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Cäsar Flaischlen
Von
Alltag und Sonne . 1. Auflage 1898
Tagebuchblätter
I
Jauchze mein Herz und trinke dich satt an dieser Tage goldener Sonne, an dieser Farben köstlicher Freude, an dieser Ruhe voll schaffender Kraft ..
jauchze, mein Herz,
und trinke dich satt.
Es wird gar bald ein langer Winter kommen, müdemachend und arm und alt, mit spätem Tag und langem Abend .. ein Winter, da du froh sein wirst, ein bischen Sonne von früher zu haben.
II
Ich sitze am Fenster und blicke auf die Dächer .. und über dem Dächergewirr in der Tiefe des herbsthellen Himmels kreist ein Flug von weißen Tauben, langsam in die Ferne versinkend ..
und wo sie niederfliegen, da denk ich mir in weiten Frühlingsgärten ein weißes stilles Haus, mit Säulen und Giebeln, und in der Halle auf dem Hochaltar zwischen roten blühenden Rosen ein schartiges, narbiges Schwert.
III
Lege das Ohr an die Erde
und höre ..
und du wirst Hufgestampf hören, in weiter Ferne nur, aber näher und näher kommend.
Es ist die Zukunft
auf lichtweißen Pferden .. eine goldene Krone im blauen Banner ..
die Krone des Menschen und seines Siegs und seines Königtums!
Raffe dich auf aus deinem Alltag und gürte das Schwert um deine Lenden und kämpfe ihr entgegen ..
denn
noch ist .. Kampfeszeit.
IV
Nicht bei Seite sehen,
nicht drum rum gehen und ausweichen, nicht darüber hinwegträumen ...
Stand halten,
Aug in Auge seine Kraft erproben, und Herr drüber werden!
V
Und plötzlich fällt es wie graue Nebel von deinem Tag und nackt und nüchtern starrt es dir entgegen:
es war nur Täuschung! es war nur Selbstbetrug, wenn du dir vorgeredet, das sei das Leben, das du wollest und das in deine Tiefen dich erfülle:
dieses der bloßen Pflicht genügen!
dieses Spiel:
dich selber unter's Joch zu zwingen .. wie lange du so stark wärst, es zu tragen?!
Es war nur Täuschung .. keine Tat!
VI
Was sterben will, laß sterben und schleppe dich nicht müde mit ihm. Du zwingst es doch nicht mehr zum Leben zurück und zu der frohen Freude eines Sommers. Es hat die Kraft nicht mehr, dein Mitleid, deine Liebe dir zu danken und schleppt dich selber nur in seinen Herbst.
Laß sterben drum, was sterben will .. und ohne Klage!
VII
Neu anfangen zu können ..
ein einziges Mal wenigstens ..
nicht aufzuräumen haben .. weglegen und lassen dürfen, was nicht fertig wurde ..
einen Abschnitt machen können .. bis auf den Grund .. ein Meer zwischen gestern und heute bringen ..
ein einziges Mal wenigstens .. ein Neuer sein dürfen ..
das ist's .. was einen hinübertreibt über die Wasser!
dieser große stille Morgenwunsch jedes neuen Tages, jeden neuen Jahres .. mit seinem schönen Mutigwerden!
Mit dünnen spinnigen Armen aber greift es herüber
schattenhaft, schadenfroh
und kettet jedes Heute mit hundert kleinen Zetteleien an Gestern und saugt sich herzblutgierig an ihm fest und lähmt ihm gleich das Beste wieder, das es hat: den frohen Mut, neu anzufangen ..
ein einziges Mal, neu anzufangen!
VIII
Die Dichter, das sind die großen Träumer ihres Volkes ..
die Träumer seiner Sehnsucht!
IX
Schon dämmert der Morgen über die stillen Häuser herauf, mit blauem Schimmer sie umspinnend ..
beinahe feindselig blendet meine Lampe mit rotgelbgrellem Licht ihm entgegen.
Ich sitze noch und schreibe ..
doch immer schwerer und stockender wird meine Hand ..
und es ist, als rücke Alles immer weiter von mir ab .. Tisch und Schreibereien .. und als sänke ich selber nach, immer tiefer und tiefer ...
Da löst ein Schatten sich aus den Gardinen und beugt sich über mich:
Es ist genug! komm, du bist müde! es ist Zeit, müde zu sein! Geh zur Ruh! komm! und laß auch der Nacht ihr Recht und mir!
Und die Bilder an den Wänden nicken mir zu und lächeln und aus einem Strauß verwelkten Haidekrautes klingt es leise:
Geh! Geh! .. und träume von einem Wald im Abendrot, am rauschenden See, draußen, in weiter Sommereinsamkeit, und von einem Kinde, mit dem du mich pflücktest ..
Geh! geh!
schlafe .. träume!
und laß auch der Nacht ihr Recht!
X
Wie das erfrischt und Roß und Reiter fröhlich und gelenkig hält: der eigenen Behaglichkeit zum Trotz sich einmal etwas zuzumuten ..
eine Nacht durch .. ob nun Mondschein oder Regen ..
und nur:
zu sehen, ob man seinen Willen kann, sich und dem Pferde gegenüber, und ob es nicht versagte, käm's drauf an ..
und mit der Sonne dann querein durch Wald und Haide, und von der Höhe aus Rundschau zu halten über seine Welt!
XI
Ihr blickt so müde, so abgesorgt und freudlos! ..
Seid jung .. und froh!
wir müssen jung sein, wenn wir siegen wollen
und froh
und stark! und der Tag darf uns nicht müde machen!
Jugend tut not! und Freude!
der ganzen Zeit, der ganzen Welt!
Ach! und nur Jugend
und nur Freude
siegt!
XII
Frohe Menschen gilt es zu sein! und wer 's nicht ist, der eile, es zu werden ..
Freude allein ist Erlösung!
XIII
Und wenn ihr logt und .., nur so sagtet' .. dann logt ihr eben! meinetwegen! .. Ich halte mich an eure Worte, ob sie von Herzen kamen oder nicht.
Im übrigen
wird es wohl sein, wie immer: ein bischen Wahrheit und ein bischen Lüge, in liebenswürdig buntem Durcheinander, ganz ehrlich Beides und ganz gut gemeint ..
und meist wohl nur, weil wir nun einmal nie daran gewöhnt, uns wirklich klar zu werden ..
vielleicht auch weil wir nicht gern kränken wollen ..
im Allgemeinen aber, weils uns .. Hand aufs Herz! im letzten Grund doch herzlich wurst ist, ob Einer sich nach links ausfindet, ob nach rechts, wenn wir nur höflich waren gegen ihn!
Oder ..
sollte es am Ende .. doch so was wie weiße Raben geben?!
XIV
Ich war so glücklich! .. und nun ist alles wieder verschüttet unter trübseligem Nebel
das ganze bischen Sonnenschein
das ganze bischen Frühlingsfrohheit, das sich herausgewagt nach so langem Frost ..
weg! erstickt! erwürgt!
und weit und breit nur brauender Nebel!
Sieh, solche Macht hast du über meine Seele ..
mit einem einzigen Wort sie zurückzustürzen in Verzagtheit .. mit einem einzigen Wort ihr ganzes frohes Keimenwollen auf lange Tage wieder zu binden!
Ich weiß, es schmerzt dich selbst nun und du würdest's gerne ungeschehen machen ..
Aber gräme dich nicht weiter! ...
Es war ja nur, daß ich mich drauf gefreut, dir ein paar Blumen zu bringen ..
und nun .. nun .. hab ich eben keine.
XV
Hab Dank, du mein liebes Rad du! Du hast mir geholfen, mich hinaus zu finden wieder aus der Enge der Straßen und der Häuser ..
du hast mir geholfen, von all der Frack- und Cylinder-Feierlichkeit los zu kommen ..
du hast mir geholfen, mich an mir selbst zu freuen wieder und froh zu werden!
Und nicht blos mir!
der ganzen Zeit!
hab Dank!
Du hast ihr eine neue Freude gegeben ..
und ein Stückchen Freiheit wieder, zu sich und zur Natur zurück ..
und hast ihr damit ein Stückchen Jugend wiedergebracht und Frohmut und Harmlosigkeit ..
hab Dank!
XVI
Das war nun wieder so ein todter Tag ..
Kopfweh vom frühen Morgen an und verstimmt und müde ..
mit jeder Post verdrießliche Briefe ..
Alles schaal und abgestanden,
dumm und taub!
und draußen dumpfer schwüler Regen und stickiger Dunst ..
kein Blitz! keine Kraft! Alles schlaffe müde bleierne Gleichgültigkeit und Nörgelei!
XVII
Fest auf der Erde steh mit beiden Füßen und laß dich nicht verwirren von der Sehnsucht, die dich hinüberlocken will in ihrer Dämmerung ewig leere Weiten .. fest auf der Erde steh, die dich geboren: sie allein ist deine Heimat, aus ihr allein quillt Kraft und Wille dir und Tat und was du bist, bist du aus ihr!
Was willst du in den blauen Fernen drüben, in die dein Traum sich Paradiese baut und goldener Seligkeiten schimmernde Paläste?! .. wenn du den dunkeln Weg dazu erfüllt, wie du vermeinst, du stündest doch nur vor der gleichen Antwort wieder, der du geglaubt entfliehen zu können!
Drum bleib und steh und wohne dich zurecht auf deiner Erde und in ihre Grenzen, du hast in langem hartem Kampf sie dir erworben .. und träume nicht das Beste, das du ihr verdankst, hinaus ins Leere ..
Hier auf der festen Erde ist dein Platz
und hier sei auch dein Sieg!
XVIII
Ganz in der Ferne dröhnt ein Bahnzug, hohl und hart ...
nun ist er vorüber .. und es ist wieder nur das leise Surren der Nacht umher .. graue Wolken stehen um den Mond .. schwer und massig ..
und wieder schnauft ein Bahnzug in die Weite
und ich denke an die Menschen darin, die so in die Nacht hinausfahren.
XIX
Das ist nicht Sommer mehr, das ist September .. Herbst:
diese großen weichen Wolken am Himmel, diese feinen weißen Spinnwebschleier in der Ferne und hinter den Gärten mit den Sonnenblumen der ringelnde Rauch aufglimmender Krautfeuer ..
und diese süße weiche Müdigkeit und diese frohe ruhige Stille überall und trotzdem wieder diese frische, satte, erntefreudige, herbe Kraft ..
das ist nicht Sommer .. das ist Herbst.
XX
Ich möchte einmal ein Buch schreiben, ein kleines, frohes Buch ..
das ich aber nur denen geben möchte, die es lieb haben würden und die mit ihm froh sein könnten ..
ein kleines, kleines Buch, in dem nur stünde: wie schön der Sonnenschein über dem Garten draußen am See, mit den blühenden Rosen .. und wie schön das Lied der Vögel in den schattigen Baumwipfeln und wie schön der blaue Himmel über dem Allem und seine weißen Wolken ..
denn ich bin ja selber nur ein Stückchen Garten, Wald und See .. über dem die Sonne flimmert, über dem die Vögel singen, über dem die Wolken ziehn ...
Sie müßten es dann aber um sich haben wollen, wie man Kinder um sich hat .. dieganz still in einer Ecke sitzen und sich kaum rühren ..
Man kann nicht immer mit ihnen spielen ..
aber man weiß, daß sie aus ihrem Ofenwinkel herüber horchen, mit leuchtenden Augen, und mitdenken und mitfühlen bei Allem, was man tut, voll neugieriger Heimlichkeit .. still und lieb und traulich ...
So müßten sie es um sich haben wollen!
Cäsar
Flaischlen . 1864 - 1920
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