162 Bücher
|
Richard Dehmel
Aber
die Liebe! . 1. Auflage 1893
Hamburger Lästerbrief
Farewell! a long Farewell!
Durch mein warmes Zimmer duftet ein Veilchenstrauß, von der
Morgencigarette steigt ein letztes krauses Wölkchen, im weißen
Kachelofen knistert der Kien; fast als säße ich zu Hause. Eben ist
der Kellner gegangen, fast unhörbar; nur der Ring am Schlüssel tickt
noch. Und ich schlage mein Notizbuch auf und gehe zur Beichte.
Es ist so süß, sich von Frauen verzeihen zu lassen, daß man
dafür gerne mal an ihnen sündigt ... Nichts fürchte heftiger als
das Bestimmende, das im Unbestimmten lauert ... Die Scham ist die
gefährlichste der Tugenden; eine Maske, die uns allzu leicht auch vor uns
selbst verbirgt. Wer seine Schönheit sucht und heilig hält, muß
das Gewissen der Nacktheit haben ... Nur nicht jene Ideale, die wie Sterne am
Himmel stehen! Nachtschwärmer haben dünne Beine. Sieh in dich! ...
Schwache Herzen lieben die Sterne. Da stehn sie und scheinen, so unsäglich
viele, und stehen so hoch; und es ist nicht Unsre Schuld, daß sie Keinem
in den Schooß fallen. Das wäre auch lebensgefährlich ... Wer
sich aber grämt über die Auswüchse seiner Nacktheit, liebt sie
noch; wie ungeratne Kinder. Gleichgiltig werde gegen sie, und dann das Messer!
Das erinnert mich; der Weihrauch fehlt; ich schneide mir eine Zigarre an. Aber
die Veilchen. Also nein! -
Du wirst leiden; das Starke weckt den Scheelblick der Schwachheit. Mach ihn dir
zum Wächter deiner Gewissen-
haftigkeit ... Wünsche dir kein Glück, du hast es in dir;
bewußt sein ist Alles ... Jugendideale: Würfelspiele aus alten
Bechern. Und die Alten: sind sie nicht jünger als du? und werden immer
kindischer! Um die Weisheit und den Irrtum deiner Väter ist deine Jugend
älter als einst ihre und reifer für die Zukunft; wünsche dir
kein Glück, du hast es vor dir ... Und die Andern? Werde immer nackter in
der Liebe, daß sie deine Häßlichkeiten sehen wie du selbst und
ihrer eignen Schönheit treuer werden und die Sehnsucht höher achten
als das Glück. Denn wir lieben Alle unsre Zukunft, doch fast Alle sind
Patienten des Augenblicks ... Aber prahle nicht mit deinen Flecken, wie die
Straßenjungen mit zerrissnen Hosen, daß du sie nicht lieb gewinnst
und deine Nacktheit dir ein Opfer bleibe vor dem Thron der Klarheit.
Nein, so geht es nicht; ne Cigarette wenigstens; ah! - Und das Grübeln
macht ja doch nicht freier. Noch dazu die fremde Aussicht immerfort; zwischen
jeden Gedanken schiebt sich ein anderer Baum oder Erker, und der Tanz der Sinne
beginnt. Seltsame Stadt!
Klopstock und Heinrich Heine; Wollkontors und Chinawarenspeicher; Schwäne,
Jungfernstieg, berühmte
Gräber; heimliche Liebe in öffentlichen Häusern; Hafen,
Börse, und der große Brand; halbtausendjährige Giebel,
elektrische Monde; "hamburgische Dramaturgie" und weltberühmte
Tingeltangel, u. s. w., u. s. w.... o du tolle, bunte, wunderliche
Wasserstadt!
Gott, in welchem Wirbel taumelnder Erinnerungen, träumender Erwartungen
kommt man schon hereingerollt; und das Traumnetz spinnt sich immer dichter, je
weiter man die Sinne öffnen möchte. Selbst auf den Straßen
gestern Mittag: tief durch all den rasselnden Lärm, alles schreiende
Gewühl der Börsenzeit meint' ich immer einen fernen zauberischen Laut
zu hören, wie den langen, feierlichen Grundton in der Brandung eines
Wasserfalls. Und vor mir, vom Zimmer aus, glänzt das Becken der
Binnenalster; man möchte garnicht weg vom Fenster; Bild um Bild.
Vorgestern Nacht schon, wie mein Wagen plötzlich um die Ecke bog, aus der
Gassenschlucht heraus auf die breite Promenade - nämlich in fremden
Städten muß man stets, die ersten Tage wenigstens, im feinsten Hotel
mit der schönsten Aussicht logiren; schlimmstenfalls, nächst
verliebten Kellnerinnen, sind deutsche Hotelwirte die geduldigsten
Gläubiger - "der Not gehorchend", wie Schiller sagt - also ja:
es war die reine blaue Wunderinsel, plötzlich der weite, schwebende Kranz
von hundert leuchtenden Kugeln, wie ein Saum von Riesenperlen hingeschlungen
durch die flimmernden Zweige der nackten Linden um den schwimmenden
Lichtschild, den sie durch den seidig grauen Nebel wölbten, unten ins
nächtige Wasserviereck einen Zaun von zuckenden Schwertern bauend,
opalisch bleich, umflochten von schwankenden Silberranken, nach Osten hin
dunkel geöffnet, und immerfort ins Bodenlose fließt das funkelnde
Gitterwerk, ruht und sinkt und steigt und stürzt der paradiesische
Gartenglanz; und jetzt, in blitzender Hast, durch die schwarze Pforte im Osten
schießen zwei große glühende Käfer, ein zitternd
grüner, ein blutig roter, und ihnen nach - ein dumpfes, rollendes Fauchen
- eine schuppig glitzernde Schlange durchs Wasser - ein heulender Pfiff - ah,
dort muß ein Brückenbogen sein - richtig, die Lombardsbrücke -
und drüberhin der Schnellzug, der mich hergebracht hat und nun weiterras't
nach Norden, ins Märchenland:
"Schleswig-Holstein,
meerumschlungen,
Schleswig-Holstein,
stammverwandt!"
Kindermelodieen unterm Hut, spring ich aus der Droschke, dem geneigten Herrn
Portier die Ehre der Bezahlung überlassend, die er mir morgen doppelt
vergelten wird - auf der Rechnung. Dafür aber wohnt man doch einmal auf
Perserteppichen und Sammetstühlen, noch dazu in einer sogenannten freien
Hansestadt, was ja Allerlei zu denken gibt für einen vogelfreien deutschen
Reichspoeten.
Herrlich: ja, wir
Seelenschreiber!
Herrlich, ja: dies
Brotgequäle!
Denn die Kinder; denn die
Weiber.
Und so wird man Schreiberseele.
Eine volle Stunde hab' ich wol noch aufgesessen und die künstliche
Mondnacht genossen, und kam mir immer nüchterner vor als
"eigentlicher" Berliner. Ach du schnurgerade deutsche
Reichskasernenstadt! Nicht einmal elektrisch war sie zu kurieren, die geliebte
preußische Parademetropole. Ja: wir haben "unsre Linden".
"Feeenhaft!" schnarrt der Herr Assessor auf der Abendpromenade. Das
gefällt ihm, diese drei Kolonnen patentirte Siemenslampen, säuberlich
in gleicher Höhe aufgereiht die runden Milchgesichter, recht wie eine
Compagnie Rekruten, wenn Herr Leutnant einen Witz geruhen. Aber es paßt!
Wir haben Stilgefühl, bombenhaftes Stilgefühl: vom Kanonendenkmal auf
dem Königsplatz bis zur Kaiser-Wilhelms-Brücke mit den wundervollen
Krautstrunk-Kandelabern, ja nicht zu vergessen all die schönen
Zinnsoldaten mit und ohne Pferd vor der Schloßterrasse und am Opernhaus.
Es lebe die Uniform!
Und mit einigen frommen Wünschen stieg ich ins Bett. Und gegen Morgen
träumte mir, die Mongolen seien nach Berlin gekommen; und die Spree war
dicht am Ueberlaufen, soviel herrliche Siegesmonumente der berühmtesten
Meistergreise preußischer Nation hatten sie hineingeschmissen. Am Ufer
aber standen alle jungen deutschen Künstler - viele waren's nicht - und
hielten sich die magern Bäuche vor Lachen und klatschten sich die
dünnen Schenkel vor Vergnügen, diese unpatriotischen
"Hungerleider"; davon wachte ich auf. Es war aber nur das Klappen der
Pferdehufe auf dem Asphaltpflaster unten vorm Hotel. Ja, man hat so seine
Träume in der freien Hansestadt Hamburg; und was kann der Mensch für
seine Träume.
Heute freilich ist es fast zu hell zum Träumen. Der erste klare
Herbstfrost; alle Nebel sind gefallen über Nacht, auf der hölzernen
Landungsbrücke unten am Bassin liegt ein dicker Pelz von Reif. Ein zarter
grüner Wolkenstrich im Norden läßt den weißen Himmel noch
kühler scheinen. Und doch: drüben auf dem Jungfernstieg,
barfuß, am Eisengeländer, steht ein kleines schmutziges
Mädchen. Frierend sieht es sich die stolzen, reinen Schwäne an und
die schlanken Dampferjollen mit den lustig bunten Flaggen, wie sie an- und
abfahren im Kreise, lange blinkende Doppelfurchen durch das tintige Wasser
ziehend. Arme kleine Sehnsucht! Und - heut Abend will ich auch, heidi, zu
Schiffe. Ja, und dort im Alsterpavillon saß Heine, wenn er die
Börsenstunde schwänzte, und träumte von - erfrornen
Schwänen. Nun rennt die Kleine dran vorbei; die breite Glasfront glitzert
im Frühlicht wie ein stiller Teich, den die ersten Eiskrystalle
überzittern. Ich sehe nach Osten: zwei Dampfer pfeifen sich gellend an.
Nordost. Schräg zur Rechten hinüber. Welche kalte, harte Pracht!
Vorn, ein kolossales Postament, die drei finsterroten Sandsteinbogen der
Lombardsbrücke; steil empor dahinter, eine Wand von glattem Silber,
zwischen hohen schwarzweißroten Wimpelstangen, steigt der Spiegel der
Außenalster; ringsherum ins letzte dürre Laub der braunen Bäume
tüncht die fahle Morgensonne einen Rahmen goldiger Lichter; Alles ferne
überkrönt von gelb beglänzten Villenfronten, schwärzlich
blanken Turm- und Erker-Zacken; ganz im Weiten oben Schlot an Schlot, schmal
und kahl, lange dünne Fahnen Rauch vor den blassen Himmel heftend. Dort
wohnt Hamburgs knochenstarrer Reichtum.
Durch mein warmes Zimmer duftet der Veilchenstrauß,
im Kachelofen flattern und summen die Flammen, aber mich fröstelt. Wenn's
doch wieder gestern wäre, gestern Morgen, wo das alles kaum zu sehen war
dadraußen, vor dem festen, dichten Nebel. Gestern; o du blauer, blauer
grauer Montag!
Wie das alles kinderseltsam war. Wie die Veilchen dufteten früh. Ach viel
süßer, viel verbotener als heute. Ob sie wol den Brief nun hat? Ob
sie das wol ahnte, Sonntag Abend auf dem Bahnhof? als sie mir die Cigaretten
nachwarf, ganz zuletzt noch, wie der Zug schon rollte, durchs offene Fenster,
und der alte Förster neben mir sich schmunzelnd in den Schnauzbart griff,
während mir die Thränen in der Kehle standen.
Nein: es durfte nicht so bleiben. Denn ich liebe doch die Andre noch, und viel
seelenwerter, viel vertrauter. Und es ist ein eigen Ding um zweierlei Liebe.
Plötzlich sieht man, daß man nur sich selber liebt, sich und seine
Lust, und dann kommt ein Grauen, ob man überhaupt noch etwas liebt; denn
wer weiß denn, was es ist, dies kalte, gierige Ich! - Nur zuweilen wollen
wir uns Veilchensträuße schicken, scheue Blumen der Kinderliebe, und
uns jener Sommernacht erinnern, jener einzigen, unterm jungen Eichbaum, wie wir
über die Sterne lachten, daß sie gar so albern durch die dunklen
Blätter äugten; ach du liebe kleine Dornkatz!
Ja, so saß ich denn und schrieb mit Bruderworten an das Mädchen, das
mir gar zu lieb geworden war mit ihrer Kraft zur freien Lust, - und
"sollst nun meine Schwester werden", schrieb ich ihr, "um einer
schwereren Freiheit willen: einer Freiheit, die sich selber ihre Sünden
setzt, Sünden der ererbten Lust wider die Lust der Zukunft". Und jene
Verse von Julius Hart, die wir damals immer wieder hatten lesen müssen:
"Noch Einmal laß
mich deine Hand
inbrünstig küssen,
heiß und schwer,
nicht deinen Mund, nicht deinen
Mund,
ich ließe dich sonst
nimmermehr."
Und es war sehr schön, was ich von dem neuen Paradies der Unschuld
schrieb, wo es nicht mehr Männer geben würde, die in wahllos
unverschiedner Tieresglut ihre Sehnsucht an zwei tief ungleiche Weiber
hängen können, und nicht mehr Weiber, die zuzweit in Einem Mann
Genüge finden. Aber draußen, wie gesagt, stand ein fester grauer
Nebel auf der dicken Flut; und die bleidunklen Wellen der Alster gingen schwer
unruhig hin und her und auf und nieder im feuchten Wind, wie lauter pochende
Herzen; und die Schwäne schwammen in dem dichten Dunst so klein und
blaß wie zerdrücktes Papier, weggeworfene Liebesbriefe; und nicht
Ein gelbes Blatt mehr an den kahlen Linden.
Ob sie mir wol glauben wird? Ob sie an die Abendstunde denken wird, als wir
Drei zusammensaßen und sie mit den trotzig krausen Lippen und heimlich
klagender Stimme ihr geliebtes Nordseelied begann - von den beiden
Edelkönigskindern, die doch nimmer nicht zu'nander kommen konnten - und
ich an den Flügel ging:
Freilich, wenn wir schliefen
in dem viel zu tiefen
Wasser zwischen uns:
schliefe auch das
Büßen
dieser sündig
süßen
Unschuld zwischen uns.
Aber mit dem Leben
schliefe auch - das Streben.
Nein, mir war nicht wohl zu Mute, als der Bruderbrief nun klappernd in den
Postkasten fiel. Und die Dampferpfeifen im Bassin hörten sich so schreiend
an, fast höhnisch. Go to a nunnery, Ophelia ...
Rasch unter Leute! Die Börsenzeit ging eben los. Oder lieber noch ins
Freie! Richtig: nach Ottensen: Schloß Liliencron. Darauf hatt' ich mich
ja schon seit vierzehn
Tagen gefreut, seitdem er mir den langen, tollen Brief geschrieben: den
Dichterbaron kennen zu lernen, den holstischen Hünen, mit seinen beiden
Teckeln, seinen Pferden und seinem grenzenlosen Menschenherzen. Und gegen
Baedeker mich versündigend, drücke ich mich sorgfältig um den
Börsenmarkt herum; diese Tempel des modernen Gottes sind ja immer in
demselben, irgend einem oder mehreren, antiken Säulenstibel
zusammengeschustert, und dann die Schaaren dieser "Gläubigen"
dazu, das geht mir wirklich wider den Geschmack, trotzdem sich mein
Culturbewußtsein der antisemitischen Instinkte so ziemlich entwöhnt
hat. Also schnell auf den Wagen, den "fiefrädrigen, wo de Kutscher
obenup sit't", wie mir ein Eingeborner mühsam auf Hochdeutsch
bedeutet, mit halbem Blick auf meinen eleganten, fast bezahlten Ueberziehr. Und
so rumple ich denn auf meinen fünf Rädern durch die Straßen und
Gassen; über drei vier Schleusenbrücken weg, unter denen die Wellen
der "Fleete", so träge wie ihr Name, vom Alsterbecken zum
Elbhafen schleichen; hier und da ein schönes altes Giebelhaus, das vom
Brand vor 50 Jahren und vom Grundstückschacher noch verschont geblieben
ist; hin
und wieder eine alte Vierländerin, minder schön mit dieser
scheußlich steifen, schwarz lackierten großen Schleife im Genick
unterm strohgelben Tellerhut, und lange dürre, schwarzbestrumpfte Waden
aus dem kurzen dunkelblauen Wollrock streckend; sonst wol ziemlich dasselbe
Treiben wie im Molkenmarktviertel Alt-Berlins, blos - etwas weniger Polizei.
Nun durch Sankt-Pauli nach Altona hinein; ringsherum die vielen
Tingeltangelhallen, eine neben der andern, mit den unmöglichsten
Barock-Gemüsen übertakelt, aber im Ganzen doch ein hübsches
Bild, der weite Platz mit den kleinen Linden und zwischendurch der niedrige
Schnörkelkrimskrams, wie eine tiefhängende steinerne Guirlande die
beiden Schwesterstädte verbindend.
Endlich! "Ottensen Bahnhof" ruft der Conducteur. Nun herum um den
"altehrwürdigen Friedhof" mit der berühmten
Dreigräber-Linde vor der verwitterten Kirchenwand - was Großpapa
Klopstock wol zu Liliencrons Gedichten sagen würde?! Schnell noch einen
Durchblick nach der öligen Elbe hinunter, wo die großen Seedampfer
trompeten, sehr komische Ungeheuer mit diesen mächtigen
Schaumschnurrbärten um die riesigen Kinnladen; und schon steh ich am
Portal des freiherrlichen Musensitzes.
Der Herr Baron "waren grade nicht zugegen", wurde aber bald erwartet.
Also pflanzte ich mich in sein Arbeitszimmer, das Wirtschaftsfräulein
brachte eine Flasche herben Spanier und, nach kurzem, da sie wol den Fremden in
mir witterte, das Nationalgericht: Aalsuppe. Vorzüglich! und
Liebesschmerzen machen Hunger. Dann vertiefte ich mich in den
"Haidegänger", sein letztes Gedichtbuch, das auf dem
Schreibtisch lag, höchst verwahrlost, als Lampenteller; daneben einige
Bände Storm, und zwei von unserm lieben, alten, immer jungen
Trutz-und-Lachbart Wilhelm Raabe. Also den Lampenteller; siebzehn Seiten, und
meine Träume blieben haften - "auf dem Aldebaran".
"Die himmelblauen
Schmetterlinge leuchten,
Der schwefelgelbe Pfau, der
mich umschweift,
Das grelle Grün, das
meinen Rasen brennt" -
halt! das war die rechte Stimmung für den Spanierwein. Ich las und las.
"Und sie, indem ihr
dunkles Auge sich
Mit meinem bindet - -
Verachtung um die Lippen
schürzend" -
hatte Er das auch erlebt?!
"Und ich, ein Fürst
hier auf dem Aldebaran - -
Hörst du's? ich
wünsche, nein ich will, ich will,
Daß du mich liebst auf
diesem roten Stern!"
Ob das wol sein Eheweib gewesen war? -
"Viel besser sind die
Menschen hier als unten!
Mehr Liebe, mehr Verzeihung und
Geduld,
Kein Mißverständnis
mehr - -
Doch sie" - - -
ich schrak auf; die Thür ging; er stand vor mir. Ich glaube, daß ich
meinen Namen nannte. "Richard?" fragte er. "Detlev!" schlug
ich ein. Ein paar knappe Worte, ein Gang durchs Haus, und rasch saßen wir
zu Pferde; er auf seinem jüngsten Trakehnerrappen, ich auf einem
prächtigen Berbergoldfuchs. In kurzem Trab um den rissigen, epheu -
überglänzten Söller herum, durch den planvoll wilden Park an
allerlei kecken Wasserstürzen vorbei, und nun scharf hinaus ins neblige
Feld, sein Jagdrevier, die "lyrische Haide", wie er mir lachend
zurief mit zwinkernden Augen.
Wundervoll, wie der alte Knabe ritt. Jetzt in zierlichsten Courbetten, leicht
und spielend, nach allen Regeln der Schule; jetzt bedeutungsvoll im
"stolzen Tritt"; jetzt plötzlich langweg mit den
übermütigsten Seitengängen, wie ein Bauernjunge auf
ungesatteltem Ponny. Seine liebe Haide freilich nahm sich heute ziemlich trist
aus:
"-
- und langsam
Auf Moor und Brachfeld welkt
der Tag".
Nur ab und zu brachte ein schöner, kräftiger Platanen- oder
Ebereschen-Baum mit seinem dauerhaften Laub oder den leuchtenden
Beerenbüscheln etwas Rost- und Scharlach-Röte in das kahle, graue
Bild. An diesen einsamen Bäumen, von vergoldeten Eisenranken gehalten,
glänzten weiße Marmortafeln, in die der lyrische Besitzer mit
blutroter Schrift die Namen der paar lebenden Zunftgenossen hatte meißeln
lassen; hinter manchen standen frische Kreuze. "Die der Zukunft
leben!" rief er mir zu. Friedrich Nietzsche las ich da; Hermann Conradi
unter ihm. Keller, C. F. Meyer; Prinz Emil Carolath. Julius Hart; etwas
wetterfleckig, aber umso farbentiefer, und diesem Namen warf ich dankbar einen
Handkuß zu. Theodor Fontane, Arno Holz. Noch Einen, den ich im Fluge nur
ahnen konnte. Die Karle Henckell und Busse; "o ihre Liebeslieder",
entzückte sich der Freiherr. Fern, verschwimmend, nur zur Hälfte
lesbar, ein gewisser Otto Erich. Tief und zart, verschleiert, wie roter Mohn in
hellen Sommernächten glüht: Loris. Taghell Zwei, auf die er mit
schwärmenden Blicken wies: Bierbaum, Gustav Falke.
Jetzt nahm er pleine chasse eine Hecke. Entzückend: in dem weiten,
weingelb flatternden Mantel mit der purpurnen Säumung, den er um den
derben Jägerlodenrock geschlagen hatte. Oben legte sich der Burnus in eine
seltsame Faltenkappe ein, seinen "Sarazenenhut" nannt' er sie;
schwarz wehend überm Ohr ein Reiherbusch, den ein großer
prächtiger Karfunkelrubin zusammenhielt; nach vorn und hinten eine lichte
Spange von Smaragden um den Kopf, eingefaßt von dunkeln Veilchensteinen -
ah, meine Veilchen. Und wie der Rappe schimmerte! Mir kamen die Verse in den
Sinn, die Arno Holz, der graugewordene, in seiner farbenfrohen Jugend sang:
"Ein grüner Turban
schmückt das Haupt mir,
Von Seide knittert mein Gewand;
Und jeder Muselmensch hier
glaubt mir,
Ich sei der Fürst von
Samarkand".
Noch eine Hecke! drüben stieg schon der Wald auf. Wir wollten nach
"Poggfred", Froschfrieden, wie der Baron sein Sommergut getauft hat;
draußen hinter der Alster irgendwo. Nun ritten wir ein in den alten,
braunen Steineichen-Dom. Plötzlich rechtsab in eine lange, ernsthafte
Tannenstraße; fast hätt' ich vor Lachen die Zügel verloren,
eine solche wunderliche Prozession von Monumenten hatte der Schalk sich da
hinbauen lassen. Zu beiden Seiten des sandigen Weges, achtbar von einander
entfernt, thronten hier - wie sag' ich nur gleich - - die Litteraturpagoden.
Alle steif die schwachen Beine gekreuzt, mit dicken chinesischen Bäuchen
und segnenden Händen. Viele saßen schon völlig still; Einige
streckten, im Gleichtakt nickend, noch die Zungen aus den schweren
Häuptern; ganz am Ende der Allee, im Nebel, schien mir auch Ibsen zu
wackeln, ich bin aber kurzsichtig. Auf den pappledernen Postamenten standen mit
Messingnägeln die Zahlen der Jahre eingenietet, in denen die verehrten
Greise zum ersten Male für den Weihnachtstisch verlegt gethan gewesen
worden sein sollen. Die Tannen rauschten so bedächtig, daß mir schon
ganz schläfrig wurde.
"So; jetzt werd' ich Ihnen meine Folterlauben zeigen", sagte der
Freiherr, verschmitzt die Reitgerte schwingend, indem er in kurzen Galopp siel.
Gottseidank! Obgleich mir die Worte recht dunkel klangen. "Es sind
verschiedne teutsche Tichter zu Besuch bei mir", drehte er sich um,
"die büßen hier für ihre Sünden". Wir bogen in
ein junges Untergehölz; ahah - das konnte ja lustig werden! Tief im
Dickicht, auf einem Ameisenhügel, in brünstigem Gebet zu allen
Göttern der Vorzeit, kniete Heinrich Hart, sie möchten endlich den
"Mose" vom Sinai steigen lassen, womöglich nebst den
übrigen 20 Gesängen des "Liedes der Menschheit";
unwillkürlich betete ich mit. Wilhelm Bölsche fand das, wie
gewöhnlich, komisch; er stand vor einem Fischerhäuschen und flickte
Netze.
Etwas näher an der Straße, unter einem roten Zeltdach, zerbrachen
Henckell, Otto Ernst und M.v. Stern sich im Verein die Köpfe, auf
Menschheit einen Reim zu finden; Bruno Wille saß daneben und
enthüllte ihnen aus der Tiefe eines mysteriösen Sängers der
Rumänen, daß die Sache ungereimt besser gehe. Franz Evers hatte
sich, da es mit der Menschheit doch zu schwer schien, eben auf die Gottheit
gelegt und bejauchzte sie mit großer Flottheit. Wilhelm Weigand,
Schaumberg und Schaumberger schleppten Balken, Kalk und Steine zur Errichtung
einer Züchtungs- oder Brut-Anstalt, in der sie eine neue Kreuzung aus
Apollon
und Dionysos erzielen sollten. Friedrich Lange aber füllte reines
Menschentum in alte Flaschen, klebte neue Etiketten drauf und schrieb auf jede:
"Reines Deutschtum".
Ganz für sich, links von einem engen Schleifweg, in einer
Urmenschenhöhle, hockte Ludwig Scharf vor einem Klumpen Lehm, einen
Cyklopen knetend, der in seinen Ketten tobt; Mackay stand von fern und
lächelte augurisch. Auf der andern Seite dieses Weges, einen Secirtisch
zwischen sich, kämpften Cäsar Flaischlen und Panizza, Erneste Rosmer
und Frank Wedekind mit gezückten Messern, Zangen, Nadeln und Pinzetten um
den Unterleib eines modernen Menschen; Anna Croissant-Rust schmückte
unterdeß den nackten Leichenteil mit Frühlingsblumen aus dem
Treibhaus, Feuerlilien und Narzissen, Federnelken und Veilchen, sehr in Angst
um ihren Schmelz - überall die Veilchen ...
Die Gestalten fingen nun im Nebel an zu schwanken und zu wachsen, Karl
Bleibtreu kam; Er durfte seine Laube in Freiheit genießen, nur mit der
ehrenwörtlichen Verpflichtung, in den nächsten drei Monaten
allerhöchstens ein Drama, einen Roman, einen Band Gedichte, eine
Revolutionsbroschüre, eine Culturgeschichte und drei Schlachtenbilder zu
schreiben. Vor ihm, heldenhaft, dehnte sich Conrad, die atheistische
Religions-Standarte des internationalen Deutschen Reiches der Zukunft im Arm,
und verspeiste einen hartgesottenen Kritiker. Wilhelm Arent war dazu
verurteilt, in einem abgelegnen Kämmerchen seine sämtlichen Gedichte
auswendig zu lernen. Einige andre Chambre-séparée-Poeten halfen
ihm dabei; über ihnen flötete ein Chor von künstlichen
Nachtigallen, nach der Melodie "Wir winden dir den Jungfernkranz",
seine göttliche Ballade "Barbier, schlag mir den Seifenschaum",
immer mit dem Refrain:
Schöner
weißer,
Schöner weißer
Seifenschaum, juchheh!
Noch separirter saßen Peter Hille und Paul Scheerbart, Stefan George und
Dauthenday. Ihnen hatte der Freiherr gemeinsam eine Laube bauen lassen, aus
groteskem Blattgesträuch von bunten Seidenflicken, mit intimen, seltsam
parfümirten Winkelchen darin, aus denen sie sich immer ansehn
mußten; und nun weinten sie den ganzen Tag, daß sie nicht aparte
Zellen haben sollten. Blos Max Dauthenday: in dessen Augen war ein Schein, der
wol einen eignen Garten ahnen ließ und mit echten Gewächsen.
Jetzt schwenkten wir um eine dichte Faulbaumhecke; die Pferde prusteten schon.
Da saß Hermann Bahr vor einem großen Spiegel und übte sich in
einem neuen unerhörten Stilmanöver; Felix Holländer blus dazu
die Hirtenflöte. Neben ihnen Hartleben, "das Weib verachtend".
Mich schmerzte was; durch den Modergeruch des wuchernden Holzes stieg ein Duft
wie von Veilchen ...
Die Pferde scheuten plötzlich; eine dunstig fahle Lichtung that sich vor
uns auf, von einem neuen, niedern, aber festen Zaun umkoppelt. Dort ging Arno
Holz im Kreise um sich selbst herum. "Die Gefilde der Selicken",
erläuterte der Freiherr. Auf dem Kopfe trug der sonderbare Wandler einen
großen Papierhelm aus den Patentbriefen aller europäischen
Culturstaaten für sein jüngst entdecktes, nie zuvor von Irgendwem
gemerktes Kunst = x. Johannes Schlaf hatte sich vor kurzem sonstwohin nach
"Dingsda" entfernt und sehr wohl daran gethan; dort hatte er den
"Meister Oelze" kennen gelernt, der ihm für das Zukunftsland der
nackten Seelen einen stolzen Auferstehungssarg gezimmert hat. Arno ging noch
immer seinen Zaun entlang, mit gesenkter Stirn, als trüge er im
Schädel einen Klumpen Gold.
Nicht weit von ihm, lange Schöpfkellen schwingend, um eine schillernde
Mergelgrube, in der ein dickes goldnes Kalb den fetten Schlamm zu Schaum
zerstampfte, tanzten Schludermann und Hulda, Heizwerg und Tozote einen
eleganten Contre. Auch Wolfgang Kirchbach, seiner "Weltfahrten"
müde, schien der Grube näher "walzen" zu wollen; allerdings
bis jetzt noch solo. Die Dame des ersten Paars trat eben aus, sie hatte aus dem
seichten Rühricht einen "Talisman" geschöpft, der sie
schier zum Manne machte; als solcher hieß sie Fulda. Ernst von
Wildenlunge sah's vonferne und überlegte, auf seinem Stammbaum reitend, ob
er sich ein Beispiel daran nehmen solle. Und ein andrer Ernst und wolgezogener
Edler schwankte noch, ob man besser bei dem nackten "Lumpengesindel"
oder bei der Mergelgrube fahre. Mein Freiherr aber lachte über ihre
Kopfbeschwerden und nickte Allen vergnügte Winkhand zu, auf seinem
Trakehner. Und vor Max Halbe, der auf einem Aste über diesem Trubel wippte
und sich die Gesellschaft ansah wie ein Fischreiher spitz und scharf, griff er
salutirend an die Mützenspange mit den Veilchensteinen: "Es lebe die
Jugend!"
Jetzt hielten wir an einem Edelwildgehege - vor einer platten, aber
köstlich Grau in Grau mit Mosaik belegten Tenne, um die ein zartes, fein
gefeiltes Gitterwerk eine durchsichtige Rundwand zog; etwas einförmig,
aber höchst bestrickend; nur das Dach hätte mehr Licht einlassen
sollen. Dadrunter stand nun Gerhart Hauptmann, ganz in Schweiß gebadet,
und übte sich die schwierigsten Fechtkunststückchen für seine
Mensuren mit den
"Vorurteilen" und "Verkehrtheiten" seiner werten
Zeitgenossen ein. "Der könnte auch was Bessers thun!" knurrte
ich ärgerlich. "Schelten Sie mir meinen Hauptmann nicht!" drohte
der Freiherr scherzend. "Ach was -" lief mir die Galle über,
während wir weitersausten; "wozu hat denn der Mensch diese
wundervollen Lippen, für die ich ihn küssen könnte! diese
Mundwinkel, voll Trotz und nackter Sehnsucht! und die kühne Nase, und die
helle Schillerstirn! Was geht denn Den die Dumpfheit an, in der die Ratten sich
warm fühlen, und das Stammeln der Unmündigen, und die Hamlets der
Mittelsorte; mögen sie doch! Ich huste auf das "Herz" des
Künstlers: ich kenne sein Mitleid und den Beifall der Gerührten.
Für die Adler soll er glühen, die Flügeldreisten, die
Sonnenpilger! Seines Gleichen soll der Dichter dichten, Uns, die freien Herren
der Zukunft, uns und -" knautz, lag ich im Sand. Mein Hengst hatte das
Fuchteln übelgenommen und war steil aus den Zügeln gegangen.
Während ich im Bogen durch die Luft schoß, sah ich noch, wie der
Freiherr lachend den Karfunkel von der Mütze nestelte, den schwarzen
Reiherbusch in die Hand nahm und - nanu? das sah ja aus wie 'ne
Schulmeisterrute! Jetzt faßt mich etwas an; "Herrr" will ich
aufbrausen und - - hätte beinah den Tisch umgerissen und das Bierglas mit
dem letzten Rest Sherry. Teufel, ich war eingenickt von dem schweren Wein. Vor
mir stand Liliencron; diesmal wirklich. Nun Namen-nennen, und:
"Entschuldigen Sie, Baron -". "Nein nein, wundervoll!
entzückend!" war er fröhlich mit den kurzen Beinen wieder an der
Thür, doppelt Teller bestellend. Jee - das war ja garnicht der
Geträumte, der in Lodenjoppe und Smaragdenhut; hier der fixe, vornehm
untersetzte Vierziger in dem neu gewesenen Gehrock, mit dem abgegriffnen,
kniffigen Filz und der "hoch" modernen hellen Hose. Ach, der Sherry
war nicht aus dem freiherrlichen Keller: ging auf Rechnung der Schifferbudike
nebenan, wie er munter bekannte, und das Wirtschaftsfräulein war nur
Stubenwirtin-etc. Selbst seine lieben Teckel hatte er sich abgewöhnen
müssen. Aber die Cigarre, die er mir dann bot, war fürstlich und
entschieden von dem ersten Importeur in Hamburg bezogen.
Wir hatten grade beide Platz in der engen Kabuse; ich auf dem zerlegenen Sopha,
er auf der Kante eines ausgezogenen Kommodenkastens. "So läßt
Teutschland seine Tichter wohnen", scherzte er entschuldigend; "na!
kommt Zeit, kommt Draht, sagten wir als Leutnants." Zwar, die Aussicht war
recht stimmungsvoll, auf den Kirchhof drüben; da für sorgt ja noch
der liebe Gott, ebenso wie für die Teckel und die schönen Pferde und
die Schlösser - auf dem Mond oder auf dem roten Aldebaran.
Ach, ich danke Dir, Detlev, alte Märchenseele Du: es waren köstliche,
seltene Stunden.
Wie er immerfort "entzückt" war über jeden jungen
"teutschen Tichter," jedes bischen Kraft, das starke gütige
Feenkind; und über sich selber, der Ehrliche. Und sein herrlicher
Haß auf alle Nüchternheit und alle Eunuchenmoral und alles
Fettbürgertum! Und erst sein Plaudern! wie die ferne Melodie der See an
heißen Julitagen, wenn man in den Dünen liegt und nur immer horchen
möchte,
wie die Woge heimlich
schäumt
und von ihrer Tiefe
träumt;
ab und zu ein derber Lebenslaut dazwischen, so ein Wort "unter uns
Jungfern", immer begleitet von einer feinen, schwebenden Handbewegung,
einer fragenden Wendung des Kopfes, daß das leichte, schlichte Haar
über der Säbelnarbe am Stirnrand sich ganz leise regt. Und dies
huschende Bübchenlachen: durch den kühnen, immer noch blonden,
herbstlaubblonden Rittmeisterschnurrbart, an der netten, stämmigen Nase
herunter, von den stillen Augen her, die in Schleiern schwimmen wie ein ewiger
blauer Montag, nur manchmal ein Blinken drin, als wenn der Abendstern durch
Wiesennebel grüßt, - und ich mußte ihm von meinem
Veilchenstrauß erzählen. Da nickte er und zeigte schweigend auf die
Wand über dem Sopha, wo er einen breiten Bogen Conceptpapier in seiner
riesenkrähenfüßigen Handschrift mit einem Spruch des alten
Lichtenberg bemalt und festgenagelt hatte: "Solange wir nicht unser Leben
so beschreiben, daß wir alle Schwachheiten aufzeichnen, von denen des
Ehrgeizes bis zum gemeinsten Laster, so werden wir nie einander lieben
lernen." Das war sein einziger Zimmerschmuck, abgesehen etwa von dem
maßlos langen Diplomatenschreibtisch, den die Breslauer Dichterschule ihm
- - geliehen hat, zur großen Trübsal und Enttäuschung aller
Gerichtsvollzieher.
Ja, und noch etwas, damit nichts fehlt am Bilde; was die braune Ungarin in
Hamburg, als wir heut um Mitternacht in der "Goldnen Vierzig" an
geheimen Früchten naschten, im roten Ampelschein so wunderhübsch
herausplapperte: "Du kleiner Flotter!" Weiter nämlich
wußte sie kein deutsches Wort, das arme Kind; das genügte wol
für ihr Geschäft. Richtig - daß ich nicht lüge; etwas
wußte sie doch noch. "Ei' Flass Sekt noch," flüsterte sie
bettelnd. Wir blieben aber standhaft, d. h. nicht seßhaft; denn
Lebendiges teile ich nicht gern mit Jedermann.
Und als wir auseinander gingen, lachten wir uns an und pfiffen uns eins;
pfiffen auf sämtliche "Vorurteile" dieser, jener und der sonst
noch möglichen Welten. Heute Abend auf Wiedersehn am Hafen! Dann -
Gieb mir deine Hand,
Einmal noch ein Schmerz,
Einmal noch ein deutsches Herz
-
Dann leb wohl, mein Weib, mein
Vaterland! - -
Ach, wie süß die Veilchen duften ...
Richard
Dehmel . 1863 - 1920
|
|