Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Buch der Zeit
162 Bücher



Arno Holz
Buch der Zeit . 1. Auflage 1886



Tagebuchblätter

Urewig ist des großen Welterhalters Güte,
Urewig wechselt Herbstblattfall und Frühlingsblüthe,
Urewig rollt der Klangstrom lyrischer Gedichte,
Denn jedes Herz hat seine eigne Weltgeschichte.
                        A. H.



1.

Vom Thurme klangen die Osterglocken
Ueber des Kirchhofs trauernde Gruft,
Und gleich verwehten Blüthenflocken
Verschwamm ihr Klang in der Morgenluft.
Mich aber riefen sie in die Weite
Und ließen mich nicht im dumpfen Haus,
Und unter der Osterlieder Geleite
Zog ich die Straßen zum Thore hinaus.

Weit hinter mir im Morgendämmer
Sich das Gemäuer der Stadt verlor,
Und selbst das Pochen der Eisenhämmer
Traf nur gedämpft noch an mein Ohr.
Doch dehnte sich immer weiter und weiter
Vor meinen Blicken der sonnige Gau,
Und jauchzend auf tönender Himmelsleiter
Schwang sich die Lerche ins Aetherblau.

Da stand ich denn nun am Waldesrande
Mit meinen Gedanken so ganz allein
Und sah tief unter mir die Lande
Liegen im flimmernden Sonnenschein.
Und als dann den letzten Zweifel zu rauben,
Ein Schäfer noch blies auf seiner Schalmei,
Da wollte ich es selbst nicht glauben,
Daß Tod die Lösung des Räthsels sei.

Da schien mir alles verweht und vergangen,
Was ich betrauerte winterlang;
Und alle Saiten des Herzens klangen
Zusammen im Auferstehungsgesang.
O, solche Seelenklänge dringen
Weit höher noch in die Himmel empor,
Als je auf seinen Flatterschwingen
Ein Vogel sich in der Luft verlor!

Ja, Fest der Ostern, nun warst du gezogen
Auch endlich in diese verödete Brust;
Und dies Herz, das so oft schon das Leben betrogen,
Erzitterte wieder von süßer Lust
Und schlägt nun der hohen Feier entgegen,
Die über die Erde zu gießen verheißt
Den herrlichsten aller himmlischen Segen,
Den welterlösenden, heiligen Geist.

Der heilige Geist ist die ewige Liebe,
Die Gott in die Herzen der Menschen gesenkt,
Und die mit jedem Ostertriebe
Von neuem sich zum Lichte drängt.
Sie schwebt herab vom Himmelssaale
Zu Jedem, der an sie noch glaubt -
O neige, neige die goldene Schaale
Auch hier auf dieses Beterhaupt!



2.

Die süßen Klänge der Liebe
Ringeln wie Opferduft
Sich aus dem Erdengetriebe
Empor in die Gottesluft
Und tragen auf ihren Schwingen,
Dem Alltagsleben entflohn,
Die Seele mit Singen und Klingen
Bis hinauf zu des Vaters Thron.
Und wenn dann die Zeit erfüllet,
Flattert sie erdenwärts,
Und was ihr der Himmel enthüllet,
Flüstert sie dir in das Herz.

Und dieses stimmt dann wieder
Die Saiten zum höheren Chor,
Und jubelnd steigen die Lieder
Von neuem zum Himmel empor.
Und so in stetem Kreisen,
Tönend durch Raum und Zeit,
Verhallen nie die Weisen,
Die einmal der Himmel geweiht.
Sie schweben und flattern voll Wonne
Den leuchtenden Wolken zu -
Mein Himmel und meine Sonne
Bist immer und ewig du!



3.

O, wie so oft hab ich gesessen
Auf moos'ger Bank am Buchenhag
Und sann beglückt und selbstvergessen
Dem Räthsel deines Wesens nach!
Dann sang am waldverschwiegnen Orte
Ihr hohes Lied die Maienfee,
Und jedes ihrer süßen Worte
Fiel mir ins Herz wie Blüthenschnee;
Und jedes ihrer süßen Worte
Klang mir wie Deutung deines Seins
Und golden that sich auf die Pforte
Und ich und du, wir waren Eins!

Und doch; wenn du dann kamst und lächelnd
Die Anmuth dir zur Seite ging,
Und süßer als der Maiwind fächelnd
Dein weicher Odem mich umfing:
Dann war dahin, was kaum gewesen
Und was nur dunkel mir geschwant,
In deinen Augen konnt ich's lesen,
Von Wundern, die ich nie geahnt;
In deinen Augen konnt ich's lesen,
Was ich gewann, was ich verlor,
Und süßerschreckt schien mir dein Wesen
Nur räthselhafter als zuvor!



4.

Nun ist es so still hier im dämmernden Hain,
Nur der Nachtwind spielt in den Bäumen,
Und heimlich vermahnt mich der Mondenschein:
Nun ist es Zeit zum Träumen.
Ja, träumen will ich, das Haupt in der Hand,
Von dir, die den Frieden mir brachte;
Es ging ja noch nimmer ein Stündlein ins Land,
Darin ich nicht deiner gedachte.
Du Leid meines Leides, du Lust meiner Lust,
Schlägst du doch als Herz mir hier tief in der Brust!

Dein Augenspiel grüßt mich im Funkeln des Thaus,
Der rings auf die Gräser gefallen,
Und dein Athem weht drüben ums Gartenhaus,
Das die Düfte der Maien umwallen.
Und was nun im Flieder die Nachtigall singt,
Sind ach, meine eignen Gedanken,
Die blüthenumflüstert und silberumblinkt
Um meine Liebe sich ranken.
Ach, was ich nur jemals gefühlt und gedacht,
Nun klingt es hinaus in das Schweigen der Nacht!

Nur Eins hat sich nie und nimmer gewußt
In schmelzende Töne zu kleiden,
Und das ist die aller höchste Lust
Und das aller tiefste Leiden.
Doch wo ein Herz ein Herz versteht,
Da öffnen sich golden die Pforten
Und flüsternd vor Andacht, wie ein Gebet,
Erklingt's in den heiligen Worten:
Dich liebt ich immer, dich lieb ich noch heut
Und werde dich lieben in Ewigkeit!



5.

Die Dächer da drunten röthet
Der Abendstrahl,
Und droben im Flieder flötet
Die Nachtigall.
O, wie die Klänge mir schlagen
So süß ans Ohr,
Als wollten auch sie beklagen,
Was ich verlor!

Das ist das Lied der Lieder,
Das dort erklingt
Und mit silbernem Klanggefieder
Ins Herz mir dringt:
"Nun hast auch Du empfunden
Der Liebe Leid
Und kannst nun nie gesunden
Zu keiner Zeit!

Denn eine Sonne nur grüßet
Vom Himmelszelt,
Nur eine Liebe versüßet
Das Weh der Welt.
O daß am Himmel die Sonne
Nicht ewig steht,
Und daß der Liebe Wonne
So bald verweht!" .....

Durch dämmernde Abendhülle
Tönt so der Sang,
Und eine Liederfülle
Ist jeder Klang.
Schon senkte sich zitternden Fluges
Aufs Thal die Nacht,
Da ist dem Tage des Truges
Ein End gemacht.

Doch ob auch die Sterne nun blinken
Am Himmelsdom,
Und ihre Lichter mir winken
Aus jedem Strom,
Und ob auch der Mond mir ins Zimmer
Gießt all den Schein:
Das wiegt doch nie und nimmer
Das Herz mir ein! -

Du aber, o Traum, o umfächle
Das süße Kind,
Daß es im Schlafe noch lächle
So wunderlind!
O schwebe im Glorienschimmer
Von Gottes Thron
Und laß es vergessen auf immer
Den Liedersohn! - -



6.

Erst jetzt, da du dich von mir wendest,
Fühl ich, wie tief ich dich geliebt,
Und daß, wenn du sie mir nicht spendest,
Es keine Lust mehr für mich giebt.
Was soll mir noch des Maien Blüthe,
Da ich so krank bin im Gemüthe,
Und was des Sommers Duft und Pracht?
Ich mag nicht mehr den Schmelz der Auen,
Ich will hinfort nur Eins noch schauen:
Das wüste Nebelgrau der Nacht!

Mich lockte auf dem hohen Firne
Der Lebenskrone goldner Glanz,
Du aber preßtest in die Stirne
Mir ach, nur einen Dornenkranz!
Verflucht durch dieses Kainszeichen,
Werd ich nun durch das Leben schleichen,
Das keine Freuden für mich hat;
Denn immer muß ich dein gedenken,
Und nimmer will sich auf mich senken
Die Taube mit dem Friedensblatt!

Und kommt denn keiner, mir zu sagen,
Wie ich vergessen mag die Zeit,
Da dir mein armes Herz geschlagen
So himmelhoch, so weltenweit?
Und soll sie denn auf ewig rinnen,
Die Wunde tief im Busen drinnen,
Die einst dein stolzer Sinn mir schlug?
O Herz, mein Herz, hör auf zu gluthen!
Hör auf zu zucken, auf zu bluten!
Es ist genug! Es ist genug!



7.

Er that mir leid, der arme Mann,
Wie er so traurig saß und sann.
Es schaute ihn der Abend nur
Und die ersterbende Natur.
Von Zeit zu Zeit fuhr aus dem Strauch
Ihm übers Haar Novemberhauch,
Und Blatt im Baum und Rohr im Ried
Sang ihm ins Ohr ihr Schlummerlied.
Er aber lauschte statt auf sie
Und ihre süße Melodie
Nur in sein eigen Herz hinein
Und war ganz mutterseelallein.
Da trat zu ihm die dunkle Nacht
Und sprach es aus, was er gedacht.
Das klang so ahnungsvoll bewegt,
Wie wenn im Lenz die Drossel schlägt:
"Horchst du noch immer, Menschenkind,
Wie deine Wunde blutend rinnt?
Und willst du nie nach Todeswehn
Zu neuem Leben auferstehn?
Sieh, dunkel schweigt um dich die Flur,
Und mit dem Tod ringt die Natur.
Doch eh der Thau zum Zweiten fällt,
Erglänzte abermals die Welt;
Und schon nach wenig Monden hebt
Ihr Haupt die Erde neubelebt.
Darum bescheide du dich still
Und harre deß, was kommen will.
Denn deines Lebens goldne Zeit
Ruht noch im Schooß der Ewigkeit.
Und naht sich einstmals ihre Stund,
Und küßt dich leise auf den Mund,
O, dann kehrt auch ins Herz zurück
Dir deiner Liebe todtes Glück!" -
So sprach die Nacht und schwieg darauf
Und schaute zu den Sternen auf.
Er aber sah sie traurig an,
Denn ach, er glaubte nicht daran.
Er glaubte nur in seiner Noth
An seines Seelenlebens Tod.
Da winkte sie mit weißer Hand
Ihm einen Gruß noch und verschwand.
Nun war es wieder still um ihn;
Die weißen Nebel sah ich ziehn,
Und droben aus dem Wolkenflor
Trat wunderbar der Mond hervor.
Er sandte golden Strahl auf Strahl
Herab auf Berg und Wald und Thal
Und löste sanft in seinem Lauf
Des Fremdlings Weh in Wehmuth auf.
Doch wie ich ihn nun weinen sah,
Da ging mir's in der Seele nah!
Ich wäre gern mit Rath und That
Dem weltverlornen Mann genaht
Und hätte gern mit ihm getheilt
Und ihm das kranke Herz geheilt.
Doch leider Gottes ging's nicht an,
Denn ich war selbst der arme Mann!



8.

O wie weit, wie weit,
Liegt die goldne Zeit,
Wo mein Herz von tausend Liedern schwoll!
Nun ist stumm mein Mund
Und mein Herz so wund
Ist von Thränen, nur von Thränen voll!

O was gäb ich drum,
Wär ich nicht so stumm,
Und die Thräne fände ihren Lauf!
Aber Lied wie Schmerz,
Hütet stumm das Herz,
Und wer kommt und schiebt den Riegel auf?

Junger Liebe Glück,
Kehrst du nie zurück?
Ach, das Herz mir noch das Herz zerbricht!
Wie ein Funkelstern,
O so ewig fern,
Glänzt die goldne Zeit im goldnen Licht!



9.

O daß doch aus dem Klanggewinde
Mir Blatt auf Blatt von dannen stiebt
Und ich nicht mehr die Worte finde,
Wie sie das Herz dem Herzen giebt!
Denn ach, die Lust singt immer leiser
Und immer lauter schreit das Weh,
Und längst sind alle Hoffnungsreiser
Begraben unterm Winterschnee.

Ich bin so stumm und still geworden
Und sing nur manchmal noch im Traum,
Doch in den klagenden Akkorden
Tönt meiner Schmerzen Echo kaum.
Und will mir auch die Brust zerspringen,
Es trägt kein Lied ihr Weh hinaus:
Und so muß denn auch dies verklingen
Und ist doch lange noch nicht aus!



10.

Schweigt, ihr Gedanken, und tönt, ihr Gefühle,
Die ihr so oft schon im Erdengewühle
Mir dieses Herz mit sich selber versöhnt!
Schwingt euch gen Himmel auf goldnem Gefieder,
Wandelt euch klingend in tröstende Lieder,
Daß ich vergesse, warum ihr ertönt!

O, sagt es niemand, daß längst eurem Dichter
Alle die sonnendurchfunkelten Lichter,
Die euch umflimmern, erloschen sind!
Tänzelt und gaukelt wie Falter um Rosen,
Laßt euch von schmeichelnden Lüften umkosen,
Selber so flüchtig wie Wetter und Wind!

Braucht doch die Welt nicht schon heute zu wissen,
Daß sie erst gestern das Herz dir zerrissen,
Weil es zu rein und zu heilig erglüht!
Opfre dein Herzblut, o laß, laß es fluthen,
Siehe, schon strömen die feurigen Gluthen,
Freier und reiner nun wird dein Gemüth!

Höher und höher in lieblicher Feier
Schwebt deine Seele, es fallen die Schleier,
Und dir erscheint ein erhaben Gesicht.
Unter dir siehst du der Erde Gebilde,
Ueber dir schaust du des Himmels Gefilde,
Um dich und in dir ein göttliches Licht.

Juble nun, daß du der Erde entronnen,
Wenn du auch noch nicht den Himmel gewonnen,
Schwebst du doch über der Welt und dem Schein!
Aber zu bald nur erlahmen die Flügel,
Nahe und näher schon winken die Hügel,
Klaffend bedroht dich das spitze Gestein!

Ach, und schon fällst du, und wehe, da liegst du!
Aber was willst du und warum auch fliegst du?
Bleibe dahier, denn der Himmel ist hoch!
Wandle auf Erden und krieche im Staube,
Denn dich bethört nun dein hoffender Glaube,
Wie dich dein Herz und die Liebe betrog! -



11.

Nur einmal möchte ich noch singen
Ein Lied, das dir mein Alles klagt;
Dann mag die Harfe mir zerspringen,
Dann hat mein Herz genug gesagt.

Doch woher nehme ich die Worte,
Wie finde ich die Melodie?
Die Blume meiner Lust verdorrte
Und mit ihr starb die Poesie!

Ich fühl's, eh mir der Tod begegnet,
Hat sich mein Lied nicht ausgeweint -
Denn was verflucht zugleich und segnet,
Kein Wort noch hat's in sich vereint.



12.

Mit den Wolken, mit den Winden,
Steur' ich nach dem goldnen Vließ -
Das verlorne Paradies,
O, wann werd ich's wiederfinden?

Tag und Nacht, in Schlaf und Wachen,
Wogt um mich die dunkle Fluth,
Und die Sehnsucht, die nicht ruht,
Ja, die Sehnsucht ist mein Nachen!

Und so gehn denn Mond und Sterne
Immer wieder meerempor;
Doch wie sie, winkt Edens Thor
Mir ach, immer nur von Ferne.

Aber laß das Rad nur rollen,
Wie's das schon seit je gethan,
Denn auch deine irre Bahn
Wird sich ja vollenden wollen.

Wind und Wellen werden schlafen
Und sein Ziel erreicht dein Boot,
Denn sein Steuermann heißt Tod
Und der Himmel ist sein Hafen!



13.

Und immer weiter
Dreht sich die Welt,
Ihr Pfad wird breiter,
Ihr Triebrad schnellt;
Die Stunden rollen,
Die Sonne scheint,
Ich bin verschollen
Und niemand weint!
In Kraut und Kressen
Auf hohem Stein
Lieg ich vergessen
Und ganz allein;
Nur eine Linde
Schwingt über mir
Im Abendwinde
Ihr grün Panier,
Und leis nur zittert
Mir ums Gesicht,
Goldrothumwittert,
Das Abendlicht.

Die Welt ging unter,
Die Gott erschuf,
Nur noch mitunter
Ein Vogelruf;
Nur noch zuweilen
Ein irrer Schrei -
Die Wolken eilen
Vorbei, vorbei!

Was wie ein Stern mir
Die Brust durchzieht,
Singt nun von fern mir
Sein Alphornlied.
Erinnrung hält mich
In ihrem Bann
Und plötzlich fällt mich
Die Sehnsucht an.

O Lust von weiland,
Nie liegst du weit!
O selig Eiland
Der Jugendzeit!
Die Blumen blühten,
Die Quelle sprang,
Die Sterne glühten,
Die Amsel sang
Und mir gab Küsse
Zu jeder Stund,
Als ob er's müsse,
Ein Mädchenmund!
Noch stockt der Schmerz mir
In seinem Lauf -
Wie ging das Herz mir
In Liedern auf!
Doch wer beschriebe
Die goldne Zeit,
Die erste Liebe,
Das erste Leid?
Wie dort die Sonne
Versinkt in Nacht,
Stirbt Weh und Wonne,
Eh wir's gedacht.
Schon deckt ihr Schleier
Den Fluß, das Ried -
Die alte Leier,
Das alte Lied!



14.

Ins Meer versank des Abends letzte Röthe,
    Du gabst mir scheidend das Geleit,
Im nahen Wald blies eine Hirtenflöte
    Ein altes Lied aus alter Zeit.

Nicht Küsse waren's, die wir heimlich tauschten,
    - Es war die Zeit des Blätterfalls -
Doch als am Kreuzweg die drei Linden rauschten,
    Fielst du mir weinend um den Hals!

Und deiner Liebe langverhaltnes Leiden,
    Aus deinem Herzen brach's hervor,
Als ahntest du's, daß Jedes von uns Beiden
    Im Andern auch sich selbst verlor!

Und Worte sprachst du, die ich nie vergessen,
    Doch ach, uns gönnte das Geschick
Nur noch ein letztes Aneinanderpressen...
    Es war ein dunkler Augenblick!

Doch nicht entweihen will ich jene Stunde,
    Drum still, o still, Erinnerung!
Denn nie schließt sich ein Herz um seine Wunde,
    Ein echtes Leid bleibt ewig jung.

Noch immer, wenn des Abends letzte Röthe
    Ins Meer taucht, wird das Herz mir weit,
Und mich umklingt wie eine Hirtenflöte
    Ein altes Lied aus alter Zeit.



15.

Ja, ich geb's zu, und du hast Recht, mein Freund:
Der Sommer ist's, der meine Wange bräunt,
Und meine Lenzsaat steht noch ungeschnitten.
Und doch, der erste Frühschmelz ist dahin,
Mein Herz ward dunkel, düster ward mein Sinn,
Denn ach, wer viel geliebt, hat viel gelitten!

Ich weiß, du glaubst und hoffst noch. Nun es sei!
In mir ruft's faustisch schon: Vorbei! Vorbei!
Nur wenig noch will meinem Herzen taugen:
Ein Blumenduft, ein ferner Glockenklang,
Ein Vogelruf, ein Sonnenuntergang
Und dann und wann ein Blick in Kinderaugen.



16.

Ich rauchte nicht und trank kein Bier,
Ein junger Mensch von achtzehn Jahren,
Und dieses Buch der Welt schien mir
Wie eines Engels Memoiren.
Schon sah ich mich im Frührothschein
Vor lauter Glück die Hände falten,
Doch heut gesteh ich's traurig ein:
Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten!

Auch schrieb ich manchen Liebesbrief
Und schwärmte á la Heinrich Heine,
Doch das war kindisch und naiv,
Denn statt der Herzen fand ich Steine.
Nun hängt am Galgen mein Humor
Und macht mein warmes Blut erkalten,
Denn traurig klingt es mir im Ohr:
Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten!

Zwar meiner Kunst ersehnten Kranz,
Schon streift ihn hie und da mein Scheitel,
Doch denk ich schon wie Meister Hans
Und deklamire: Alles eitel!
Mir kreist das Hirn, mir wankt das Knie,
Ein Andrer mag mein Amt verwalten!
Zu traurig klingt die Melodie:
Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten!



17.

Wohl glüht wie ein rother Karfunkel
Der Wein mir im zinnernen Krug,
Und fern in des Kellers Gedunkel
Da stehn noch der Fässer genug.

Doch will es mir heute nicht glücken
So fröhlich wie gestern zu sein,
Und die zitternden Hände drücken
Sich tief in die Schläfen hinein.

Des Rathswächters Pfeifen und Rufen
Zeigt draußen die Mitternacht an,
Und längst stieg die steinernen Stufen
Der letzte der Gäste hinan.

Daheim am flackernden Herde
Genießt er nun traulich sein Glück,
Und ich blieb hier unter der Erde
Ach, nur mit mir selber zurück!

Und wie es so einsam geworden
Und rings um mich still wie im Grab,
Da klingt es in weichen Akkorden
Bis tief in mein Grübeln herab.

Erst stiehlt es sich lieb und verlockend
Hinein in das lauschende Ohr,
Und dann schwillt es froh und frohlockend
Zum jubelnden Hochzeitschor.

Und die schmeichelnden Weisen erzählen
Der Luft und dem flackernden Licht,
Wie droben in schimmernden Sälen
Mein Glück in Scherben zerbricht.

Ich aber sitze und sinne,
Verloren in Gram und in Schmerz,
Und das Lied von der sterbenden Minne
Durchzuckt mir das blutende Herz.

Verworrene, wilde Gedanken
Entsteigen dem fiebernden Hirn
Und klammern wie dornige Ranken
Sich fest um die faltige Stirn:

Nun wiegt sie wohl droben im Tanze,
Von luftigen Schleiern umwallt,
Geschmückt mit dem bräutlichen Kranze
Die liebliche schlanke Gestalt.

Doch ein Andrer fühlt jetzt erwarmen
Das Herz, das einst klopfte für mich,
Und ein Andrer darf sie umarmen
Und ein Andrer sie küssen als ich!

Und lauter kreischen die Geigen
Und wilder bäumt sich mein Leid,
Und toller verschlingt sich der Reigen
Von Traum und Wirklichkeit.

Es knistern die seidenen Schleppen,
Es funkelt der goldne Pokal,
Und mir ist es, als stieg ich die Treppen
Hinauf in den Marmorsaal.

Dort ruht unter Myrthen und Rosen
Ein Brautpaar auf schwellendem Thron,
Doch sein heimliches Küssen und Kosen
Mich trifft es wie schneidender Hohn.

Gedenk der gebrochenen Eide,
Empört sich mein siedendes Blut -
Nun nehme mich und euch Beide
Der Himmel in seine Hut!

Doch eh ich noch über die Schwelle
Den Weg in das Blumenmeer fand,
Hat wieder die blendende Helle
Sich gähnend ins Dunkel gewandt.

Und wieder sitz ich und sinne
Hier unten im düstern Gelaß,
Und das Lied von der sterbenden Minne
Verkehrt sich in glühenden Haß.

Und mir ist es, als müßte nun suchen
Mein Herz sich die ewige Ruh,
Als müßt ich mich selber verfluchen
Und dich und den Himmel dazu!



18.

O du, der nie aus jenem Becher trank,
Den einst die Sehnsucht schmeichelnd dir kredenzt,
Sieh, ich bin elend, und dies Herz ist krank,
Drin Haß und Liebe aneinander grenzt!

Das aber macht, ich trank von jenem Saft,
Gemischt aus Himmelslust und Höllenleid,
Zu viel für diese kurze Erdenhaft
Und ach, zu wenig für die Ewigkeit!

Und doch; wie du auch lachst zu Spiel und Scherz,
Nicht gäb ich meinen gramverstörten Sinn
Für deine Lust und für dein leichtes Herz,
Um das Bewußtsein meines Elends hin!

Denn Werke des Gedankens und der That,
Wie sie dein Geist noch niemals in sich trug,
Sollst du vollbracht sehn, wenn die Zeit sich naht,
Durch meiner Seele letzten Athemzug!



19.

Endlich durchfährt nun mit Sang und Klang
Der Frühling wieder die harrende Welt;
Und wo er sich zeigt, da singt es,
Und wo er nur wandert, da klingt es,
Jauchzend zum Himmelszelt.

Das hören wohl tausend Blaublümelein,
Die da schlummerten unter dem glitzernden Gras,
Und heben die Köpfchen und schauen,
Wie grün schon die Wiesen und Auen
Und blühen ohn Unterlaß.

Nun hebt sich ein Ahnen in jeglicher Brust
Und ein sehnendes Hoffen allüberall;
Was draußen zum Lichte sich windet,
In jeglichem Herzen findet
Es klingenden Widerhall.

Und wen nur der Frühling zum Feste sich lud,
Der mag nun nimmermehr traurig sein;
Doch mich hat er nicht geladen,
Ich kann ja die Seele nicht baden
In dem goldigen Sonnenschein!

Ich kann ja nicht steigen zu schwindelnden Höhn,
Wo das Adlerweib brütet im luftigen Horst!
Ich kann ja nicht liegen und lauschen,
Wie die Wälder so einsam rauschen
Und die Amseln pfeifen im Forst!

Muß bleiben daheim, ob mit Ungestüm
Auch das Herz in die lockende Ferne mich zieht;
Muß hören das Klatschen der Basen,
Statt zu ruhen im blumigen Rasen
Und zu lauschen dem Lerchenlied!

Vor dem schwärzlichen, städtischen Bogenthor,
Da schauert der lustige Frühling zurück -
Ach, zwischen den Giebeln und Mauern
Muß ich nun einsam vertrauern
Meinen Jugendtraum und mein Glück!

O du Stadt und du kleinliches Krämervolk,
Wie bin ich doch euer so übersatt!
Tagtäglich dieselbe Reise,
Tagtäglich dasselbe Gleise,
Tagtäglich dasselbe Rad!

Und dazu noch dies Weh, o dies innerste Weh,
Das die Brust mir zerreißt und die Sinne zerwühlt!
O sende nur einen Tropfen
Auf dieses Herz und sein Klopfen,
Der die lechzende Seele mir kühlt! - -

Wo das Meer erbraust dumpfdonnernden Schlags
Und die weißlichen Möven flattern und schrein
Und die dunkelnden Meereswellen
Sich bäumen und fluthend schwellen
Zum Leuchtthurm am Klippenstein:

Da möcht ich wohl stehn, ha du wilde Lust!
Wenn die rasenden Fittige schüttelt der Sturm,
Wenn die schnellenden Wogen rollen
Und die gellenden Donner grollen
Und das Feuer verlischt auf dem Thurm!

Und macht dann des Sturmwinds Orgelmusik
Dich, du wildaufschlagendes Herz, nicht gesund:
Dann kommt, o ihr Wogen, ihr kühlen,
Von dem Fels mich hinunter zu spülen
In den gähnenden Meeresschlund!



20.

Der Sonne letzter Schein
Umspielt das schwanke Ried,
Der Thürmer bläst sein Lied
Ins Abendroth hinein.

Von fernher weht ein Duft
Berauschend mir ums Haar,
Ein weißes Taubenpaar
Durchflattert noch die Luft.

Nun taucht mein Geist ins Bad
Und stärkt sich im Gebet,
Ein Engel Gottes geht
Stillsegnend durch die Stadt.

Für Jeden, der ihn sieht,
Hat er im Herzen Raum:
Dir gab er einen Traum,
Und mir gab er dies Lied!



21.

Jüngst sah ich den Wind,
Das himmlische Kind,
Als ich träumend im Walde gelegen,
Und hinter ihm schritt
Mit trippelndem Tritt
Sein Bruder, der Sommerregen.

In den Wipfeln da ging's
Nach rechts und nach links,
Als wiegte der Wind sich im Bettchen,
Und sein Brüderchen sang:
Di Binke di Bank,
Und schlüpfte von Blättchen zu Blättchen.

Weiß selbst nicht, wie's kam,
Gar zu wundersam
Es regnete, tropfte und rauschte,
Daß ich selber ein Kind,
Wie Regen und Wind,
Das Spielen der beiden belauschte.

Dann wurde es Nacht,
Und eh ich's gedacht,
Waren fort, die das Märchen mir schufen.
Ihr Mütterlein
Hatte sie fein
Hinauf in den Himmel gerufen!



22.

O du lieber, linder Sommerabend,
Bist so süß wie zarte Frauenhuld,
Wenn dein tiefgeheimer Zauber labend
Mich in wunderholde Träume lullt.
Bin ich singend über Land gezogen
Wohl den ganzen Tag im Sonnenschein
Und nun schreit ich durch den Thoresbogen
In die altersgraue Stadt hinein.

Von den holzgeschnitzten Giebelspitzen
Sich schon längst der letzte Schimmer stahl,
Nur die hohen Kirchenkreuze blitzen
Golden noch im späten Abendstrahl.
Kinder auf den Treppensteinen hocken,
Spielen Haschen oder Blindekuh,
Und dazwischen läuten fromm die Glocken
Von den Thürmen Feierabendruh.

Wer sich abgemüht in Tagesschwüle,
Ruht im Schooße seiner Lieben aus;
Herzerquickend duftet ihm die Kühle,
Wie ein frischgepflückter Blumenstrauß.
Rollt kein Wagen mehr, es schlägt kein Hammer,
Denn der Werkeltag ist längst verrauscht;
Lämpchen knistert schon in stiller Kammer,
Drin der Nestling Mutters Märchen lauscht.

Immer stiller wird es auf den Gassen,
Immer heimlicher die Dämmrung winkt,
Bis das Giebeldach die silberblassen,
Mondgewebten Flimmerstrahlen trinkt.
Wo in marktumpflanzten Lindenbäumen
Funkenwürmchen hin und wieder fliegt,
Wandeln Liebende in süßen Träumen,
Hand in Hand und Arm in Arm geschmiegt.

Mit den alten, halbverwaschnen Runnen
Und dem steingehaunen Reckenbild
Steht am Rathhauseck der Rolandsbrunnen,
Der aus hundert Röhren tönend quillt.
Auf bemoostem Rande sitz' ich nieder,
Und ich schaue in die Fluthenpracht,
Und ich lausche auf die Wiegenlieder,
Bis mein Herz zur guten Ruh gebracht.

Und da hör ich, wie auf leisen Sohlen
Blonde Engel durch die Gassen gehn,
Und ich blinzle ab und zu verstohlen,
Um die blonden Engel auch zu sehn.
O du lieber, linder Sommerabend,
Bist so süß wie zarte Frauenhuld,
Wenn dein tiefgeheimer Zauber labend
Mich in wunderholde Träume lullt!



23.

Nun pfeift der Herbstwind ums Gemäuer,
Und grau in grau verschwimmt die Luft,
Und um den Herd und um sein Feuer
    Webt Winterduft.

Das ist die Zeit, wo sich die Seele
Stilleinsam auf sich selbst besinnt
Und wie im Lenz einst Philomele
    Auf Lieder sinnt.

Willkommen drum zur guten Stunde,
O Muse, unter meinem Dach;
Ist auch dies Stübchen hier im Grunde
    Kein Prunkgemach!

Vier Wände nur und was darinnen,
Ein Tisch, zwei Stühle und ein Schrein;
So sitzen wir vergnügt und sinnen
    Beim Lampenschein.

Doch draußen, welch ein grauses Wetter
Durchrast gespensterhaft die Nacht?
Mir däucht, so klingt das Horngeschmetter
    Der wilden Jagd!

Der Regen peitscht in jähem Grimme
Ans Fenster, daß der Laden wankt,
Und durch die Luft heult eine Stimme
    Und ächzt und bangt.

Ein Kreischen wie von Wetterhähnen
Umkreist der Kirche nahen Thurm,
Denn ihn bedräut mit giftgen Zähnen
    Der Drache Sturm.

Von Menschen scheint die Stadt verlassen,
Kein Licht mehr, das nicht längst verblich,
Und wer hinabblickt auf die Gassen,
    Bekreuzigt sich.

Fürwahr, ist da nicht unsre Zelle
Ein irdisch Stücklein Seligkeit,
Und predigt nicht des Lämpchens Helle
    Gemüthlichkeit?

Und näher rücken wir zusammen
Und was ich frage, thust du kund;
Dein Auge spielt in blauen Flammen,
    Es lacht dein Mund.

Aus Ost und Westen, Süd und Norden,
Von Steinen, Blumen und Gethier,
Warum und wie sie so geworden,
    Erzählst du mir:

Und was einst vor so manchem Jährchen
Die Welt erlebt in Lust und Leid,
Und wenn ich bitte, auch ein Märchen
    Aus alter Zeit.

Wie Siegfried einst die Maid Brunhilde
Durch seinen Kuß vom Schlaf erweckt,
Und wie sich hinter diesem Bilde
     Ein Sinn versteckt.

Wie jährlich noch die Mutter Erde
Sich einspinnt in die Winternacht,
Bis sie im Lenz durch Gottes Werde
    Aufs Neu erwacht.

Drum laß den Tod nur draußen dräuen,
Wir zwei sind gegen ihn gefeit;
Das Leben wird sich schon erneuen
    Zu seiner Zeit.

Als Lenz wird es uns Veilchen bringen,
Und tändeln wird's als Blüthenfall,
Und Nachts im Flieder wird es singen
    Als Nachtigall!



24.

Das alte Jahr hat seine Sterbeglocken
Verklingen hören über Raum und Zeit
Und schimmernd eingesargt von weißen Flocken
Versinkt es in die Ewigkeit.
Doch leuchtend aus dem Schooß der Winternacht
Ringt schon das neue seine jungen Glieder
Und träumt, die Erde sei mit ihm erwacht,
Geweckt vom süßen Klang der Frühlingslieder.

Doch schau, wie fröstelnd es die weiße Decke
Schon wieder über seine Glieder zieht,
Weil es von Eis umglitzert Hag und Hecke
Und ach, kein einzig Veilchen sieht!
Doch fasse neue Hoffnung, neues Jahr,
Denn so wie dir ist's jedem noch ergangen
Aus deiner ewigen Geschwisterschaar;
Und doch, der Lenz kam immer noch gegangen!

Noch herrscht der Tod; doch wenig Wochen später
Und hoch im Winde schwankt das junge Ried,
Dann singt ein Lerchenchor im blauen Aether
Des Frühlings Auferstehungslied.
Und wonniger, als du dir je erträumt,
Wird die Natur dir noch ihr Herz erschließen,
Wenn von des Sommers Aehrengold umsäumt,
Des Lebens Quellen rauschend dich umfließen.

Doch was in dieser Welt dich auch entzückte,
Vergilt es uns auf deiner Tage Flucht
Und jede Blüthe, die im Lenz dich schmückte,
Gieb uns im Herbst als reife Frucht!
Und schlägt dereinst die Stunde deines Seins,
Dann sei dein Segen für das Wunschgedeihen,
Wenn wir statt eines todten Marmorsteins,
Dir ein lebendiges Gedächtniß weihen!



25.

Die Schöpfung ist ein ew'ges Werden,
Ein ew'ger Wechsel ist die Welt;
Der kleinste Stein lehrt's dich auf Erden,
Er wächst, er dauert und zerschellt.
Und dennoch willst du sie verklagen,
Die Parze, die den Faden spinnt,
Und meinst du könntest es nicht tragen,
Wenn dir ein Traum in Nichts zerrinnt?

O sieh, wie hoch sich dir zu Häupten
Die Sterne drehn im Sphärentanz;
Wer weiß, ob sie nicht längst zerstäubten,
Und dennoch blendet dich ihr Glanz.
So läßt Erinnrung auch im Busen
Dich dein versunknes Eden sehn
Und durch die goldne Gunst der Musen
In Liedern wieder auferstehn.



26.

O Herz, du fühlst dich wie von Gott geweiht,
Und hoch schlägst du empor in deinen Träumen,
Wenn dir die Sehnsucht ihre Flügel leiht
Und mit dir wandelt unter Blüthenbäumen.

Kein Wölkchen segelt durch das Blau der Luft,
Die Knospen brechen und die Früchte schwellen,
Und fernhin schaukelt sich's wie Rosenduft
Sanft über sanft bewegten Meereswellen.

Doch dringt auch Erd und Himmel auf dich ein,
Es läßt dich nie an einem Orte rasten;
Denn ach, dich lockt ein ferner Zauberschein
Und ruhlos mußt du nun die Welt durchhasten.

Wie oft nicht glaubtest du den stillen Strand
Der selgen Inseln schon erspäht zu haben,
Doch tratest du dann zögernd an ihr Land,
So war's nur, drin die Hoffnung zu begraben.

Doch die du scheidend schon so oft beweint,
Stets ist sie noch erwacht aus ihrem Tode
Und hat sich schmeichelnd wieder dir vereint
Und trank mit dir und brach von deinem Brode.

Du aber fügtest dann in Klang und Wort
Von neuem deine ewigen Gefühle
Und spähtest nach dem heißersehnten Port,
Der dich errettet aus dem Weltgewühle.

Denn wen sein wilder Strudel erst erfaßt,
Der ist für alle Ewigkeit verloren;
Kein Götterbote lädt ihn mehr zu Gast
Und besser wär's, er wäre nie geboren.

Drum harre aus, wie du bisher gethan,
Und halte fest an allem, was dir theuer;
Zwar nur gebrechlich ist dein schwanker Kahn,
Doch sitzt die Liebe ja an seinem Steuer.



27.

Apage, blonder Satan, laß mich los!
Ich weiß, dies ist das Haus "Zu den drei Nymphen",
Doch setze dich nicht gleich mir auf den Schooß
Und kokettire nicht mit deinen Strümpfen!

Dein Wort ist wie ein tönendes Geschell,
Du wirst dies junge Herz mir nicht beschwatzen;
Du bist ja doch nur eine Biermamsell
Und feil und falsch wie alle diese Katzen.

Durch dein Gelächter zischt die rothe Lust,
Die Goldgier grub sich tief in deine Züge
Und luftgepolstert thront auf deiner Brust
Die gummifabricirte Doppellüge.

Was dir an Locken baumelt um die Stirn,
Ist mühsam nur gestutzt mit Papilloten
Und dein vertracktes kleines Weibsgehirn
Ist bis zum Platzen vollgepfropft mit Zoten.

Du machst die Augen zu und schnalzst: Wie schön!
Und nippst beim Nachbargast vom Blut der Reben
Und denkst dabei nur an das Lustgestöhn,
Als du dich gestern Nacht ihm preisgegeben.

Dein Element ist recht die Völlerei,
Das Austernfressen und Champagnersaufen ....
Doch Teufel! schlägt die Stutzuhr dort schon Zwei?
Da, nimm mein Portemonnaie - und laß mich laufen!



28.

Mein Herz schlägt laut, mein Gewissen schreit:
Ein blutiger Frevel ist diese Zeit!
Am hölzernen Kreuz verröchelt der Gott,
Kindern und Thoren ein seichter Spott;
Verlöscht ist am Himmel das letzte Roth,
Ueber die Welt hin schreitet der Tod,
Und trunken durch die Gewitternacht klingt
Das sündige Lied, das die Nachtigall singt!

Die Menschheit weint um ihr Paradies,
Draus sie ihr eigener Dämon verstieß,
Und heimlich zischt ihr die rothe Wuth
Ihre Parole zu: Gold und Blut!
Gold und Blut, Blut und Gold!
Hei wie das klappert, hei wie das rollt!
Und wüst dazwischen kräht der Hahn:
Volksohnmacht und Cäsarenwahn!

Und immer dunkler wird die Nacht,
Die Liebe schläft ein und der Haß erwacht
Und immer üppiger dehnt sich die Lust
Und immer angstvoller schwillt die Brust;
Kein Stern, der blau durch die Wolken bricht,
Kein Lied, das süß von Erlösung spricht -
Mein Herz schlägt laut, mein Gewissen schreit:
Ein blutiger Frevel ist diese Zeit!



29.

O, sieh mich nicht an,
Du blasser Dämon!
Wir sind allein ....
O, hab Erbarmen!

Nur ein einziges Weib
Ist so schön, wie du:
Die Teufelin Lilith,
Die Mutter des Kain!

Runzle die Braunen
Und nenne mich "Narr",
Lache mich aus
Und tritt mich mit Füßen -
Nur, sieh mich nicht an!

Sieh mich nicht an
Und laß deine weißen,
Runden Brüste
Nicht so sehnsüchtig wogen!
Denn deine rothen
Lippen sind
Für meine Seele
Viel zu süß!

Ach! diese Hand hier,
Die sich jetzt zitternd
Mir auf das Herz preßt,
Soll dereinst ja
Im Männerkampf
Lanzen brechen
Und Speere schütteln;
Und über dies Haupt hier,
Das sich jetzt
Vor dir, du Vampyr,
Du schöner Vampyr,
So tief erniedrigt,
Soll einst messianisch
Das goldne Banner
Der Zukunft wehn!

O, sieh mich nicht an,
Du blasser Dämon!
Wir sind allein ....
O, hab Erbarmen!

Ich weiß es! Ich weiß!!
Und wenn ich auch einmal nur,
Wollustächzend,
In deinem brünstigen
Schooße geschwelgt,
Ich müßte sclavisch
Auf dein Geheiß
Thun, was du willst,
Und ich würde der Wurm sein,
Den du zertrittst!
Dann wäre zertrümmert
Auf ewig mir
Die schöne Welt
Der Ideale
Und meine Seele
Gehörte dir!
Ich würde der Wahrheit
Ins Antlitz spein
Und meine Brüder
Müßten verbluten!!

Drum sieh mich nicht an,
Du blasser Dämon,
Und laß deine weißen,
Runden Brüste
Nicht so sehnsüchtig wogen,
Denn deine rothen
Lippen sind
Für meine Seele
Viel zu süß!

O goldene Venus,
Große Göttin!
Wir sind allein ....
O, hab Erbarmen!!



30.

Wohl jauchz ich, wenn der Tag sein Werk bestellt,
Und helf ihm mit, die alte Zeit zerhämmern,
Doch soll noch manchmal mich umdämmern
Die alte, goldne Heidenwelt!

Denn stets beleidigt meine Phantasie
Ein Marmorchristus mit verrenkten Knochen,
Doch oft hat mir ins Herz gesprochen
Ein Jupiter Otricoli!

O schöne Zeit, als am Hymettoshang
Ein heilig Volk sein heilig Feuer schürte,
Als Phidias seinen Meißel führte
Und Pindar seine Hymnen sang!

Ihr Wallfahrtsweltort hieß Olympia
Und nicht von Holz war'n ihre Rosenkränze,
Wenn sie die priesterlichen Tänze
Sich seelenvoll verschlingen sah!

Die Erde, nicht der Himmel, war ihr Traum,
Erst später lernte sie das dumme Knieen;
Sie spann nicht graue Theorieen,
Ihr Leben war ein grüner Baum.

Doch das ist lange, o schon lange her,
Die Opferschalen fielen und zerklirrten,
Und heut tönt nur das Lied der Hirten
Noch nächtlich übers Mittelmeer.

Das Volk des Perikles gab sich den Rest,
Doch wächst und blüht der Stammbaum des Eumäus -
Heut ist die Weltstadt am Pyräus
Ein elendes Barackennest!

Zwar ist der Himmel noch wie ehmals blau,
Der Urwald harft noch und das Weltmeer psaltert,
Doch ach, die Menschheit hat gealtert
Und pinselt nur noch grau in grau!

Der Schönheit goldner Springquell ist versiegt,
Fürwahr, wir leben in der Zeit des Spottes,
Da selbst die heilge Mutter Gottes
Auf Pflaumenbäume kriecht!

Drum zupft den Dichter nicht an seinem Kranz
Und titulirt ihn nicht gleich einen Narren,
Denkt er umqualmt mal von Cigarren
Der Götterwelt Altgriechenlands.



31.

Wie lang ist's her? Erst sieben Jahre!
Und doch klingt's schon: "Es war einmal!"
Der Wiege näher als der Bahre,
Stieg ich tagtäglich ins Pennal.

Ich war ein träumerischer Junge,
Las Cicero und Wilhelm Hauff
Und trug das Herz auf meiner Zunge
Und spießte Schmetterlinge auf.

Auch lief ich, Katzengold zu suchen,
Oft Tage lang im Wald umher
Und schwärmte unter hohen Buchen
Von einstger Nimmerwiederkehr.

Betäubend dufteten die Kressen,
Grüngolden floß das Licht herein;
Es war ein seliges Vergessen,
Vergessen und Vergessensein!

Der Lenzwind ließ die Aeste knarren,
Vom Dorf herüber klang die Uhr,
Ich lag begraben unter Farren
Und stammelte: "Natur! Natur!

In alten Büchern steht geschrieben,
Du bist ein Weib, ein schönes Weib;
Ich bin ein Mensch und muß dich lieben,
Denn diese Erde ist dein Leib!

Weh, jenem bleichen Nazarener!
Er stieß dich kalt von deinem Thron!
Ich aber bin so gut wie jener
Der Gottheit eingeborner Sohn!

Ich will nicht mönchisch dich zergeißeln -
Her, deinen Freudenthränenwein!
Ich will dein Bild in Feuer meißeln
Und Vollmensch wie ein Grieche sein!

Doch du, um die in ewgem Schwunge
Die Welt sich dreht, o Poesie,
O, lege Gold auf meine Zunge
Und in mein Herz gieß Melodie!

In ewge Lieder laß mich weben,
Wie du das Herz mir süß erhellt,
Und wie so köstlich doch das Leben
Und wie so wunderschön die Welt!

Noch gährt's von Blinden und von Tauben
Und mehr als ein Herz ward zum Stein,
Ich aber lehre sie wieder glauben,
Ich will der neue Johannes sein!

In deine Wunder will ich wiegen
Die Sehnsucht ihres kranken Seins,
In deine Arme will ich sie schmiegen,
Denn ich, du, sie ...o, wir alle sind Eins!"

So lag ich träumend einst im Walde,
Wenn tiefblau rings der Himmel hing,
Bis draußen hinter grüner Halde
Die Sonne blutroth unterging.

Dann schritt ich heimwärts, und mit Singen
Begrüßt ich meines Vaters Haus
Und schaute, wenn die Sterne gingen,
Noch lange in die Nacht hinaus.

Und jetzt? - Die heimatlichen Thäler,
Die seine Jugend grün umrauscht,
Hat längst der lyrische Pennäler
Für eine Weltstadt eingetauscht.

Er sieht mit Schauder, wie das Laster
Sich dort juwelenfunkelnd bläht,
Das Elend aber tritt das Pflaster
Von Morgens früh bis Abends spät!

Er hört, wie nachts in den Fabriken
Der Proletar nach Freiheit schreit,
Indeß ein Volk von Domestiken
Dem nackten Recht ins Antlitz speit!

Er fühlt, wie wilde, wilde Flammen
Ihm heiß und roth das Hirn durchlohn,
Und beißt die Zähne fest zusammen
Und murmelt: Hohn, Hohn, dreimal Hohn!

Er sieht, er hört, er fühlt den Jammer
Und wandelt tags von Haus zu Haus
Und grollt dann nachts in seiner Kammer
Sein Herz in wilde Lieder aus.

Er hat es längst, schon längst vergessen,
Wie wohl im Lenz die Sonne thut,
Und wie's im Wald, umblüht von Kressen,
Sich einst so schön, so schön geruht!

Nur manchmal, manchmal noch durchziehen
Sein Herz, das nach Erlösung schreit,
Die grünen Waldhornmelodieen
Der längst verrauschten Kinderzeit.

Dann stöhnt er auf, und seine Hände
Preßt er verzweifelt vors Gesicht
Und rings die weißgetünchten Wände
Erzittern, wenn er schluchzend spricht:

"O Poesie, du Heiligschöne,
Von Thränen ist mein Herz durchnäßt,
Weil du den treusten deiner Söhne
In Nacht und Noth verkümmern läßt.

Ich war ein Kind und sprach: ""O, schütte
Dein Füllhorn golden in mein Lied
Und laß mich knien in einer Hütte,
Auf die der Stern der Liebe sieht.

Ja, laß auf einem weißen Zelter
Mich fliegen in den Sonnenschein,
Laß aus des Lebens Freudenkelter
Mein Herzblut sprühn als Liederwein!""

Du schwebtest segnend durch die Lüfte,
Ich hab dir selig nachgeblickt,
Und Lenzgoldlicht und Blüthendüfte
Hast du mir lächelnd zugenickt.

Und doch, und doch! Du hast gelogen!
Dein Lächeln war ein schönes Gift!
Du hast mich um mich selbst betrogen!
Dein Herz ist schwarz wie deine Schrift!

Du gabst mir einen wilden Rappen,
Umschnürtest meine Brust mit Erz
Und unter Thränen in mein Wappen
Hast du gestickt ein blutend Herz!"


  Arno Holz . 1863 - 1929






Gedicht: Tagebuchblätter

Expressionisten
Dichter abc


Holz
Buch der Zeit
Zwölf Liebesgedichte

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Tagebuchblätter, Arno Holz