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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Carl Busse
Gedichte . 2. veränderte Auflage (vermutlich) 1894/1895



Hedwig

                              Erst lang geliebt,
                              So tief und unermessen,
                              Dann wild beweint
                              Und endlich halb vergessen ...



I.
Liebesfrühling.

Wie die Wolken sich wiegen und liegen
Gleich Schwänen im Himmelsblau,
Mein Herz will sonnenwärts fliegen,
Es ist in die Höhe gestiegen
Wie die Lerche über der Au!

Es weiß nicht, was es vor Wonne
Noch thun und lassen soll,
Es jubelt zur Lichtmadonne,
Es betet und jauchzt zur Sonne
Und ist so voll .. so voll!

Wer mochte ihm das wohl bringen?
Das that eines Haares Duft!
Nun will es vor Jubel zerspringen,
Nun will es singen und klingen
Wie die Lerche in der Luft.



II.
Im Park.

Wir sind in strömender Abendglut
Weit in den Park geraten ...
An deinem Halse blitzen wie Blut
Tiefpurpurne Granaten.

Nun stehn wir beide verwirrt und stumm
Und keiner wagt zu sprechen,
Wir hören fast das Licht ringsum
Durch Sommerzweige brechen.

Der Park ist voll von Abendschein,
Kein Ort, der dunkel bliebe -
Und wir beide sind stumm und wir sind allein,
Allein mit unsrer Liebe.



III.
Lenznacht.

Das war ein Frühlenz vor Zeiten,
Verschlafen und wundersacht
Flogen aus dämmernden Weiten
Die Winde durch die Nacht.

Blau leuchtende Sterne glühten,
Und erste Liebeslust
Hob eine apfelblüten-
Rosige Mädchenbrust.

Es kam ein Strahl gezogen
In heller, blutender Pracht,
Es flüsterten und es flogen
Die Winde durch die Nacht.



IV.
Schimmernde Kronen ...

Schimmernde Kronen will ich dir flechten
In deiner Locken rollenden Kranz,
Wie in lauschenden Sommernächten
Goldne, funkelnde Sterne sich flechten
In des Himmels dunkelnden Glanz.

Laß das Bangen und beuge dich nieder!
Wenn ich auch küssend die Seele dir nehm',
Meine Seele geb' ich dir wieder,
Schling' um dein Haupt dir den Klang meiner Lieder,
Zeig mir ein schöneres Stirndiadem!

Von den sommerlich blühenden Hängen
Rauschen die Quellen - so gieb dich hin!
Neige dich zu mir, lausche den Sängen,
Meiner Lieder lockenden Klängen,
Du meiner Nächte Königin.



V.
Allein.

Wie wir abendlich im Garten
Heimlich uns zusammenfanden,
Wenn auf hohen Himmelswarten
Golden schon die Sterne standen!

Flüsternd über den Rabatten
Wogten leichte Sommerwinde,
Geisternd malte seine Schatten
Auf den Kies das Laub der Linde.

Tief in blühende Sträucher trugen
Wir die beiden Gartenstühle,
Und die jungen Herzen schlugen
Pochend in der Abendschwüle.

Grüne Irrlichtkäfer glühten
Durch die Büsche, die verzweigten,
Während weiß die wilden Blüten
Des Jasmin sich auf uns neigten.

Und du nanntest meinen Namen
Süß verloren wie in Träumen,
Und die Abendfalter kamen,
Regten sich in müden Bäumen.

Manchmal drang auf weicher Schwinge
Auch ein Rascheln fern vom Beete,
Und Musik erklang vom Ringe,
Wo das Karussel sich drehte.

Flüsternd über den Rabatten
Wogten laue Sommerwinde,
Immerzu warf irre Schatten
Auf den Kies das Laub der Linde ...



VI.
Jugendglück.

Ich habe küssend oft berührt
Die Lippen dir, die feingeschweiften,
Wenn wir vom Sonnenglanz verführt
Durch sommerliche Fluren streiften.
Dein Kleid schlug sacht an mich heran,
Von süß verschlafnem Wind getrieben,
Ich aber stak dir Blumen an
Und lächelnd bist du stehn geblieben.

Ein Wachtelschlag in fernen Höhn,
Ein Sichelklang vom Wiesengrunde,
Die Welt so weit, die Welt so schön
Und du das Glück auf rotem Munde!
Hell bauschte sich am weißen Kleid
Die blaue Schärpe hin und wieder,
Dein Blick voll Sommerseligkeit,
Und meine Brust voll junger Lieder.

Und alle Lieder wand ich dir
Ums Frühlingshaupt zu goldnem Kranze,
Und um uns flog das Lichtpanier
Des Sommers hin in wirrem Glanze.
Der Südwind sank zum Schlaf zurück,
Im Weizenfeld auf rotem Mohne,
Und um uns beide schlang das Glück
Berauschend seine Strahlenkrone.



VII.
Am Fenster.

Wir standen am Fenster .. ein kühler Wind
Streichelte deine Locken,
Er schlief bald ein wie ein müdes Kind,
Und die Welt war still und erschrocken.

Wir sangen beide hinaus in die Nacht
Die deutschen, traurigen Lieder,
Es war sehr schwül, und in goldblauer Pracht
Irrten Blitze hernieder.

Die Spitzen an deiner weißen Brust
Wogten und zitterten leise,
Tiefschwer verklang in dem nächtigen Dust
Die alte, weinende Weise.

Und es schlief der Wind und er regte sich nicht,
Und es schliefen auch deine Locken,
Nur das blaue Gold umglomm dein Gesicht,
Und die Nacht war still und erschrocken...



VIII.
Da warst du jung ...

Da warst du jung ... im letzten roten Glanz
Lag sommerstill die blühende Gartenflur,
Unfern im duftigen blauen Fliederkranz
Sang durch die Abendluft ein Sprosser nur.
Levkojenkronen waren um uns her
Und heimlich rauschend rann das Zeitenmeer,
    Da warst du jung ...

Die Uhren hoben sich zum Schlage fern,
Der Sprosser strich im Fluge uns vorbei,
Und durch die Wolken brach ein blauer Stern,
Als ob ein Auge aufgeschlagen sei
Hin durch die schauernd-stille Abendruh
Ging nur dein Atem, wehend immerzu,
    Da warst du jung ...



IX.
Wenn ...

Und wärst du mein Weib und wärst du mein Lieb,
Wie wollt' ich dich jauchzend umschlingen,
Ich wüßte ja nicht, wo das Herz mir blieb'
Vor lauter seligem Klingen.

Ich flög' in den nächtigen Himmel hinein,
Den funkelndsten Stern zu trennen,
Das wär' der leuchtende Demantstein,
Der sollt' im Haar dir brennen.

Nach Persien flög' ich, hinein ins Land;
Wo Schiras Rosen sich wiegen,
Die Rosen gäben das Kronenband,
Das sollt' dir die Locken umschmiegen.

Ich stieg' hernieder ins tiefste Meer
Und bräche dir rote Korallen,
Und meine Lieder, die wären ein Heer
Lenztrunkener Nachtigallen.

Die sollten um dich ihren Reigen ziehn,
Bis die Sehnsucht dich zu mir triebe,
Gewiegt und umklungen von Melodien,
Von junger, jauchzender Liebe.



X.
Die Schaukel.

Es hat in Sommertagen
Weit über Strauch und Land
Die Schaukel uns getragen,
Die tief im Garten stand.

Wie wir uns jauchzend schwangen
In blaue Höhn hinein!
Wir neckten und wir sangen
In tollsten Kinderein.

Ich zupfte dich am Kleide,
Ich griff nach deinem Haar,
Und waren doch schon beide
Fast volle sechzehn Jahr.

Und die Aurikeldüfte
Umflossen deinen Kopf,
Es flog durch alle Lüfte
Dein blonder Mädchenzopf.

Der Sommersüdwind brachte
Mir deines Haares Wehn,
Dein roter Mund, der lachte:
Die Mutter darfs nicht sehn!

Dein Antlitz stand in Flammen
Und höher! jauchztest du,
So flogen wir zusammen
Den Birnbaumzweigen zu,

Daß einer von den Aesten
Sich schwer zu biegen schien,
Und aus den kleinen Kästen
Erschrockne Staare schrien.

Ich kam von langem Wandern,
Und unser Gartenplan
Gehörte längst schon andern,
Das hat mir wehgethan.

Doch ging ich durch die Pforte,
An Buchs und Beet entlang
Und steh' nun vor dem Orte,
Wo einst dein Lachen klang.

Es rannen kaum drei Jahre,
Die Vögel schrein im Wind -
Ob das die alten Staare
Von jenem Sommer sind?

Mir sagten alle Leute,
Es wär' ein schöner Tag, -
Ich weiß nicht, was ich heute
So garnicht schaukeln mag?!

Ich seh' die Sonne scheinen,
Ihr Licht, das macht mir Schmerz,
Mir ist so recht zum Weinen,
So sonderbar ums Herz.

Ich glaub', mich hat das Leben
Samt seinem Glück genarrt,
Ich seh' die Schaukel schweben,
Die alte Schaukel knarrt.

Das war in Sommerstunden,
Wo ich sie fliegen sah -
Der Birnbaum ist verschwunden,
Und du bist auch nicht da.

Der Baum ward alt und mürbe,
Man hat ihn längst gefällt, -
Ach daß noch einer stürbe
Und ginge von der Welt.



XI.
Ein scharfer Duft ...

Ein scharfer Duft von Nußbaumblättern
Trieb durch das Land, trieb durch das Land,
Schon schmückte sich der Herbst die Stirne
Mit purpurdunklem Kronenband,
Schon zog ein müdes, welkgewordnes
Kastanienblatt, vom Wind verweht,
Da lernt' ich dir zu Füßen sprechen
Ein Dankgebet .. ein Dankgebet ...



XII.
Fünfblatt.

In den grünen Büschen, da hab' ich gesteckt
Den Vormittag schon und den Nachmittag auch,
Mich haben die kleinen Blüten geneckt,
Die Lila-Blüten am Fliederstrauch.
Sacht blies mir der Winde vergnügliches Wehn
Die duftenden Trauben um Haar und Gesicht,
Ein Fünfblatt wollt ich mir suchen gehn,
Das Fünfblatt des Glückes, das fand ich nicht.

Da kamst du gesprungen zum Garten herein,
Mein blonder Wildfang, mein flüchtiges Reh,
Da ließ ich das Fünfblatt Fünfblatt sein
Und sagte den leuchtenden Büschen Ade.
Nun wiegte der Liebe Lichtmelodie
In Glück uns beide, uns beide in Traum,
Und der Kuckuk rief und der Kuckuk schrie
Siebenmal vom Baum, siebenmal vom Baum.



XIII.
Hinter den weißen Gardinen...

Hinter den weißen Gardinen
Saßen wir beide allein,
Es zogen summende Bienen
Durchs offene Fenster herein.

Der Wind schlief über dem Rasen,
Es stand die Welt im Traum,
Es schwankten in den Vasen
Die bunten Gräser kaum.

Die Bilder an den Wänden,
Die Bilder sah ich nicht...
Auf deinen weißen Händen
Spielte das Sonnenlicht.



XIV.
Weißer Jasmin.

Bleiche Blüte, Blüte der Liebe,
Leuchte über dem Laubendach,
Ruf' in klopfenden Mädchenherzen,
Blüte der Liebe, die Sehnsucht wach!
Deiner Kelche verströmender Atem
Zittert, verzittert so schwer und so stark,
Schwül von deinen duftenden Kronen
Weht der Nachtwind über den Park.

In der Laube lauschen zwei Augen.
Zögert und zagt ein Mädchenmund,
Sorge dich nicht und laß dich küssen,
Sieh, nur Sträucher raunen im Rund.
Und es ruft dir im pochenden Herzen
Weißer Jasmin die Sehnsucht wach -
Weiße Blüten, Blüten der Liebe
Leuchten über dem Laubendach.



XV.
Nach dem Balle.

Es bog sich ein blühender Zweig dir im Haar,
Schwer rauschten des Kleides Falten,
Und mühsam, mit zuckendem Lippenpaar,
Hast du dir die Thränen verhalten.

Kaum daß du leise den Kopf bewegt,
Ein dankendes Wort mir zu spenden,
Als ich den Mantel dir umgelegt
Mit heißen, zitternden Händen.

Das Licht am Wagen brannte so fahl,
Die Rosse stampften und zogen,
Es hat ein Kopf in heimlicher Qual
Sich tief in die Kissen gebogen.

Mich aber zog es noch einmal zurück
In die verlassenen Räume,
Ein Strauß am Boden.. ein welkes Glück..
Zertretne Blumen und Träume.



XVI.
Frühlingsidyll.

Weißdorn und Walnußbaum
Hörten's mit an,
Raschelt' ein Kleidersaum
Zaghaft heran.
Schlüpften zwei Käferschuh
Ueber den Kies,
Schlüpften den Büschen zu,
Wo sie der Mut verließ.
Zögerndes Hin und Her,
Aengstlich husch, husch,
Rechts vorbei, links vorbei,
Dann in den Busch.

Wiegender Walnußbaum,
Ach was der sah!
Stimmchen, man hört es kaum,
"Sag, bist du da?"
Klingts aus den Zweigen schon
"Kuckuk" so sacht,
"Liebster, ich seh dich schon"..
Freut sich und lacht.
Frühlingstraum, Freudentraum,
Ach und zum Schluß,
Weißdorn und Walnußbaum,
War das ein Kuß?



XVII.
Du.

War es die wolkenlose,
Goldklare Frühherbstluft?
War's einer gelben Rose
Entströmter Blütenduft?

War es des fremden Kindes
Sonniger Atemzug,
Oder des südlichen Windes
Müde gleitender Flug?

War's eines himmlischen Reiches
Blitzende Funkenschaar?
War es dein seidenweiches,
Wehendes Lockenhaar?

War's einer Strahlenwelle
Flutend-flimmerndes Licht?
Kam widerscheinend die Helle
Von deinem Angesicht?

Ach, wenn ich's jetzt auch hehle:
Wohl konnt' es alles sein,
Weiß doch in tiefster Seele,
Du warst es ganz allein.



XVIII.
Pastorenbraut?

Du willst einen Pastor glücklich machen,
So haben die Leute mir eben erzählt,
Ich möchte weinen und möchte lachen,
Hast du denn wirklich den Pfaffen gewählt?

Er predigt dir vor vom heil'gen Johannes
Und seiner göttlichen Liebeskraft.
Ich aber lehr' dich die Liebe des Mannes,
Die Liebe der lodernden Leidenschaft.

Er spricht von der Hölle strafenden Flammen
Und hofft auf den Lohn in der Ewigkeit,
Wir aber, mein Mädchen, wir spielten zusammen
Hienieden schon ewige Seligkeit.

Bedenk, für die ganze Zeit hier auf Erden
Ziehst du in ein frömmelndes Pfarrhaus ein,
Du sollst die Frau eines Pastors werden
Und kannst eine jauchzende Königin sein.

Denn König wär ich, wenn du mein eigen,
Dann würdest du meine Frau Königin,
Und meine Lieder wie süße Geigen
Girrten über das Brautbett hin.

Ach und die herrlichste Fürstenkrone:
Lorbeer mit roten Rosen vermengt,
Deiner siegenden Schönheit zum Lohne,
Hätt' ich dir jauchzend aufs Haupt gesenkt.

Thörichtes Kind, du kennst ja die Gluten,
Die dir im Herzen schlummern, noch nicht;
Einst doch ringt sich aus rauschenden Fluten
Weltenfüllend die Liebe zum Licht,

Tönt es in dir mit mächtigen Zungen,
Mächtiger als die Glocken des Doms,
Treibt es in dir wie die Flut eines jungen,
Bandenbefreiten Frühlingstroms.

Nicht mehr dem Pfaffen und Christi Schmerzen
Magst du dein blühendes Leben dann weihn,
Und an dem glühendsten Dichterherzen
Sollst du die flammende Rose sein!



XIX.
Thränen.

Ich babe nur wenig, nur dreimal geweint,
So lange die Sonne des Lebens mir scheint,

Das erste Mal: wild, gellend und laut,
Da hatt' ich mir selbst zu viel zugetraut.

Dann rollten heimliche Thränen herab,
Da stand ich vor meines Vaters Grab.

Das dritte Mal bog ich die Stirn zur Hand,
Mir hat kein Tropfen im Auge gebrannt.

Wir beide konnten uns nicht verstehn,
Wir mußten stumm von einandergehn.

Und das ungesprochene Abschiedswort,
Das weint im Herzen auch heute noch fort.



XX.
Ein altes Lied.

Heut zog den ganzen Abend schon
Ein altes Lied mir durch den Sinn,
Es lag ein deutscher Sehnsuchtston
Und eine Welt voll Wehmut drin.

Doch war es nicht ein Königskind.
Es war ein Mensch wie ich und du -
Dem trieb ein froher Frühlingswind
Des Lenzes liebste Blüte zu.

An seiner Brust lag stets ihr Haupt,
Bis daß sie starb im Herbsteswehn,
Doch hat er nicht daran geglaubt
Und wollt' die Blüte suchen gehn.

Er ging im Land von Haus zu Haus,
Sah jedem Mädchen ins Gesicht,
Das alte Lied klingt traurig aus:
Die Frühlingsblüte fand er nicht.

Hat sich zur Heimat aufgemacht,
Er war ein Mensch wie ich und du,
Dort dämmert er in Not und Nacht
Und singt das alte Lied dazu.

Das zog den ganzen Abend schon
Und auch die Nacht mir durch den Sinn,
Es liegt ein deutscher Sehnsuchtston
Und eine Welt voll Wehmut drin.



XXI.
Alte Träume.

Schon regt sich der Gewitterwind,
Es murr'n die Lindenbäume,
Du bleiche Braut, du blasses Kind,
Vergiß die alten Träume!

Die sinken wohl wie Blütenschnee
Nun sterbend vor dir nieder.
Doch thut das arme Herz auch weh
Beim Klang der Hochzeitslieder,

Und ist dein Herz auch noch so weh,
Laß klingen nur und schlagen,
Gar mancher hat zum kühlen See
Schon all sein Leid getragen.

Wir wollten küssen früh und spät
Und uns die Hände fassen,
Wir mußten doch, wie das so geht,
Von unsrer Liebe lassen.

Die Blitze ziehn, es grollt der Sturm,
Es murr'n die Lindenbäume,
Die Dohle kreischt im Klosterturm -
Vergiß die alten Träume!



XXII.
Im Abendschein.

Noch manchmal, wenn die roten Wogen
Der letzten Abendsonne gehn,
Kommt durch die Luft es hergezogen,
Ein irres, krankes Liebesflehn,
Hör' ich aus weichem Mädchenmunde
Ein seltsam Lied, ein Lied aus Moll
Hinzittern durch die Dämmerstunde,
So fremd, so schluchzend, thränenvoll.

Und aus der Abendnebel Rauchen
Seh winkend ich in bleichem Sprühn
Ein weißes kühles Händchen tauchen
Und schmerzlich-große Augen glühn.

Die Finger, jene schlanken, schmalen,
Sie zucken wie im Fieberbrand,
Ein letztes Grüßen, letztes Strahlen
Aus meiner Jugend Wunderland.

Noch einmal klingt es wie ein Wimmern,
Das heiß aus toter Seele bricht,
Noch einmal seh' ich vor mir schimmern
Dein jugendschönes Angesicht.
Das goldenbraune Haargeflute
Umschmiegt die Stirn so wellenschwer,
Und von dem dunklen Rembrandthute
Grüßt matt die weiße Feder her.

Dann ist's vorbei, und für Sekunden
Neig' ich die stolze Stirn zur Hand
Und denk' der freudejungen Stunden
Im nordwindskühlen Heimatland.
Das will mich beinah niederzwingen,
Daß Scherben nun auch hier der Rest -
Dies Blatt, es mög' dir Grüße bringen,
Und mich laßt betend Lieder singen
Zu meiner Liebe Totenfest.



XXIII.
Spätes Wiedersehn.

Und wenn die Herzen auch klingen,
Die Seelen auch schluchzen und schrein,
Fahr wohl, mein Lieb - mit Singen
Soll doch geschieden sein.

Einst will ich dir ja reichen
Die Hand zum Wiedersehn
Und dir die Locken streichen
Beim großen Auferstehn.



XXIV.
Vor deinem Bilde.

Vor deinem Bilde saß ich lange heute.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Ein weißes Kleid, vorn seidenweiße Spitzen,
Und aus den Spitzen, weiß wie Wogenschaum,
Taucht schlank empor ein schlanker weißer Hals.
Ein schwarzes Sammtband schmiegt sich um ihn her,
Und von dem Bande fällt, mit roten Steinen,
Auf deine keusche, reine Mädchenbrust,
Die sehnsuchtsvolle, ein Granatenkreuz.

Das war ein Sommer, wo ich so dich sah,
Hoch, hoch im Norden, wo die Stürme brausen,
Wo todesschwere Slavensänge schallen
Und wo ein Garten einst im Blühen stand.
Er war nur klein, doch rote Rosen schwelgten
In wirrem Duft, und blauer Flieder nickte,
Und wo die Bank stand, bog ein Schneeballstrauch
- Ich seh ihn noch - sich überfüllt herüber.

Um die Veranda rankte wilder Wein,
Im letzten Glanze glomm der Abendhimmel
Und wie ein fernes, unterdrücktes Schluchzen
Durchrann die Luft eins jener Polenlieder
Mit seinen weichen, wehen Mollakorden.
Ein schmerzensschöner, märchenhafter Hauch
Von blühenden, lichtmüden Abendnelken
Schauerte um uns aus den Nebengärten.
Die Luft war seltsam blaß und kirchenstill,
Auch du warst ruhig, deine kühlen Hände
Verschlangen sich, dein braunes Auge ging
In träumende, verlorne Nebelweiten,
An deinem Halse glimmerte das Kreuz
Im letzten Lichte.
                Ein Südschmetterling
Erhob sich schwer vom wilden Weingeblätter
Und schwankend zog er um dein Wellenhaar,
Als wollt' er sich an seinem Duft berauschen,
Dem süßen, schwülen, der emporstieg, quellend,
Betäubend matt wie Süditaliens Luft.

Um die Veranda rankte wilder Wein,
Der Oleanderschwärmer, mit den Flügeln,
Den seltnen Flügeln, zog noch immer - immer
Irrwirre Kreise um den Mädchenkopf.

Der Sommerabend sank auf unsern Garten.
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Vor deinem Bilde saß ich lange heute,
Und ich weinte...



XXV.
Großer Glaube.

Ob dir ein andrer auch den Brautkranz reicht,
Ob ich und du getrennt auf dieser Erde -
Es schmerzt nicht mehr, mir ist so frei, so leicht,
Der Tag kommt doch, wo ich dich küssen werde.

Dann fließt der Liebe goldner Glorienschein
Verklärend auch auf dieses Haupt hernieder,
Ich weiß, ich weiß: einst wirst du dennoch mein,
Erlöst vom Staub sehn wir uns droben wieder.



XXVI.
Ausklang.

In herbstlich-graue Wolkenkutten
Hüllt sich der Himmel überm Land,
Schon röten sich die Hagebutten
Im Dorngesträuch am Grabenrand.
Das Mädchengarn durchträumt die Luft
Und wird gar bald die Felder decken,
Nur manchmal fliegt noch scheu der Duft
Verblühter Rosen von den Hecken.

Es geht ein Ruhn und tiefes Träumen,
Ein Glück, das purpurn nun verflammt,
Und raunend singt den müden Bäumen
Der Wind ein leises Totenamt.
Auf rauhen Stoppeln steht nur stumm
Ein junger Hirt mit seinen Schafen,
Und schüttelt sich und sieht sich um
Und möchte gehn und möchte schlafen.

Und schlafen möcht' nach all dem Leiden
Auch ich und du, ganz tief und schwer,
Was nützt denn alles? Mit uns beiden
Wird es ja doch nichts Rechtes mehr.
Ich hab' gekämpft von früh bis spät
Und nun blieb alles doch beim Alten,
Und wo jetzt jeder von mir geht,
Da darf ich dich denn auch nicht halten.

Das Licht versank, die Stunden stocken,
Im West erblich der Sonnenstrahl,
Du Frühlingskind mit goldnen Locken,
So laß dich segnen tausendmal!
Dir folgt das Glück auf sichrer Bahn.
Und Sonne liegt auf deinen Wegen,
Ich aber fahr' in schwankem Kahn
Der Nixe Loreley entgegen.


  Carl Busse . 1872 - 1918






Gedicht: Hedwig

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