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Otto Julius Bierbaum
Erlebte
Gedichte . 2. Auflage 1903
Thränen
Der Regen träuft,
Die Erde säuft
In vollen Zügen die stürzenden Fluthen;
Tief dunkel die Nacht.
Ich gehe allein,
Ich lausche dem Rauschen
Des fallenden Regens,
Ich höre den tiefen Athemzug
Des Weltenganges ...
Mein Herz ist weh
In dieser dunklen Nacht.
Ich komme von Freunden,
Die nach mir stiessen
Mit scharfen Zungen,
Die mich beleidigten,
Weil sie ein Lächeln logen,
Ein laues Lippenlächeln, indess ihr Herz
Kalt war wie dieser Regen in der Nacht. -
Kalt von den wipfelrauschenden Bäumen fällt
Mir Tropfenschwere ins Gesicht,
So hart und kalt, wie mir ins Herz
Die lügenharten Lächelworte fielen ...
Und tiefe, tiefe Sehnsucht schwillt,
Und Thränen mischen sich dem kalten Nass,
Heisse Thränen - - - -
Es war ein wetterdrohender Abend, schwül und schwer,
In meinem Herzen brodelte Begierde,
Mein heisser Blick grub tief sich in zwei braune,
Furchtsame, liebe, reine Augen.
Sie baten, flehten, beteten um Schonung,
Ich aber riss das flehende Weib zu mir
Und raste wild an ihrem wehrenden Leibe
Und wüthete mit Keuchen um den Raub
Des heilig Innigsten.
Viehisch grausam
Trat ich das reine, klare Bild zu Boden,
Das sie von mir im glaubenden Herzen barg ...
Mein Stöhnen starb vor ihrem schweren Schweigen,
Vor ihrem Wehren wandte sich mein Wüthen,
Ich liess von ihr mit hartem Groll
Und warf mich wild aufs Lager.
Tiefes, spinnewebenes Dunkel kroch ins Zimmer,
Keinen Athemzug von ihr vernahm ich
Und lag wie todt.
Da neigte sie zu mir ihr schönes Haupt,
Und Thränen fielen von den milden Augen
Und thauten nieder mir zur heissen Stirne
Und wuschen weg die wilde Wuth,
Das heilige Taufnass ihrer grossen Liebe. - - - -
Wenn mich die Welt zum Weinen zwingt,
Gedenk ich deiner Thränen, Heilige,
Und scheuche fort die schmerzenlösenden.
Ich bin nicht werth,
Zu weinen.
Otto
Julius Bierbaum . 1865 - 1910
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