Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Weib und Welt
162 Bücher



Richard Dehmel
Weib und Welt . 2. Auflage 1901



Die gelbe Katze

Shakespeare: "Und Das ist der Humor davon."

Nichts wirkt bestimmender als das Unbestimmte. Mit dieser Nutzanwendung pflegte mein Bruder Ernst mir seine Erlebnisse zu berichten. Jetzt ist er tot. Kurz vor seinem Ende schrieb er mir Folgendes.

... Wenn die Frau, für die ich meine eigene verlassen wollte, mit mir von ihrem Manne sprach, kam sie mir immer häßlich vor. Ihre bräunliche Haut wurde dann gelblich, das wilde Haar schien schwarzer und tiefer in die Stirn gewachsen, der Pechglanz ihrer Augen wurde stechend und der Ausdruck des schwungvollen Mundes hilflos. Ich nannte das ihr Dienstmädchengesicht; aber es war mir unerklärlich.

Sie beherrschte den Mann; aber das konnte sie doch nicht mehr fesseln. Sein Körper war ihr unerträglich geworden, sein spöttischer Witz nicht minder. Seine Rachsucht fürchtete sie nicht, und seine Gutmütigkeit verachtete sie. Für Freiheit schwärmte sie wie eine russische Fürstin. Warum also blieb sie noch bei ihm?

Freilich hatte sie ein Kind von ihm. Aber das faßte sie nicht gerne an, trotzdem sie es sehr lieb zu haben glaubte. Mit meinem Töchterchen spielte sie lieber und sehnte sich nach einem Sohn von mir.

Auch auf sein Geld war sie nicht angewiesen; er hätte ihr das ihre nicht vorenthalten, er war ein Ehrenmann. Daß er mich im Duell erschießen könnte, befürchtete sie ebenso wenig; ich hätte ihm zu Ehren mein Leben nicht aufs Spiel gesetzt - (hier log mein Bruder Ernst) - und ihr zu Liebe braucht' ich's nicht, mein Dasein war ihr werter als das Urteil der Leute.
"Ist es, weil du dich vor deinen Eltern schämst?" fragte ich sie eines Tages, während wir auf einem Ausflug waren.

"Ja, vielleicht" - sie lächelte kindlich; ihre tausend Sommersprossen schillerten. Dann machte sie ihr Schlangengesicht, als wollte sie das Wort verschlucken; und gleich drauf lachte sie wie eine Bachantin.

Wir gingen durch mein Lieblingsdorf, ein Krondorf aus der Zeit des großen Friedrich. Es war ein Karfreitag. Zu Ostern wollte sie in ihre Heimat reisen; der Frühling am Rhein war ihr das Paradies. Wenn sie davon sprach, erschien sie mir wie die leibhaftige Jungfrau Maria; ihre nachtbraunen Augen verklärten sich.

Die Kastanienknospen standen schon ganz dick und grün; manche machten schon die Finger auf. Die Ahornblüten glänzten goldgelb durch den blauen Abend. "Daraus mach' ich mir ein Feeenszepter", sagte sie, "wenn ich mit meinem Vater durch die Berge reite."

Ich sah sie an - "Es giebt auch böse Feeen, Du" - und wollte sie küssen. Zwischen die schwarzen Brauen trat ein queres, zuckendes Fältchen, wie immer wenn sie sich mir überlegen fühlte. Die üppige Nase zuckte mit. Ich küßte nicht.

Plötzlich wurden ihre Pupillen lüstern groß. "Sieh, wie unheimlich!" flüsterte sie und zeigte über die Straße. Alle ihre Sommersprossen, selbst auf den Lippen, schienen verschwunden. Der schwellende Mund wurde dunkler. Das war ihr Hexengesicht; das sechste, das ich an ihr kannte.

Ich ging mit ihr hinüber. Auf einem künstlichen Hügel stand ein seltsames Häuschen hinter dem Zaun. Es war stets unbewohnt, ich kannt' es schon. In der hellen Dämmerung sah es noch spukhafter aus.

Zwei riesige Platanen streckten ihre noch kahlen Aeste wie Leichenknochen über das flache Dach. Die Wände waren fahl und fleckig. Links wiegte ein verkrümmter Lebensbaum sein finstres Laub. Mitten aus der Vorderwand schob sich ein rundes Spitztürmchen vor, das an chinesische Hüte erinnerte; die Thür war verschlossen. Um die kleinen Bogenfenster krochen Borten aus gothischem Schnörkelwerk; die Scheiben waren so schwarz wie die Pupillen meiner Begleiterin. Zwischen der rechten Ecke des Hauses und dem Stamm der einen Platane ging die gelbrote Sonne unter.

"Hier möcht' ich manchmal wohnen", sagte die schöne Frau. In diesem Augenblick kam langsam über den Hügelrücken, grade wie aus der Sonne heraus, eine große gelbrote Katze und setzte sich vor die verschlossene Thür.

Das Bild verstimmte mich, so tief voll Stimmung es war. Die schwarzbraunen Augen des Viehes erinnerten mich unbestimmt an eine Kindesmörderin aus einem Wachsfigurenkabinett. Die Sonne war verschwunden; das Fell sah nun noch gelber aus, fast seidig. Sie starrte blinzelnd herunter auf uns; mich fröstelte. Ich klatschte in die Hände; sie lief weg.

Die schöne Frau war zusammengefahren und sah mich unwillig an. "Ich liebe Hauskatzen nicht", sagte ich rauh. Sie nickte stumm und nahm hingebend meinen Arm. Wir wandten uns zur Heimkehr, aber der böse Eindruck verließ mich nicht. Je zärtlicher sie mit mir sprach, umso verstimmter wurde ich. Ich schob es auf den Karfreitag. Immerfort durch unser Geflüster hörte ich Jesu Trostwort an den gekreuzigten Mörder: Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.

Fast verlegen küßt' ich sie zum Abschied, und sagte lachend:
"Auf Wiedersehen, Magdalena". Sie machte ihr Jungfraungesicht.

Die Nacht drauf träumte mir - (mein Bruder Ernst hielt nämlich Träume gleichfalls für Erlebnisse) - ich sähe aus dem Fenster und schräg mir gegenüber stünde das seltsame Häuschen. In den schwarzen Scheiben glomm das Sternlicht. Plötzlich wurden sie blendend hell, das ganze Haus stand erleuchtet bis in den löchrigen Schornstein hinauf, Fenster und Thürflügel klappten auf, und aus Allem was offen war, Luken und Löchern, vom Dach herab und von den Wänden, sprangen unzählige schwarze Katzen und stoben lautlos in die vier Winde. Zuletzt kam langsam eine große gelbe aus der Thür, starrte blinzelnd nach mir her, und verlor sich gleichfalls in die Finsternis. Dann schloß das Haus sich ebenso lautlos und war mit Einem Schlage wieder dunkel.

Der Morgen kam. Ich saß mit meiner Frau beim Kaffee; wir besprachen unsre Trennung. "Wenn du mit Bestimmtheit fühlst", sagte sie mit ihrer treuen Stimme, "daß die Andre für dein Glück geschaffener ist als ich, darf ich dich nicht halten" - da ging die Flurglocke.
Das Dienstmädchen meldete, ein fremdes Fräulein wünsche mich zu sprechen; ich ging ins Nebenzimmer. Eine große junge Dame trat mir entgegen; ich erschrak. Sie war ganz in gelbe Seide gekleidet, ihr schwarzes Haar bedeckte ein Strohhut mit einem Zweig von künstlichen Ahornblüten; sie hatte alle Züge der schönen Frau, nur nicht so sarazenisch, gleichsam zahmer. Ich stand sprachlos.

War sie's doch vielleicht? Nein! Gestern war sie verreist. Und jeder Zug war mir doch fremd. Und eine Schwester hatte sie nicht.

Die Dame lächelte kindlich; ihre tausend Sommersprossen schillerten. "Sie kennen mich wol nicht", fragte sie leise; ich verneinte beklommen. "Ich bin die gelbe Katze", sagte sie schnurrig; mich fröstelte. Dann fiel mir ein: vielleicht ein Scherz der schönen Frau - sie hatte Bekanntschaft in Bühnenkreisen. Die Dame blinzelte und zwischen ihre Brauen trat ein queres Fältchen; "ich soll Sie abholen", flüsterte sie.

Aus ihren Augen sah ein schlangenhafter Glanz, der mich bestrickte. "Gleich?" fragte ich. "Gleich!" Wir gingen.

Wir gingen schweigsam die Treppen hinunter; vor der Thür stand ein Wagen. Wir fuhren durch zahllose Straßen, ebenso schweigsam; sie schien mich garnicht zu beachten. Die Straßen wurden enger, die Häuser immer höher, die Gegend mir unbekannt. Einmal nickte sie flüchtig; da sah ich eine schwarze Katze durch einen Thorweg huschen. Einmal strich sie sich ihr wirres Haar mit ihrem gelben Handschuh glatt. Endlich hielt der Wagen; ich folgte ihr willenlos.

Wir gingen durch einen dumpfigen Hof, dann mehrere eiserne Stiegen empor, und durch viele halbdunkle Gänge. Ein wahres Labyrinth von Haus; die Luft roch modrig. Vor einer pechschwarzen Flurthür machte sie Halt und drückte auf ein Unsichtbares. Die Thür sprang auf, ich stand geblendet. Eine stechende Lichtpracht schlug mir, wie von tausend Kronleuchtern, entgegen.

Als ich zu mir kam, stand ich in einem Saal, der unabsehbar schien; vor mir, hinter mir, nach allen Seiten Spiegelwände. Und mitten durch den Saal, der Länge nach, von allen Seiten wiedergespiegelt, stand eine endlose Reihe von lautlos sich drehenden schwarzgekleideten Damen und lautlos hopsenden mausegrauen Herren, wie nach dem Rhythmus einer übersinnlichen Tanzmusik.

Keine der Damen - (hieraus entnahm ich, daß mein Bruder Ernst noch immer träumte) - hatte blos Einen Herrn, die meisten zwei, manche auch drei; einige schienen ein Dutzend zu haben, falls mich die Spiegel nicht täuschten. Alle trugen sie, so lustbar sie sich drehten, einen sonderbar hilflosen Trübsinn zur Schau, fast wie Automaten; die mittelste hielt ein weinendes Kind im Arm.

Immer wenn sich Eine der Damen dem Einen ihrer Herren etwas tiefer hinbog, that Der einen besonders hohen Hops, sodaß die mausegrauen Frackschöße, die sonst bis auf den Boden schlappten, die Luft durchschwänzelten. Dann warfen ihm die andern Herren, zumal die dicken, wütende Blicke zu; aber die Dame lächelte kindlich, dann wurden selbst die dicksten wieder sanft.

Mir fing an schwindlig zu werden; ich sah mich um nach meiner gelben Führerin. Ein Schauder beschlich mich: alle ihre Sommersprossen waren verschwunden. Die Pupillen hexenhaft groß, stand sie wie die Fürstin dieses Tanzspiels da und schüttelte die bachantischen Locken. Ihr Haar war aufgegangen, der Strohhut lag am Boden. In der Rechten hatte sie den falschen Ahornblütenzweig und schwang ihn wie ein Szepter. Das Gesicht war dunkelbraun, die schwungvolle Nase schien eingebogen. Sie nickte mir zu.

In diesem Augenblick sprang hinter ihr die Spiegelthür von Neuem auf; und stumm herein, in mausegrauem Frack, die Schöße zwischen den Fingerspitzen, grade auf mich los, kam der Gatte der schönen Frau gehopst. Ich wollte laut hell auflachen, da seh ich in der Spiegelthür, die langsam wieder zugeht, entsetzt mich selbst im mausegrauen Frack, und plötzlich fang'ich auch mit an zu hopsen.

Ich ringe verzweifelt nach Stillstand. Ich werfe der schönen Frau die ernstesten Blicke zu. Vergebens. Je tiefer sie mir in die Augen blinzelt, umso höher hopse ich.

Ich suche dem Gatten näher zu kommen. Ich will ihn zwingen mich festzuhalten. Er sieht mich spöttisch an und hopst.

Ich will ihm beweisen - ich hopse. Ich will ihm zeigen - er hopst. Ich will ihn ermorden - wir hopsen.

Ich will der schönen Frau zu Füßen stürzen. Ich will sie beschwören gnädig zu sein, ich kann nicht: ihre braune Haut wird häßlich gelb, ihr Haar scheint mähnenhaft gesträubt und tiefer in die Stirn gewachsen, ihr Blick wird stechend, der Ausdruck des üppigen Mundes hilflos: sie hat ihr Dienstmädchengesicht.

Ich schreie schmerzhaft auf - ich bin wach.

Neben mir am Bett stand meine Frau mit unserm Töchterchen und strich mir durchs Haar. "Vater", sagte die Kleine, "du hast so furchtbar komisch ausgesehn." Ich küßte Beiden die Hände ...

Seit diesem Morgen - so schloß mein Bruder Ernst sein seltsames Schreiben - ist mir die gelbe Katze nicht mehr gefährlich. Bald darauf starb er in einem Duell; er hatte der Dame Lebwohl sagen wollen, und die Wände hatten Ohren gehabt. Er starb durch die zitternde Hand des Herrn Gemahls; er, der vortreffliche Schütze. Nichts wirkt bestimmender als das Unbestimmte.


  Richard Dehmel . 1863 - 1920






Gedicht: Die gelbe Katze

Expressionisten
Dichter abc


Dehmel
Aber die Liebe!
Lebensblätter
Weib und Welt
Schöne wilde Welt

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Die gelbe Katze, Richard Dehmel