162 Bücher
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Georg Busse-Palma
Die
singende Sünde . 1. Auflage 1905
Des Lebens Bücher
Des Lebens Bücher hält das Schenkelpaar
Breitbrüst'ger Sphinxe brünstig fest umfangen.
Erst mit den Schenkeln öffnen sich die Spangen
Und brauner Blätter krause Runenschar,
Die nie enträtselt menschliches Bemühn,
Starrt uns entgegen zwischen heißen Knien.
Nur das erkennt der Blick, der tief umtrübt
Und wirr vom Dunst der geilgespreizten Hüften:
Gesetz der Zeugung ist der Kern der Schriften,
Und Menschen zeuge, wer die Menschheit liebt!
Erhaltung heißt der Fürst, der es gebot,
Und mit den Zähnen knirscht sein Erbfeind Tod.
Der Römerheld, der in den Abgrund sprang,
Für spätres Blühn die junge Stadt zu retten,
Tat nur bewußt, was in die Hochzeitsbetten
Uns unbewußt in heißer Sehnsucht zwang.
Rom gab sein Bestes hin, und Rom ward groß.
Werd' schwach beim Weib, und Kraft gebiert sein Schoß!
Doch wozu ist es, daß es nie zerstiebt,
Dies flücht'ge Volk, das vom erreichten Schönen
Doch stets herabsinkt und den spätsten Söhnen
Die ältsten Ziele neu zu stürmen giebt?!
Gilt's, alte Schönheit ewig neu zu baun
Und ewig gleich die gleiche Welt zu schaun?
Geht über Erdenschönheit nichts hinaus?
Muß Jüngstverblühtes nur die Erde düngen,
Um Altverwelktes wieder zu verjüngen?
Gräbt ein Jahrtausend nur das andre aus,
Daß es aufs neue seinen Lauf beginnt,
Ein Ahn, erzeugt von seinem eignen Kind?!
Muß sich die Menschheit stets im Kreise drehn,
Ein Harlekin auf rundem Absatzleder,
Der sich bemüht, das Bunt des Kleids von jeder
Besondren Seit' stets neu im Licht zu sehn?
Ist eines Pfauenschwanzes Radschlagkunst
Der Zweck der ew'gen, nie gestillten Brunst?
Im Buch des Lebens las ich oft und lang
Und schrie zur Sphinx: Ach deut' mir seine Zeichen!
Die aber schwieg und dampfte aus den Weichen
Nur Wollust aus, bis ich in Schwachheit sank.
Dann sprach ihr Mund: Wozu das Fragen, Kind?
Sieh meine Töchter, wie sie lieblich sind! -
Georg
Busse-Palma . 1876 - 1915
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