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Richard Dehmel
Weib
und Welt . 2. Auflage 1901
Mit heiligem Geist
Liebe Mutter! mir träumte heute
von der Insel der seligen Leute.
Da saß auf einem Hügel der Au
eine nackte gekrönte Frau,
in ihrem Herzen stak ein Schwert,
aber sie lachte unversehrt.
Denn neben ihrem natürlichen Thron
stand ihr lieber großer Sohn;
in seinen Fingern, voll Sonnenglanz,
hing ein blutiger Dornenkranz.
Der begann sich mit grünen Spieren
und raschen Blüten zu verzieren;
und umringt von den seligen Leuten,
die sich an dem Wunder freuten,
suchte mir Er die Blumen aus
zu einem leuchtenden Osterstrauß.
Den umflocht er mit blauem Bande
von seiner Mutter Nachtgewande
und gab ihn mir und sprach dazu:
Sag Deiner lieben Mutter, du,
weil ihr auf Erden niemals wißt,
wann die Zeit erfüllet ist,
sollt ihr immer glauben und hoffen,
der Tag sei endlich eingetroffen.
Und bis einst jedes Weib gewinnt
den rechten Vater für ihr Kind,
soll jede Irrende die Treue
dem falschen brechen ohne Reue,
soll ihre Sehnsucht nicht verfluchen,
ihren Qualen den Heiland suchen
und seinen liebenden Gewalten
so Leib wie Seele offen halten.
Wenn Das mit heiligem Geist geschehn,
wird sie selig auferstehn,
wie meine Mutter auferstand
mit Mir einst im Gelobten Land.
Richard
Dehmel . 1863 - 1920
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