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Arno Holz
Buch
der Zeit . 1. Auflage 1886
Frühling
Empfangt mich, heilige Schatten, ihr
Wohnungen süßer Entzückung,
Ihr hohen Gewölbe voll Laub und Dunkel schlafender Lüste,
Die ihr oft einsamen Dichtern der Zukunft Vorhang zerrissen,
Oft ihnen des heitern Olymps azurne Thore geöffnet.
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Gestreckt im Schatten will ich in goldne Saiten die Freude,
Die in euch wohnet, besingen! - Reizt und begeistert die Sinnen!
Daß meine Töne die Gegend wie Zephyrs Lispeln erfüllen,
Der jetzt durchs Veilchenthal fleucht, und wie die rieselnden Bäche!
Ewald
Chr. v. Kleist.
1.
Wohl haben sie dich alle schon besungen
Und singen dich noch immer an, o Lenz,
Doch da dein Zauber nun auch mich bezwungen,
Meld ich mich auch zur großen Concurrenz.
Doch fürcht ich fast, ich bin dir zu prosaisch,
Aus meinen Versen sprüht kein Fünkchen Geist;
Und denk ich gar an deinen Dichter Kleist,
Klingt meine Sprache mir fast wie Havaisch.
Kein Veilchenduft versetzt mich in Extase,
Denn ach, ich bin ein Epigone nur;
Nie trank ich Wein aus einem Wasserglase
Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur.
Der Tonfall meiner lyrischen Collegen
Ist mir ein unverstandner Dialect,
Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt
Und meine Muse wallt auf andern Wegen.
Ins Waldversteck verirrt sie sich nur selten,
Die blaue Blume ist ihr längst verblüht;
Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten
Ihr süßer als ein Märchen durchs Gemüth.
Zur Armuth tritt sie hin und zählt die Groschen,
Ihr rothes Banner pflanzt sie in den Streit,
An ihr Herz schlägt das große Herz der Zeit
Und aller Weltschmerz scheint ihr abgedroschen.
Doch heute singt sie, was ihr längst verboten,
Mir scheint, dein Lächeln hat sie mir behext,
Und unter deine altbekannten Noten
Schreibt sie begeistert einen neuen Text.
Die Flur ergrünt und bläulich blüht der Flieder,
Ich aber leire meine Lenzmusik
Und lachend schon vernehm ich die Kritik:
Das denkt und singt ja wie ein Seifensieder!
2.
Schon blökt ins Feld die erste Hammelheerde,
Der Hof hielt seine letzte Soiree,
Und grasgrün überdeckt die alte Erde
Coquett ihr weißes Winternegligee.
Der Wald rauscht wieder seine Lenzgeschichten
Und mir im Schädel rasselt kreuz und quer
Ein ganzer Rattenkönig von Gedichten,
Ein Reim- und Rythmenungethüm umher.
Wie Gold in meine ärmliche Mansarde
Durchs offne Fenster fällt der Sonnenschein
Und graubefrackt lärmt eine Spatzengarde:
Ich schnitt es gern in alle Rinden ein!
Die Luft weht lau und eine Linde spreitet
Grün über ihr junges Laubpanier
Und vor mir auf dem Tisch liegt ausgebreitet
Fein säuberlich ein Bogen Schreibpapier.
O lang ist's her, daß mir's im Hirne blitzte!
Im Winterschnee erfror die Phantasie;
Erst heute war's, daß ich den Bleistift spitzte,
Erst heut in dieser Frühlingsscenerie.
Weh, mein Talent versickert schon im Sande,
Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich satt;
Drum da ich ihn noch nie sah auf dem Lande,
Besing ich nun den Frühling in der Stadt.
Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachsen
Und kein Naturkind gab mir das Geleit,
Ich seh die Welt sich drehn um ihre Achsen
Als Kind der Großstadt und der neuen Zeit.
Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Essen,
War's oft mein Herz, das lautauf schlug und schrie,
Und dennoch, dennoch hab ich nie vergessen
Das goldne Wort: Auch dies ist Poesie!
O wie so anders, als die Herren singen,
Stellt sich der Lenz hier in der Großstadt ein,
Er weiß sich auch noch anders zu verdingen,
Als nur als Vogelsang und Vollmondschein.
Er heult als Südwind um die morschen Dächer
Und wimmert wie ein kranker Komödiant,
Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer
Durch Wolken lächelnd auseinanderspannt.
Und Frühling! Frühling! schallt's aus allen Kehlen,
Der Bettler hört's und weint des Nachts am Quai;
Ein süßer Schauer rinnt durch alle Seelen
Und durch die Straßen der geschmolzne Schnee.
Die Damen tragen wieder lange Schleppen,
Zum Schneider eilt nun, wer sich's "leisten" kann,
Die Kinder spielen lärmend auf den Treppen
Und auf den Höfen - singt der Leiermann.
Schon legt der Bäcker sich auf Osterkringel
Und seine Fenster putzt der Photograph,
Der blaue Milchmann mit der gelben Klingel
Stört uns tagtäglich nun den Morgenschlaf.
Mit Kupfern illustrirt die Frauenzeitung
Die neusten Frühjahrsmoden aus Paris,
Ihr Feuilleton bringt zur Geschmacksverbreitung
Den neusten Schundroman von Dumas fils.
Es tritt der Strohhut und der Sonnenknicker
Nun wieder in sein angestammtes Recht
Und coquettirend mit dem Nasenzwicker
Durchstreift den Park der Promenadenhecht.
Das ist so recht die Schmachtzeit für Blondinen
Und ach, so mancher wird das Herzlein schwer,
Ein Duft von Veilchen und von Apfelsinen
Schwingt wie ein Traum sich übers Häusermeer.
Am Arm das Körbchen mit den weißen Glöckchen,
Das blonde Haar zerweht vom Frühlingswind,
Lehnt bleich und zitternd im verschossnen Röckchen
Am Prunkpalast das Proletarierkind.
Geschminkte Dämchen und gezierte Stutzer,
Doch niemand, der ihm schenkt ein freundlich Wort;
Und naht sich Abends der Laternenputzer,
Dann schleicht es weinend sich ins Dunkel fort.
Verfolgt vom blutgen Schwarm der Manichäer,
Umirrt nun Bruder Studio wie gehetzt,
Bis er sich endlich rettet zum Hebräer
Und seinen Winterpaletot versetzt.
Der Hypochonder sinnt auf Frühjahrskuren
Und wettert auf die Stickluft der Salons,
Der Italiano formt sich Gypsfiguren
Und zieht vors Thor mit seinen Luftballons.
Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter,
Auf Sommerwohnung zieht schon der Rentier,
Die Anschlagssäulen werden immer bunter
Und nächtlich wimmert oft das Portemonnaie.
Der Schornsteinfeger klettert auf die Leiter
Und grinst uns an als Vogelperspecteur,
Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter
Und Alles brüllt: He, schneller, Conducteur!
Das Militär wirft sich in Drillichhosen
Und übt sich schwitzend im Paradeschritt,
Als ging's kopfüber gegen die Franzosen,
Und krampfhaft schleppt es die Tornister mit.
Und blitzt der Exercirplatz dann exotisch
Wie ein gemaltes Farbenmosaik,
Dann wird die Schusterjugend patriotisch
Und lautauf spielt die Regimentsmusik.
Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten,
Der Schooßhund bellt, es kreischt der Papagei,
Papa studirt die kolorirten Karten
Von Zoppot, Häringsdorf und Norderney.
In den geschlossenen Theatern trauern
Die weichen Polstersitze des Parquetts
Und rothe Zettel predgen an den Mauern
Die golden Aera der Retourbilletts.
An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker,
Doch dreht sie leider sich ums Wörtchen "wenn";
Am gelben Gurt den schwarzen Operngucker,
Stelzt durchs Museum nun der Englishman.
Die Provinzialen aber schneiden Fratzen,
Dank ihrer anerzognen Prüderie,
Und unbemerkt nur schleichen sie wie Katzen
Um unsre liebe Frau von Medici.
Doch drauß vorm Stadtthor rauscht es in den Bäumen,
Dort tummelt sich die fashionable Welt,
Und junge Dichter wandeln dort und träumen
Von ewgem Ruhm, Unsterblichkeit - und Geld.
Rings um die wiederweißen Marmormäler
Spielt laut ein Kinderschwarm nun Blindekuh
Und heimlich gibt der Backfisch dem Pennäler
Am Goldfischteich das erste Rendezvous.
Und macht die Nacht dann ihre stille Runde
Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament,
Dann ist's dieselbe Lenznacht, die zur Stunde
Sich lagert um den Busen von Sorrent!
Dann ist's derselbe Mond, der rings das Pflaster
Sacht überdeckt mit seinem goldnen Vließ,
Den vor Jahrtausenden schon Zoroaster
Als ewgen Herold aller Lenze pries!
O Frühling! Frühling, dem die Welt entlodert,
Du führst im Schild ein Röslein ohne Dorn;
Daß uns das Herz nicht ganz vermorscht und modert,
Stößt du noch immer in dein Wunderhorn.
Noch immer läßt du deine Nachtigallen
Ins Frühroth schlagen, wie zur Zeit Homers,
Und hebst empor die Engel, die gefallen,
Die kranken Söhne Fausts und Ahasvers.
Ob du vor Zeiten einst als junge Sonne
Glorreich emporstiegst über Salamis,
Indeß Diogenes in seiner Tonne
Sich philosophisch in die Nägel biß;
Und ob dir heute noch im fernsten Norden
Ein Opfer bringt der fromme Eskimo,
Wie weiland an des Südmeers blauen Borden
Der alte Mythenkönig Pharao:
Du bist und bleibst der einzig wahre Heiland,
Dein schöner Wahlspruch jauchzt: "Empor! Empor!"
Was soll uns noch ein waldumrauschtes Eiland?
Du wandelst um den Stadtwall auch durchs Thor!
Du bist nicht scheu wie deine Waldgespenster,
Du setzst auch in die Großstadt deinen Fuß
Und wehst tagtäglich durch das offne Fenster
Mir in das Stübchen deinen Morgengruß.
Und jetzt, wo schon der Abend seine Lichter
Rothgolden über alle Dächer strahlt,
Krönst du mich lächelnd nun zu deinem Dichter
Und hast mir rythmisch das Papier bemalt.
Ich aber gebe dieses Blatt den Winden,
Die Fangball spielen um den Kirchthurmknauf,
Und wenn's noch heut die Straßenkehrer finden,
Was kümmert's mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf!
Doch fällst du einem schönen Kind zu Füßen,
Das dich erröthend in den Busen steckt,
Dann sprich zu ihm: "Der Frühling läßt dich
grüßen!"
Bis sie mit Küssen das Papier bedeckt.
Doch hascht ein Graukopf dich auf deinen Bahnen,
So ein vergilbter Langohr-Recensent,
Dann sprich zu ihm: "Respect vor meinen Ahnen!
Mein Urtext steht im Sanskrit und im Zend!
Arno
Holz . 1863 - 1929
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