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Richard Dehmel
Weib
und Welt . 2. Auflage 1901
Entladung
Ich kam mit meinem Alpenstocke
und offner Brust vom Berg geschlendert,
begegnet mir im Ordensrocke
ein Zug von Nonnen, grau bebändert,
zehn schwarze Paare.
Den Blick zu Boden, steif und stumm,
so kamen sie dahergestiegen,
ich seh die Thäler ringsherum
in leichenhaftem Glanze liegen,
Gewitter drohte.
Fern unten, wo noch Sonne gährte,
zog durch den wolkendunkeln See
ein Dampfschiff seine blanke Fährte,
und Tücher winken hell Ade;
ich schau nach Oben.
Wie sieht die Bergwand düster aus!
ein greller Kirchturm steht davor
und fordert frech den Blitz heraus;
die Tannen sträuben sich empor
wie Warnungszeichen.
Und herrisch kommt der Wind gesaust,
die Straße lang, mit Staub und Frische,
und nimmt die Birken in die Faust
und schüttelt sie wie Flederwische;
es donnert schon.
Die keuschen Ordensröcke stieben;
nur rasch vorbei, ihr armen Schwestern!
ihr dürft nur tote Heilige lieben;
rasch! eure stumpfen Blicke lästern
Natur und Leben.
Ah: wie die Gletscherkanten glühn!
vom Dampfer hör' ich Juchzer klingen;
der Regen klatscht ins wilde Grün,
und mit dem Wirbelwinde ringen
zwanzig Nonnenwaden.
Da hob ich meine Alpenstange
und schlug ein Kreuz auf ihren Trott
und lachte laut und lachte lange
und herzlich herzlos wie ein Gott -
sie hörten's.
Richard
Dehmel . 1863 - 1920
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