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Otto Julius Bierbaum
Erlebte
Gedichte . 2. Auflage 1903
Metamorphosen
Winterkrank war meine Seele, und sie kroch wie eine faule Kröte zwischen kalten Steinen. An den leeren Stunden klebte sie wie eine müde Fliege am angelaufenen, undurchsichtigen Fensterglas.
Sonst war meine Seele ein Schmetterling, ein leichter, feiner, blüthenverliebter Schmetterling, der sich im Sonnenscheine von weichen Winden gerne tragen liess, wie ein Blumenblatt; und er steckte sein Saugrüsselchen gerne in alle Süssigkeit, und er berauschte sich gerne an Tausendblumengeist, und im offenen, samenstaubduftigen Schosse üppiger, buttergelber Rosen schlief er gerne, der sorgenlose, leichtsinnige, frei schwebende Schmetterling meiner Seele.
Weisst du noch, meine Seele, wie du zum letztenmale Schmetterling warst?
Das war ein heller, herber Tag, hell wie ein braunes Mädchenauge, in dem der Spott lacht: "Liebe, - was ist denn das?"
Solch' ein Tag war's: Herbstbeginn.
Da flogst du, meine leichtgläubige Seele, durch die kalte Helligkeit und suchtest Blüthen; aber fallende Raschelblätter, niederzitternd in zagender Schwäche, störten deinen Flug, und du wurdest verzagt und frorst in dieser leeren Helle.
Da wurdest du ein kriechendes Thier, meine Seele, und du hast dich verkrochen vor dem lieblosen Winter und dumpf geschlafen.
Ohne Seele, ohne Liebe, ohne Rausch und Taumel ging ich durch diesen Winter, ein verdrossener Krüppel, und sah ich die Sonne, so fragte mein Auge: "Was soll diese blinde, angelaufene Scheibe?"
Ein einziges, grosses Elend war mir dieser Winter.
Da, mitten in der Nacht, gestern, wachte meine Seele auf, und ich fühlte es deutlich: sie hob Flügel wieder, meine Seele, und sie ist wieder Schmetterling.
Und ich weiss: Zwei blaue, leuchtende Blumen sucht sie, und nie noch kostete sie solche Süssigkeit, wie in diesen beiden blauen Blumen ist.
Otto
Julius Bierbaum . 1865 - 1910
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