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Otto Julius Bierbaum
Erlebte
Gedichte . 2. Auflage 1903
Sonntagmorgen
(An Gabriel Max in dankbarer
Verehrung.)
Durch den breiten Fensterbogen
Blick' ich hinaus in stürmischen Frühling.
Grobgraue Wolken in dicken Flocken
Schieben sich drängend über das bleiige
Blau des Himmels, schwarze, geballte
Wolkenfäuste drohend voran.
Unten der Sturm faucht in das junge Grün
Wie eine gierige Löwenkatze,
Zaust die buschigen Wipfel, rauft,
Zerrt in den zitternden Locken des Laubs.
Steinern starr, spitzig schlank,
Ragt im grünen Sturmgeschwank,
Schnörkelblütig, rankenumklettert,
Keck in die Höh' zu den jagenden Wolken,
Hochaufreckend ein goldenes Kreuz,
Der gothische Thurm.
Und es klingt durch den Sturm
Vom Thurm herab,
Dunkeltönig, wellig, breit,
Dumpf, ernst, tief
Kirchengeläute:
"Kommt - kommt, kommt - kommt,
Gott - ruft, Gott - ruft, -
Kommt...!"
Der Sturm stösst weiter, die Glocke verklingt,
Die Wolkenfäuste spreizen die schwarzen,
Knolligen Finger: Der Regen träuft.
Da schweigt der Sturm.
Ein Nebelgespinnst, eintönig grau,
Schwankt vor dem Fenster.
Leises Rieselrauschen flirrt,
Frische Düfte athmenden Lebens
Kühlen herein.
Und ferne, ferne, über dem Mosaik
Des langen Kirchendaches (ein Messgewand,
Steif golden hangend von Priesterschultern)
Thut lachend ein blaues Himmelsauge
Sich heiter auf.
Fröhlichen Lichtes ein kleines, blaues
Flämmlein, blinzelt es liebenswürdig
Und ein wenig malitiös
Ueber das protzige, fromme Dach,
Lacht und leuchtet, lacht und leuchtet,
Und wird grösser im Lachen und Leuchten,
Und unermesslich gross
- Gottes Auge! -,
Wie die dumpfen Kirchenglocken
Heimwärts bimmeln ihre Heerde:
"Geht - geht, geht - geht!
Fromm - fromm, fromm - fromm,
fromm....."
Heiter milde lacht das grosse,
Blaue Gottesauge.
Otto
Julius Bierbaum . 1865 - 1910
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