.

    Ich sah im Traume eine Abendröthe, die war wie wellendes, dampfendes Blut, tief dunkel.
    Faul, breit, quoll sie molkig, schwappend am leeren Horizonte lang gedehnt.
    Schwer lag sie: leuchtender Schlamm.
    War das die Sonne, die da hinten sank?
    Mir schien, und ich glaubt' es im Traum, glaubt' es mit krampfendem Lachen: ein himmlischer Riese, irgend einer der Wandler da oben, die sich Wolkenfetzen um die Schenkel schlagen, warf eine faulige Blutorange ins Meer; die klatscht stinkend auseinander.
    Bravo, haariger Lümmel!
    Aber da!?...
    Ein goldiges Zittern zuckt durch die Röthe, zerfasert die molkige Masse in Helle. Phosphorleuchten, perlmutterig Blinken, jagende, tanzende, stechende Lichter.
    Himmel, Himmel! Die Sonne, die Sonne! Die Sonne ist verrückt geworden, sie speit ihr Sternengedärm in die Nacht...
    Eine riesige Faust droht und greift mit knolligen Fingern nach dem zappelnden Ball.
    Da ward es dunkel, und wie silberne Fische schwammen Millionen Kometen durch das Nachtmeer.


II.
Spuk.

    Herbstabend. Dämmerung friedet in die grosse Stadt.
    Wie der Athem eines Schwindsüchtigen, leise, zag (wird er gleich stocken?) weht der Athem der Stadt.
    Zwischen Wiesen und Wäldern, draussen am See, wo die grossen Berge aus duftigen Schleiern schau'n, draussen, ich weiss, liegt über den dampfenden Nebeln müder Modergeruch: ein dickes Parfüm, süss und berauschend, der Busenschweissruch unserer Lieben Frau Natur.
    Hier, zwischen den Steinen, ist Alles kalt, ruchlos, wach.
    Mich fröstelt.
    Die Strahlen des Mondes stossen mir weh ins Auge.
    Ueber den breiten Platz, herauftauchend aus dem buschigen Dunkel eines Bosketts, zittert im Zickzack ein schlottriger Kerl auf mich zu.
    Ist denn das ein Mensch?
    Er schielt mich von unten an.
    Kaltes Mondlicht silbert aus seinem Auge speerspitzig.
    Mach', dass du wegkommst, zuckendes Räthsel
    Da lacht er. Wie schrilles Gläserreiben klingt sein Lachen. Wie scharfe Glassplitter fährt's mir durch die Nerven.
    Ein Schnitt im Rückgrat:
    Herz und Hirn vergeht mir, die grünen Augen des Mannes saugen mich auf.
    Ich sinke in eine schreckliche Seele voll spiegelnder Klarheit.
    Durch eine fremde Seele blick' ich in die Welt.
    Ich bin nicht mehr ich.
    In einem krystallenen Prisma bin ich eine Fläche:
    Ein Auge, das in fremde Herzen schaut, -
    Ein Auge, das fremde Gedanken sieht, -
    Ein Auge, das dumpf schlafender Gefühle Werden erblickt - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Da drüben geht einer und blickt zu Boden. Hm, den sollt' ich kennen...
    Ich seh' in sein Hirn.
    Pfui, was da für Würmer wimmeln!
    Gifttriefende Mäuler schnappen einander auf.
    Keine Ruh', keine Ruh'! Immer schlingt schleimig phosphorescierendes Gedärm durcheinander.
    Bürschchen: Du bist auch einer von den Sterbenden.
    Mit Deinen Sinnen willst Du Dich in die Erde krampfen und mit Deinen Gedanken in die Ewigkeit klemmen. Alle Weisheit der Welt ist Dir ein hohler Zahn, in dem Du stocherst, und das thut Dir weh, Du armes Geschöpfchen.
    Möchtest resolut leben und zerrst an Deinen Nervensträngen, wie an den vergriffenen Saiten einer alten Harfe und schindest Dich selber zu Tode aus Lust zum Leben.
    Lass 'mal seh'n:
    Lagst eben zu Hause und schriebst Verse, Verse von seligmachenden Augen, und Dein Herz schwoll in Höhe und Heiligkeit.
    Langtest in einen Lorbeerbusch nach einem dunkelgrünen Kranze, durch den die Sonne bronzegolden schien.
    Oh, da oben!
    Ja, ja, Du warst in einem Himmel Deines Herzens, hoch, hoch.
    Aber nicht lange, Du armes Thier. Nicht lange.
    War es nicht ein Riss, der plötzlich durch Hirn und Herz Dir fuhr?
    Stieg aus dem lebenrauschenden Meere Deines Blutes nicht ein dicker Schlamm drängend empor?
    Und aus Deinem Himmel fielst Du unendlich tief, ja unendlich: bis dahin, wo Deine Füsse steh'n.
    Deine Verse schienen Dir geschwätzige, goldpapierene Lügen. Ekel packte Dich an dem ewigen Hämmern des Herzens, an dem ewigen Hasten des Hirns.
    Muthlos, ruhelos liefst Du fort.
    Im Menschenhaufen liefst Du, schobst in der Heerde. Da kroch Dir die Wollust durch den Leib und kitzelte Dein Auge; aber nicht die Wollust, die selig macht, nicht die schöne, kräftige, speerwerfende Göttin mit dem blauen Blitzeblick, mit dem brustanpressenden, vollen Arm, - nein: die schielende, zielschwache Wollust, die sich mit Gedanken balgt, die sich selbst verachtet und sich selber tödten will aus Ekel ihres Seins.
    Ein hübsches Mädel wartet auf Dich hinter Blumentöpfen im kleinen Erker. Sie wartet mit einem warmen Herzen, das nur Dir gehört, mit einem warm lebendigen Leibe, der nur zu Dir sich drängt.
    Nach Rosen riechts in ihrer stillen Stube, in der der Frieden wohnt, und die Sonne stäubt Gold durch ihre Fenster.
    Ihre kleine, frühlingsjunge, heisse Brust bebt nach Dir!
    Und Deine Gier denkt nicht an sie.
    Die hässlichste Hure von der Strasse nahmst Du, alt, fett, schmutzig.
    In ihrer ekelhaften Kammer, darin das Elend hockt und das Laster lungert, wo die staubverhangene Spinnewebe triefenden Thierthums über alle Ecken hängt, in dem stinkenden Winkel schmutzigster Verkommenheit hast Du Deine Wollust gemordet.
    Hattest keinen Ekel an dem fetten Leibe, sahest lange auf die rothblauen Gruben, die das schweissschmierige Corsett hineingegraben, sahest auf die hängenden, leeren, kalten Brüste und sahest in die erloschenen, modergrauen Augen tief mit schauernder, stumpf bebender Wehmuth.
    Kein Wort kam von Deinen Lippen, aber jeder Gedanke stiess Dir ein Messer ins Herz.
    Selbstqual war deine Wollust...
    Nun läufst Du herum mit gesenktem Kopf, und gellende Verse durchrasen Dein Herz, und Sehnsucht drängt Dich zu der Süssen hinter den Blumentöpfen.
    Aber schüttelnd immer wieder erhebt im Sehnsuchtrasen, erhebt im Geranke der kämpfenden Verse die alte Hure ihren Kopf, und Geifer fliesst von ihren Lippen.
    Du, mein Bürschchen, nimmer wirst Du die Hässlichkeit los.
    Euch Sterbende treibt's in den stinkenden Staub.
    Euer Herz heult hinauf in den Himmel, aber ihr müsst hinunter, müsst, müsst!

    Da fiel eine feuchte Rose auf meine Stirne, und in mein Herz fiel ein tiefer, treuer Ton.
    Fort war ich, weit weg aus der steinernen Stadt, in der die Schwindsucht athmet.
    Auf einer abendwindumrauschten Altane stand ich im Försterhause am See.
    Oben herunter vom blumentopfumrahmten Fenster sank die Rose.
    Und mein Herz hob sich in das Rosenland der Liebe.


  Otto Julius Bierbaum . 1865 - 1910






Gedicht: Fin de siécle

Expressionisten
Dichter abc


Bierbaum
Erlebte Gedichte

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Fin de siécle, Otto Julius Bierbaum