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Otto Julius Bierbaum
Erlebte
Gedichte . 2. Auflage 1903
Traum im Walde
Ein lichter, grüner Schleier über mir, und um mich her ein lichter grüner Schleier ... Es singt und klingt aus weiter, weiter Ferne Musik, vergehend, weich ... Durch die Maschen des Schleiers flirrt und blinkt ein goldiger Schein. Der malt sich in Kringeln, in tanzenden huschenden, bebenden Tupfen hell aufs dunkelgrüne Moos. -
Was singt das ferne, ferne Lied ...? Lauschen will ich ... Holde, weiche Frauenstimme, leise, leise ... Wiegenliedsang ... Schlage die Augen auf, glückliches Kind; siehe liebreich schimmern zwei gütige Sterne der wachenden Liebe hernieder, schlafe, schlafe du glückliches Kind, umsungen vom Liede der Mutterliebe ... Wehend theilt sich der grüne Schleier: wie eine Wolke umhüllt er ein Weib. Das naht mit schwebend langsamem Schritt. - Bist du das Glück, Weib, bist du die Liebe? ... Selige Milde strömt aus den blauen, himmlisch gütigen Augen mir lösend ins Herz ... Bist du die Liebe, Weib? ... Wie es klingt und duftet ... Was hebt mich empor? Ein Quillen und Schwellen in mir: süsses Singen, ferne, nahe; Geigen schwirren, lang aussäuselnd; Blüthen schaukeln herab durch warme, wogende Düfte, - ah, der Athem der Frau mir nahe. Ihre Blicke strömen wie heisse Fluthen glühend mir ins Herz, - ein Kuss auf meinen bebenden Lippen ... Bist du die Liebe, Weib?
Da klingt's wie Wiegenliedsang so weich, beruhigend, seliger Wehmuth voll von den Lippen der Frau: "Vergehe im Traum, schlaf ein im Tod, unruhiges Kind: schlafe, schlafe, mein Kind im Tod, siehe die Liebe lebt."
Otto
Julius Bierbaum . 1865 - 1910
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