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Otto Julius Bierbaum
Erlebte
Gedichte . 2. Auflage 1903
Rabenflug
Mattheller Wintertag. Wie goldene Bronce
Liegt auf dem Schnee der Sonne schwacher Schein.
Das Leben schläft in träumender Agonie.
War Frühling einst? In dieser grauen Luft
Hat farbiges Falterschwingenspiel geweht
Und Blumendüften? Wo das kalte Weiss
Starr liegt und eben, wogte Maiengrün,
Von buntem Blumensternenschmelz durchflockt?
Wie ist es still geworden, todesahnungsstill ..
Der Park ist offen. Niemand trat durchs Thor.
So einsam ist's, als wär's die Todteninsel.
Die Marmorgötter auf den hohen Sockeln,
Von Schnee behaubt, stehn da wie Gräbermale;
Die Tannallee, schnurgrad hinausgezogen
Vom weissen Schloss bis an die Mauerthürme,
Ist eine schwarze, steife Leichengarde,
In Reih' und Glied zum Trauern kommandirt.
Von jedem Schritte knistert, wie in Schmerz, der Schnee
Mein Hauch dampft aus in grauen Nebelwölkchen.
Bin ich allein das Leben in dem Tod?
Mein warmes Herz, du nimmer müder Quell
Voll rothen, heissen Lebensweines, ströme
Die Purpurwogen voller Liebe aus,
Giess aus durch meinen Leib die Fluth der Liebe,
Denn leben will ich, heiss in Liebe leben!
Wo ist die Bank, da die Syringentrauben
Violenblau aus dunklem Laube winkten?
Im hellen Lindgezweig, das drüber dachte,
Barg sich ein Finkenpaar im kleinen Nest,
Ein Marmorfaun auf rothem Porphyrsitze
Liess sich die Liebe einer kleinen Nymphe,
Die eng sich schmiegte seinem feisten Leib,
Mit Grinsen wohlthun ... Suchend geh' ich schneller
Und finde meine Laube. - Armer Faun!
Die kalte Flockenmütze sitzt ihm schief,
Sein armes Nymphchen ist ihm schier verdeckt,
Ihr Schmiegen sieht mir gar nicht mehr wie Liebe,
Ach sieht nur noch wie bittres Frieren aus.
Das Finkenpaar? Ein alter Rabe sitzt
Im krummen Knorrgeäst der kahlen Linde
Und presst die Flügel an den kalten Balg.
Du schwarzer Leichenbitter, kannst du sagen,
Wo jetzt die Liebe weilt? Er hebt die Flügel,
Und krächzend, schwanken Fluges, schwebt er fort
Und fliegt zur Stadt. Schnell bin ich nachgegangen
Der Richtung seines Flug's. Und sollt' man's glauben?
Ich fand auf dieses alten Raben Weg
Ein kleines Haus, darin die Liebe wohnt.
Otto
Julius Bierbaum . 1865 - 1910
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