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Richard Dehmel
Weib
und Welt . 2. Auflage 1901
Die gelbe Katze
Shakespeare: "Und Das ist der Humor
davon."
Nichts wirkt bestimmender als das Unbestimmte. Mit dieser Nutzanwendung pflegte
mein Bruder Ernst mir seine Erlebnisse zu berichten. Jetzt ist er tot. Kurz vor
seinem Ende schrieb er mir Folgendes.
... Wenn die Frau, für die ich meine eigene verlassen wollte, mit mir von
ihrem Manne sprach, kam sie mir immer häßlich vor. Ihre
bräunliche Haut wurde dann gelblich, das wilde Haar schien schwarzer und
tiefer in die Stirn gewachsen, der Pechglanz ihrer Augen wurde stechend und der
Ausdruck des schwungvollen Mundes hilflos. Ich nannte das ihr
Dienstmädchengesicht; aber es war mir unerklärlich.
Sie beherrschte den Mann; aber das konnte sie doch nicht mehr fesseln. Sein
Körper war ihr unerträglich geworden, sein spöttischer Witz
nicht minder. Seine Rachsucht fürchtete sie nicht, und seine
Gutmütigkeit verachtete sie. Für Freiheit schwärmte sie wie eine
russische Fürstin. Warum also blieb sie noch bei ihm?
Freilich hatte sie ein Kind von ihm. Aber das faßte sie nicht gerne an,
trotzdem sie es sehr lieb zu haben glaubte. Mit meinem Töchterchen spielte
sie lieber und sehnte sich nach einem Sohn von mir.
Auch auf sein Geld war sie nicht angewiesen; er hätte ihr das ihre nicht
vorenthalten, er war ein Ehrenmann. Daß er mich im Duell erschießen
könnte, befürchtete sie ebenso wenig; ich hätte ihm zu Ehren
mein Leben nicht aufs Spiel gesetzt - (hier log mein Bruder Ernst) - und ihr zu
Liebe braucht' ich's nicht, mein Dasein war ihr werter als das Urteil der
Leute.
"Ist es, weil du dich vor deinen Eltern schämst?" fragte ich sie
eines Tages, während wir auf einem Ausflug waren.
"Ja, vielleicht" - sie lächelte kindlich; ihre tausend
Sommersprossen schillerten. Dann machte sie ihr Schlangengesicht, als wollte
sie das Wort verschlucken; und gleich drauf lachte sie wie eine Bachantin.
Wir gingen durch mein Lieblingsdorf, ein Krondorf aus der Zeit des großen
Friedrich. Es war ein Karfreitag. Zu Ostern wollte sie in ihre Heimat reisen;
der Frühling am Rhein war ihr das Paradies. Wenn sie davon sprach,
erschien sie mir wie die leibhaftige Jungfrau Maria; ihre nachtbraunen Augen
verklärten sich.
Die Kastanienknospen standen schon ganz dick und grün; manche machten
schon die Finger auf. Die Ahornblüten glänzten goldgelb durch den
blauen Abend. "Daraus mach' ich mir ein Feeenszepter", sagte sie,
"wenn ich mit meinem Vater durch die Berge reite."
Ich sah sie an - "Es giebt auch böse Feeen, Du" - und wollte sie
küssen. Zwischen die schwarzen Brauen trat ein queres, zuckendes
Fältchen, wie immer wenn sie sich mir überlegen fühlte. Die
üppige Nase zuckte mit. Ich küßte nicht.
Plötzlich wurden ihre Pupillen lüstern groß. "Sieh, wie
unheimlich!" flüsterte sie und zeigte über die Straße.
Alle ihre Sommersprossen, selbst auf den Lippen, schienen verschwunden. Der
schwellende Mund wurde dunkler. Das war ihr Hexengesicht; das sechste, das ich
an ihr kannte.
Ich ging mit ihr hinüber. Auf einem künstlichen Hügel stand ein
seltsames Häuschen hinter dem Zaun. Es war stets unbewohnt, ich kannt' es
schon. In der hellen Dämmerung sah es noch spukhafter aus.
Zwei riesige Platanen streckten ihre noch kahlen Aeste wie Leichenknochen
über das flache Dach. Die Wände waren fahl und fleckig. Links wiegte
ein verkrümmter Lebensbaum sein finstres Laub. Mitten aus der Vorderwand
schob sich ein rundes Spitztürmchen vor, das an chinesische Hüte
erinnerte; die Thür war verschlossen. Um die kleinen Bogenfenster krochen
Borten aus gothischem Schnörkelwerk; die Scheiben waren so schwarz wie die
Pupillen meiner Begleiterin. Zwischen der rechten Ecke des Hauses und dem Stamm
der einen Platane ging die gelbrote Sonne unter.
"Hier möcht' ich manchmal wohnen", sagte die schöne Frau.
In diesem Augenblick kam langsam über den Hügelrücken, grade wie
aus der Sonne heraus, eine große gelbrote Katze und setzte sich vor die
verschlossene Thür.
Das Bild verstimmte mich, so tief voll Stimmung es war. Die schwarzbraunen
Augen des Viehes erinnerten mich unbestimmt an eine Kindesmörderin aus
einem Wachsfigurenkabinett. Die Sonne war verschwunden; das Fell sah nun noch
gelber aus, fast seidig. Sie starrte blinzelnd herunter auf uns; mich
fröstelte. Ich klatschte in die Hände; sie lief weg.
Die schöne Frau war zusammengefahren und sah mich unwillig an. "Ich
liebe Hauskatzen nicht", sagte ich rauh. Sie nickte stumm und nahm
hingebend meinen Arm. Wir wandten uns zur Heimkehr, aber der böse Eindruck
verließ mich nicht. Je zärtlicher sie mit mir sprach, umso
verstimmter wurde ich. Ich schob es auf den Karfreitag. Immerfort durch unser
Geflüster hörte ich Jesu Trostwort an den gekreuzigten Mörder:
Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.
Fast verlegen küßt' ich sie zum Abschied, und sagte lachend:
"Auf Wiedersehen, Magdalena". Sie machte ihr Jungfraungesicht.
Die Nacht drauf träumte mir - (mein Bruder Ernst hielt nämlich
Träume gleichfalls für Erlebnisse) - ich sähe aus dem Fenster
und schräg mir gegenüber stünde das seltsame Häuschen. In
den schwarzen Scheiben glomm das Sternlicht. Plötzlich wurden sie blendend
hell, das ganze Haus stand erleuchtet bis in den löchrigen Schornstein
hinauf, Fenster und Thürflügel klappten auf, und aus Allem was offen
war, Luken und Löchern, vom Dach herab und von den Wänden, sprangen
unzählige schwarze Katzen und stoben lautlos in die vier Winde. Zuletzt
kam langsam eine große gelbe aus der Thür, starrte blinzelnd nach
mir her, und verlor sich gleichfalls in die Finsternis. Dann schloß das
Haus sich ebenso lautlos und war mit Einem Schlage wieder dunkel.
Der Morgen kam. Ich saß mit meiner Frau beim Kaffee; wir besprachen unsre
Trennung. "Wenn du mit Bestimmtheit fühlst", sagte sie mit ihrer
treuen Stimme, "daß die Andre für dein Glück geschaffener
ist als ich, darf ich dich nicht halten" - da ging die Flurglocke.
Das Dienstmädchen meldete, ein fremdes Fräulein wünsche mich zu
sprechen; ich ging ins Nebenzimmer. Eine große junge Dame trat mir
entgegen; ich erschrak. Sie war ganz in gelbe Seide gekleidet, ihr schwarzes
Haar bedeckte ein Strohhut mit einem Zweig von künstlichen
Ahornblüten; sie hatte alle Züge der schönen Frau, nur nicht so
sarazenisch, gleichsam zahmer. Ich stand sprachlos.
War sie's doch vielleicht? Nein! Gestern war sie verreist. Und jeder Zug war
mir doch fremd. Und eine Schwester hatte sie nicht.
Die Dame lächelte kindlich; ihre tausend Sommersprossen schillerten.
"Sie kennen mich wol nicht", fragte sie leise; ich verneinte
beklommen. "Ich bin die gelbe Katze", sagte sie schnurrig; mich
fröstelte. Dann fiel mir ein: vielleicht ein Scherz der schönen Frau
- sie hatte Bekanntschaft in Bühnenkreisen. Die Dame blinzelte und
zwischen ihre Brauen trat ein queres Fältchen; "ich soll Sie
abholen", flüsterte sie.
Aus ihren Augen sah ein schlangenhafter Glanz, der mich bestrickte.
"Gleich?" fragte ich. "Gleich!" Wir gingen.
Wir gingen schweigsam die Treppen hinunter; vor der Thür stand ein Wagen.
Wir fuhren durch zahllose Straßen, ebenso schweigsam; sie schien mich
garnicht zu beachten. Die Straßen wurden enger, die Häuser immer
höher, die Gegend mir unbekannt. Einmal nickte sie flüchtig; da sah
ich eine schwarze Katze durch einen Thorweg huschen. Einmal strich sie sich ihr
wirres Haar mit ihrem gelben Handschuh glatt. Endlich hielt der Wagen; ich
folgte ihr willenlos.
Wir gingen durch einen dumpfigen Hof, dann mehrere eiserne Stiegen empor, und
durch viele halbdunkle Gänge. Ein wahres Labyrinth von Haus; die Luft roch
modrig. Vor einer pechschwarzen Flurthür machte sie Halt und drückte
auf ein Unsichtbares. Die Thür sprang auf, ich stand geblendet. Eine
stechende Lichtpracht schlug mir, wie von tausend Kronleuchtern, entgegen.
Als ich zu mir kam, stand ich in einem Saal, der unabsehbar schien; vor mir,
hinter mir, nach allen Seiten Spiegelwände. Und mitten durch den Saal, der
Länge nach, von allen Seiten wiedergespiegelt, stand eine endlose Reihe
von lautlos sich drehenden schwarzgekleideten Damen und lautlos hopsenden
mausegrauen Herren, wie nach dem Rhythmus einer übersinnlichen Tanzmusik.
Keine der Damen - (hieraus entnahm ich, daß mein Bruder Ernst noch immer
träumte) - hatte blos Einen Herrn, die meisten zwei, manche auch drei;
einige schienen ein Dutzend zu haben, falls mich die Spiegel nicht
täuschten. Alle trugen sie, so lustbar sie sich drehten, einen sonderbar
hilflosen Trübsinn zur Schau, fast wie Automaten; die mittelste hielt ein
weinendes Kind im Arm.
Immer wenn sich Eine der Damen dem Einen ihrer Herren etwas tiefer hinbog, that
Der einen besonders hohen Hops, sodaß die mausegrauen
Frackschöße, die sonst bis auf den Boden schlappten, die Luft
durchschwänzelten. Dann warfen ihm die andern Herren, zumal die dicken,
wütende Blicke zu; aber die Dame lächelte kindlich, dann wurden
selbst die dicksten wieder sanft.
Mir fing an schwindlig zu werden; ich sah mich um nach meiner gelben
Führerin. Ein Schauder beschlich mich: alle ihre Sommersprossen waren
verschwunden. Die Pupillen hexenhaft groß, stand sie wie die Fürstin
dieses Tanzspiels da und schüttelte die bachantischen Locken. Ihr Haar war
aufgegangen, der Strohhut lag am Boden. In der Rechten hatte sie den falschen
Ahornblütenzweig und schwang ihn wie ein Szepter. Das Gesicht war
dunkelbraun, die schwungvolle Nase schien eingebogen. Sie nickte mir zu.
In diesem Augenblick sprang hinter ihr die Spiegelthür von Neuem auf; und
stumm herein, in mausegrauem Frack, die Schöße zwischen den
Fingerspitzen, grade auf mich los, kam der Gatte der schönen Frau gehopst.
Ich wollte laut hell auflachen, da seh ich in der Spiegelthür, die langsam
wieder zugeht, entsetzt mich selbst im mausegrauen Frack, und plötzlich
fang'ich auch mit an zu hopsen.
Ich ringe verzweifelt nach Stillstand. Ich werfe der schönen Frau die
ernstesten Blicke zu. Vergebens. Je tiefer sie mir in die Augen blinzelt, umso
höher hopse ich.
Ich suche dem Gatten näher zu kommen. Ich will ihn zwingen mich
festzuhalten. Er sieht mich spöttisch an und hopst.
Ich will ihm beweisen - ich hopse. Ich will ihm zeigen - er hopst. Ich will ihn
ermorden - wir hopsen.
Ich will der schönen Frau zu Füßen stürzen. Ich will sie
beschwören gnädig zu sein, ich kann nicht: ihre braune Haut wird
häßlich gelb, ihr Haar scheint mähnenhaft gesträubt und
tiefer in die Stirn gewachsen, ihr Blick wird stechend, der Ausdruck des
üppigen Mundes hilflos: sie hat ihr Dienstmädchengesicht.
Ich schreie schmerzhaft auf - ich bin wach.
Neben mir am Bett stand meine Frau mit unserm Töchterchen und strich mir
durchs Haar. "Vater", sagte die Kleine, "du hast so furchtbar
komisch ausgesehn." Ich küßte Beiden die Hände ...
Seit diesem Morgen - so schloß mein Bruder Ernst sein seltsames Schreiben
- ist mir die gelbe Katze nicht mehr gefährlich. Bald darauf starb er in
einem Duell; er hatte der Dame Lebwohl sagen wollen, und die Wände hatten
Ohren gehabt. Er starb durch die zitternde Hand des Herrn Gemahls; er, der
vortreffliche Schütze. Nichts wirkt bestimmender als das Unbestimmte.
Richard
Dehmel . 1863 - 1920
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