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Otto Julius Bierbaum
Erlebte
Gedichte . 2. Auflage 1903
Gottesdienst
(Meinem lieben Hanns von Gumppenberg zur
Erinnerung an Dachau im Mai 1891.)
Auf steiler Höhe stand ich schauend.
Mein Auge trank in tiefen, grossen Zügen die
Schönheit. Weit in graue, webende Fernen schweifte der Blick auf
fröhlichen Fittichen, holte die chimmernde Schönheit mir, bettete
tief sie ins Herz mir ein.
Rothes Moor in schmalen Strichen, lilafarbener Sammt
lockerer Frühlingsacker weich
dazwischen gebreitet; junges, lachendes Wiesengrün wellig
hineingeschlungen: Freudebanner der jubelnden Hoffnung in des Keimdrangs
bräutlich leuchtender, lustiger Farbe. Flüssig glitzerbewegtes Silber
hurtig eilenden Wassers blinkt in weiten Windungen bogengeschlungen: Wie ich
dich liebe mit jauchzender Seele, oh du frische, rauschende, fröhliche,
tummelnde Freiheit! Grünbehauchte Weiherspiegel sinnen tiefen, stillen
Traum mitten in der übermütigen Farbenheiterkeit. Dunkle, trotzige
Wäldermassen, braun, breit, brüten mächtigen Ernst und das
dunkle Geheimniss wipfelumrauschter Einsamkeit. Zwischenhinein hellrote
Dächer, bläulich wirbelnder Rauch daraus, blitzende Fenster von
Menschenhäusern leuchten wie lachende Augen.
Aber weit, weit drüber hinweg, weit, in duftiger
blauender Ferne, weit, oh weit über dem Kleingespiel, starr, gewaltig, mit
rissigen Schroffen, in Schnee und Eis krystallen gehüllt, ragen die Alpen.
Stille, Stille über dem Riesenrund. Ueber mir hoch
in den Lüften nur schreit ein Falke, langsam kreisend durch das tiefe
Lüfteblau.
Stille, Stille.... die schweigende Schönheit
athmet leise, voll. Da hebt aus der Tiefe der kleinen Stadt empor sich ein
Singen, hell und schlicht:
"Der Mai ist gekommen".... von Kinderlippen.
In enger Stube sitzen die Kleinen. Ich sehe im Geiste
die frischen rothen Mäulerchen sich gleichmässig öffnen, sehe
den Lehrer die Fiedel streichen, sehe die lustig mitsingenden Augen, -
Kindheit, Kindheit, fröhliche, frische, singende Unschuld!
In die Ferne noch einen Blick, noch einen Blick
über die Schönheit hin, über das Farbenwechselspiel lebender,
athmender, wunderreicher Schönheit.
Und ich folge dem Kindergesang, der durch das
schönheitstrunkene Herz mir wie ein Frühlingsdranghauch weht.
Hinunter steig ich durch Gassengewinkel, immer den langausklingenden Tönen
lauschend nach, gefangen, gezogen.... Da verscheidet der Sang. Vor einem
grossen, grauen Hause steh ich still. Durch offene Thore weht von Weihrauch
kühl mildharziger Duft. In die Kirche tret' ich...
Da starb meiner Schönheit Bild.
Hässliches, freches Bunt an den Wänden,
grausam thörichter Spott mit den Leiden eines gewaltigen,
liebedurchloderten, göttlichen Menschen. Kniende Weiber, mit dumpfen,
blöden, ängstlichen Zügen, murmeln Gebete. Klappernd gleitet
durch die harten, gekrümmten Finger die abgegriffene Perlenschnur des
knöchernen Rosenkranzes. Ein dickes Priestergesicht aus Speckstein neigt
sich und nickt und wackelt und wendet sich vorn am Altare.
Eine tiefe, schneidende Bitterniss grub ätzend
sich in mein Herz. Was der Natur hold heilige Schönheit mir geschenkt,
verdarb vor dem armen Menschenkram, vor dem Menschenbettelvolk, das sich vor
fremdem Leid in den Staub winselnd wirft, statt freudig hinauf, jauchzend,
freudig mit vollem Herzschlag, hoch hinauf sich zu heben zu seliger, lebender
Schönheit.
Otto
Julius Bierbaum . 1865 - 1910
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