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Zwölf Liebesgedichte
162 Bücher



Arno Holz
Zwölf Liebesgedichte . 1. Auflage 1926



9

Ich
zeigte dir den Mond
durch einen Frühlingsbaum.

Jede Blüte, jedes
Blättchen
hob sich aus seinem Glanz.

Jede
Blüte, jedes Blättchen
schimmerte.

Flimmernde Wiesen; Nebelglast;
lichtdämmernde
Weiten;
dunkele, fern verstreute, magisch glimmende Trauminseln
und
dazwischen
ein
feinschmalhin sich verschlängelndes, immer wieder heimlich aufblitzendes,
seliges
Silbergegleiß!

War
das noch...die...Erde?

Beide Arme
schlangst du mir um den Hals!

………..

Unter
jubelnden Feldlerchen,
durch Sommerduftblau, aus
sanft
geballtem Wipfelgrün,
über
wallend sich wiegendem, schlankhalmig sich biegendem, wogend sich
schmiegendem,
leisrauschend reifendem,
vollährig, dickkörnig, langgrannig
mannshohem, gelbem, blumendurchblühtem
Korn
grüßte uns mit seinem grauen,
schlichten,
schindelgedeckten Tannenholzbretterturm,
auf dem sich der rostbraune,
windverknickt krumme, ehemals goldblecherne Posaunenengel
schon längst
nicht mehr drehte,
das
alte, lehmgeduckt, moosdächerig, talversteckt stille,
kuschelig
kleine,
freundliche, friedliche
Schwarzpappelaudörfchen,
das uns so lieb...geworden war.

Wir gingen Hand in Hand.

Vom nahen Wald
her,
schmeichlerisch...ab und zu,
umfächelte uns...ein...lind erfrischendes,
letzend labendes, wohlig kühlendes
Lüftchen;
scheue, zage,
flatterliche, spielerische,
vorwitzig, neckisch, naseweis
kecke
Zephirwölkchen,
sich
bildend, verweilend, sich ballend, enteilend,
sich
lösend,
verteilend,
fliehend, wandernd, ziehend
durch den
fernhoch, fernweit, ferntief
ewigen,
lasurenen, ätherischen
Azur,
koslaunig,
wie
scherzend, wie tändelnd, wie schäkernd,
von
Zeit zu Zeit,
überhauchten, überglitten,
überschnäbelten
uns
mit ihren...Schatten;
unter deinem wellenden, wippenden, nickenden Ährenkranzhut,
kaum spürbar,
hie und da,
wie
heimliches, wie herrliches,
wie
köstlichstes...Verheißen,
wie
zitterndes, wie herzklopfendes, wie süßestes
Seligkeitsahnen,
wie
himmlisches, wie überirdisches, wie keuschestes
Glücksversprechen
berührte...mich dein Haar.

Ein
großer, ernster,
mystisch
dunkelpurpurbrauner
Trauermantel,
mit
schlanken, spielerischen, tastsuchenden Psychefühlern, zartem, tupfendem, spaßdrolligem Rollrüssel
und
atmend,
zuckend, tuckend
weitauseinandergespreiteten,
zackig, eckig, schwefelgelb gesäumten, bläulich, streifig, lichtpunktig glimmenden Schwingen
sich
immer wieder mitten vor uns auf den Boden setzend, immer wieder
dicht vor uns aufflatternd,
lockte uns,
wie
verzaubert, wie sphinxisch, wie pfadweisend,
feierlich,
durch
eine enge, lange,
in
graugrünen Windungen
sich
senkende
Teufelszwirnschlucht,
in
die wir uns noch nie
verirrt hatten,
taumelnd sich tummelnd,
abseits,
immer wieder
weiter,
weiter...und...weiter.

An
einer letzten,
wirrblätterig verästelten,
fast
betäubend duftenden Holunderbuschbiegung,
die uns mit ihren vielverstielt
flachen,
gastlich, festlich,
juwelenkäferchenüberfunkelt, staubfädchenfeinflinkerüberwirrwarrt,
weißgrünlich schwebenden,
überanderthalbhandbreiten Blütendoldenriesentellern
den ganzen Ausblick noch zuerst versperrte,
plötzlich,
entschwand er!

Wo
waren wir?

Aus
einem verlorenen
Grund,
in dem sich einsiedlerisch
ein merkwürdig, spiegelglatt, bläschenperlend friedsames,
florfliegenumschwirrtes, libellenübersirrtes,
blankheimeligverträumtes, grauerlenumsäumtes,
verschwiegen regungsloses,
sonderbar eirundes Schilftümpelchen sonnte,
zwischen
Klatschmohn, Augentrost, Bienensang, Storchschnabel, Taubenkropf, Wicken,
Wolfsmilch, Kuckucksnelken
und
schlanken, edelen,
märchenhaft,
rosettenszepterig, silberflimmerig, rispentraubenblütig,
grellgoldgelb
ragenden Königskerzen
schlängelten,
wirrten und äderten
sich
die schrägen, regenrillig abschüssigen, kleeköpfchenüberkucknickten Steilhänge hoch
lauter
vergessene Wege.

Sie
führten alle...in den Himmel!

………..

Durch raschelndes...Herbstlaub...im Sonnenschein,
hinter jenem versteckten Rotdornwäldchen,
aus dem einmal
an
einem frühen,
unvergessenen, blendend sonnenblauen
Junitag
(wirre, flirre, schwirre
Hitzwellchen
wellten,
die winzig schmalen, lichten, sanftgebogen harten Birkenkätzchen, die
uns
wehend streiften,
schienen uns weicher
als aus
Seide und Samt,
grüngrau
feine, klitzekleine,
amaranten ziere Zittergrasherzchen
bebten,
schwankten und wankten,
die stolzen, weißen, anmutig, lieblich, holdselig goldäugigen Sternblumen
standen,
strahlten und leuchteten,
durch alles, berauschend, durch alles
berückend...durch alles...beglückend,
immer wieder
nur
ein und
derselbe,
nahfern tiefe, trunken
glühe,
glockendunkle, schwärmerische
Jubelton)
schmelzend, schmachtend, schluchzend,
lockend, frohlockend,
inbrünstig,
Stunden und Stunden
lang,
unsichtbar eine irre Amsel schlug,
suchten wir
nach unserem verwunschenen,
wild
verwachsenen,
von Duft betäubend
wie
übersprühten, über, über und über überblühten,
weltentrückten,
weltverlorenen, weltverträumten
Rosenrondeel,
das uns schirmend, das uns schützend, das uns
segnend, gnadend,
benedeiend
in
unserem höchsten...Glück umschlossen!

Wir fanden es.

Die
kriechenden, kletternden, grünglanzblätterigen
Efeuranken
um die unförmigen, bröckelnden, tuffsteingrauen Sandsteinbalustraden
blinkten
noch;
aus der
zackenrissig zerborstenen, dickbauchigen, umgestürzten Basalturne
unter
flachkrautig, laschlappig, kraussägig
feuchtwucherndem
Löwenzahn,
traubigen, büscheligen, purpurnen
Berberitzen
und
blassen, niederen,
duftmattmüd, spärlich, spätblühend
septemberlichen
Veilchen
wand sich noch die Porphyrflamme;
das
freche, geflügelte, splitternackte Bübchen,
auf dessen
graziös, elegant,
zielend
zurückgezogenem Ellenbogenspitzchen
damals zierlich
ein
schwarzgelbstirnfleckiges, rotkugelröckiges, wunderliebstscheckiges
Siebenpunktkäferchen
gesessen,
legte,
noch immer schalklistig
blinzelnd,
das
rechte, prallwadig quappe, halsbrecherisch erhobene
Beinchen
mit
stupend unwahrscheinlicher Gelenkigkeit noch immer
grotesk um das linke, leicht vorgeknickte, burlesk
grübchenumknitterte
Kniekehlchen gezwirbelt,
das
verschmitzte, lustige, breitgequetschte Pausbackengesichtchen
schon halb verwittert,
noch immer
den
abgestupst stumpfen, moosbefiederten,
jetzt
mit einem
unschuldig flinkernden, zitternden, blinkernden Tautröpfchen
behangenen
Pfeil auf.

Wir küßten uns!

Aus dem flammenden, brennenden, glutroten Hagebuttenrund,
auf
einem lichtlila,
schlanktulpigen, blätterlosen
Blütenkelchteppich,
umspielt
von
hauchzarten,
ziehenden, fliegenden, fliehenden,
silberigen
Mariengarnfäden,
glitzerte...die...Rasenbank.

……….

In den
violetten Winternachmittag,
durch
einen in allen Edelsteinfarben
wie tropisch, kaleidoskopisch, utopisch
pracht- und prunk-
funkelnden
Eispalmenwald,
zwischen dessen irisierende Schäfte, zwischen dessen szintillierende
Fächerkronen, zwischen dessen hängende Lianenbrücken
wir uns kleine,
possierliche, runde, zierliche,
talergroße Kucklöcher gehaucht hatten,
plaudernd, plappernd,
lachend, lustig,
herzeins, frohgemut, eng aneinandergeschmiegt,
lugten wir
aus unserem warmen Stübchen.

Die
starre, knorre,
verworren, labyrinthisch, wunderlich verzweigte Ulmenkrone
mit
ihrem weißen,
phantastesken, silbernadeligen Rauhreifgeäst,
das sich ganz dicht bis unter unser breites,
vorspringendes,
schon
abendrosenrötlich bestrahltes Mansarden-Doppelfensterchen drängte,
blitzte, glitzte
und
glinzerte;
die
sich drüben auf
den
anderen Platzseiten
geduckt die Häuser Entlangstapfenden
sahen
wie buckelige, aufgeplusterte,
pumpeldick bis an die Nasenspitzen eingemummelte Samojeden aus;
ein
draußen plötzlich,
unversehens, unvermutet,
unmittelbar über unseren Köpfen, deutlich hörbar
herabholterndes, fensterblechaufpolterndes,
regenbogensprühbunt zerstäubendes Miniaturlawinchen
versetzte uns in hellstes Entzücken!

Wir waren wie zwei Kinder.

Jeder bitterbös fegende Windstoß,
der sich in
kreisenden, stiemenden, jagenden
Wirbeln
quer
über die freie, offene, glattvereiste Fläche drehte,
erhöhte unser Wohlgefühl;
jedes sich tapfer um eine Ecke schüttelklingelnde Schlittenschellenglöckchen
erfreute sich unserer beifälligsten Anerkennung;
den
feisten, beinlosen, besenbewehrten,
martialisch, herausfordernd, kreuzfidel
seinen
naßgrünen,
rissigen, splintsplittersplissigen
Rindenknubbenknast
schmauchenden,
kartoffelknollenknustnasig, steinkohlenaugig, apfelsinenschalenohrig
kürbisköpfigen, koksbrockenknöpfigen,
überlebensgroßen
Schneemann,
dem eine, wie es schien, antipatriotische,
fröhliche,
mit
Pelzmützen, Schmierstiefeln,
Fausthandschuhen,
Tuchohrenklappen und Wollstrickjacken
bewaffnete Jugend
den
schiefen, zerbeulten, festgefrorenen
Kriegervereinszylinder schon halb abbombardiert hatte,
übermütig,
betitulierten wir: "Onkel Theodor"!

Das
emsigst, hurtigst, eiligst
ruhelose, flinke,
geschäftig schnippische Rokokostutzührchen,
das
hinter uns tickerte,
holte schuckruckend unter seiner Glasglocke
aus
... krr-krr ...
und
schlugmahnte...Vesperzeit.

Auf
dem strenggeradfaltig glattgestrichenen, gleichakkuratzipfelig zurechtgezupften, mattschimmerig, mattschnörkelig, mattflimmerig
zwiebelblumenmusterigen
Tischtuch,
zwischen den beiden
buntblänkerigen, feuervergoldeten,
mit
erfreulichst, landschaftlich, lobenswertst
lieblicher,
arkadisch, idyllischst, schäferlich
niedlicher,
graziös, bravourös,
spitzpinselpritzeligst figürchendurchsetzter
Liliputmalerei
behaglich beschilderten, behäglich bebilderten,
behäbig ausladenden
Henkeltassen
prangte,
umlegt noch von allerhand
Marzipan,
Keks und Konfekt,
der mit
neunerlei verschieden geformten,
kunstfertigst gestanzten, eigenhändigst von dir
knuspergebackenen
Mürbeteigtörtchen voller selbsteingemachter Früchte
sorglich, konzentrisch, kreisrund
bezierdeckte, umkranzschichtete, bestückpackte
Kuchenteller;
die
traulich, anheimelnd,
goldgelblich hähnchenversehene,
in einer Art ragendem, rundbügelig tragendem,
durchaus solidem
Galgen-,
Schaffott- und Profoß-
Gestell
schaukelhängende,
mit einem den betreffenden Siedesprudelvorgang gemächlich sich zu bekucken
verstattenden,
halbkugelkuppeligen, knopfigen Glassturz bekrönte
Kaffeemaschine
auf ihrem biderb altväterischen,
blankgeputzten,
das leise zuckende, tuckernde, bläuliche Flämmchenspiel spiegelnden
Messingtablett
dampfte, zischbiffte, puffte,
pustete und brodelte;
und
aus dem rotbraunen,
wachsglänzig
polierten, maserig schattierten,
flamboyierten,
schweifflossigverschlungen
delphinpaar-
überzierten, von schmucken Ebenholzsäulchen flankierten,
seitab,
schrägeckig, querwinkelig
postierten
Klappschreibtisch-
Kommoden-
Spiegelschränkchen,
in
einem tiefen,
raddrehsönnchenbeschliffenen, seidenpapierüberdeckten,
geheimnisvollen,
Spannung,
Erwartung, Ahnung, Hoffnung, Erstarrung
erweckenden,
erregenden, erzeugenden
Rubinkristallschälchen,
überraschtest,
überrumpeltest, überwältigtest
du mich
mit einer betäubend, mit einer
liebevoll, mit einer mythenhaft
großen,
blendend, wohltuend, schneeig
gewölbten,
mächtigen, prächtigen,
verlockend, verführerisch, chamoisfarben
baiserbröselchendurchspickten,
baiserbröselchendurchknickten, baiserbröselchendurchquickten,
alles schon jemals Dagewesene, alles schon jemals
in Erscheinung Getretene, alles schon jemals Traumwirklichkeit Gewordene
phantastischst übertrumpfenden, bombastischst überbietenden,
gymnastischst
übergipfelnden, überkipfelnden, überzipfelnden
Giganten-,
Mammut-, Mastodon-,
Kilimandscharo-, Chimborasso-, Dhawalagiri-,
Riesen-, Monster-, Doppel-
Portion
Schlagsahne.

Noch nie,
seit die Welt besteht,
hatte einem vom Weibe Geborenen
Irdisches
so
seelenvoll ... geschmeckt!

An
einem
krisselig ovalen, schillerig
opalen,
wunderschön orangegelb gefüllten
Zuckergußkringelstern von unserem Weihnachtsbaum,
dem
schlecker-lecker
allerletzten,
mit seinem helllichten, rührenden, drollig verschiebbaren Luftbläschen,
pietätvoll,
wollte sich keiner mehr
vergreifen.

Edelmütig und wohlwollend satt
schob ihn
einer dem anderen
zu.

Beinahe,
es fehlte wirklich nicht
viel,
hätten wir uns um ihn
gekabbelt!

Endlich
losten wir ihn aus.

Du
gewannst ihn
... Ich ... mußte ihn aufessen!

Als es dann tiefer zu schummern begann,
setztest du dich ans Klavier.

Hinter deinem kleinen, stabil, verläßlich, dreibeinig korbgeflochtenen,
sechseckrandigen Hyazinthentischchen
unter der niederigen,
traut mit himmlisch, sanftblau, zartbläßlich fünfzackigen Sternchen
schablonierten,
gemütlich
abgeschrägten Dachbalkenwand
lag ich im Lehnstuhl,
döselte, schnöselte, reckte mich,
streckte mich, träumte ... und ... rauchte.

Die
alten Lieder!

Wie mein Herz sie kannte! Wie Deine Hände sie
lieb hatten!

"Als ich Abschied nahm,
als ich Abschied nahm, waren Kisten und Kasten schwer,
als ich wiederkam, als ich wiederkam,
war alles leer!"

Es war ganz dunkel geworden.

Wir
schwiegen.
………….

Wieder,
durch den sterbenden Frühling,
berauschend, balsamisch,
sich
hinverströmend,
duften jetzt
die
jungen, frühen,
großblätterig, silberstämmig,
hoffnungsgrün
lichten
Sommerlinden.

Die
langen, hellen, schwülen
Gluttage
enden kaum noch;
die
Nachtigallen singen nicht mehr;
die
flammenden, blutenden, fliegenden
Herzen,
in allen Gärten, hinter allen Gittern, vor allen
Fenstern,
verblassen, verflackern
und
verblühen.

Wie hat
Herrlichstes, wie hat Köstlichstes,
Unaussprechbares,
das
für zwei
ganze Menschenleben hätte reichen sollen,
so
enden können?!

Hier,
an
unserem Lieblingsplatz,
wo du
damals das vergilbte Büchlein last,
verlassen,
traurig, brütend, einsam
sitze
ich, zerquäle mich
und
starre der ... versunkenen ... Sonne nach.

Alles
wankt in mir, alles verrinnt um mich,
alles zerwirrwarrt
vor mir:
ich
finde nicht ... mehr ... ein noch aus!

Nutzlos,
zwecklos, fruchtlos,
aussichtslos, ergebnislos
zerplage, zermüde, zerhärme, zermürbe,
zerarbeite
ich,
umsonst zermartere ich, vergebens zergrübele
ich
mein ... Hirn.

Noch
gestern, als ich
nach qualvollen Wochen, nach
mir an dir fremden, mir nicht mehr faßbaren, mir an dir
völlig
unverständlichen
Dingen,
nach
beinahe tagtäglich
friedfreudlosem wie ... Aneinandervorbei
dich endlich ruhig, dich endlich
eindringlichst, dich endlich inständigst
ausfragte, ausforschte,
bestürmte,
bat und beschwor:
"Was ... ist dir? Was hast du? ... Was
tat ich dir
nur?
Habe ich
dich durch irgendetwas
unabsichtlich, gedankenlos, unbesonnen
gekränkt,
beleidigt oder verletzt?
Habe ich
dir
versehentlich,
ohne es im geringsten
zu wissen ... und ... zu wollen,
mißverständlich,
ahnungslos, irgendwie, unbedacht
irgendein
Unrecht zugefügt?",
als
ich flehend in dich drang:
"Du ... bist nicht mehr wie früher! Du ... bist
anders zu mir!
Sag's
mir ... doch!",
als
du dich, schluchzend, mir in die Arme
warfst,
fassungslos,
(ich verstand dich nicht)
mit
bleichem,
verstörtem, tränenüberströmtem
Gesicht klagtest du dich vor mir
an:
"Ich war
so
schlecht, so häßlich
zu dir!
Verzeih! Vergib!
Du
weißt es, du glaubst es, du ahnst es
ja nicht,
wie
totunglücklich ich oft
bin!
Ich begreife mich manchmal nicht mehr selbst! Ich
wollte wirklich nicht länger leben,
wenn du
mich
nicht noch ein ganz, ganz, ganz klein wenig
lieb
hättest!"

Deine
Schultern zuckten, deine Lippen zitterten,
deine Kniee wankten, deine Augen schlossen sich dir, deine Stimme
brach.

Ich
stand vor deinem reuigen Schmerz erschüttert!
Ich fühlte mich deiner innersten Liebe wieder so tiefsicher! Ich
zweifelte an deinen Worten auch nicht einen
einzigen Augenblick!

In
deinem
weißblauen, luftigen, lichtleichten
Vergißmeinnichtkleid,
wie
an jenem ersten Mal,
versprachst du zu kommen!

Ich
sollte
dir glauben und vertrauen.
Du wolltest dich nie wieder kalt von mir wenden! Du wolltest
mir nie wieder weh tun!

Alles,
alles, alles
sollte wieder werden,
wie es war!

Ich
hoffte und harrte!

Und...heute?

Heut?

Freudig,

bangend, erwartend, verlangend,
auf- und nieder-, immer wieder hin- und
herschreitend, unruhevoll,
schon
bevor die Stunde schlug,
sah ich
nach dir aus!

Die
blanken, zitterigen,
hurtigen, eiligen, hastigen
Wellchen vor mir
um
unser
anmutig, lauschig, einladend
smaragdgrünes,
hainbuchenbeschattetes, maserbirkenbankstilles
Halbinselchen vorbei,
flinkerten,
flirrten und flitzten;
über
die talmuldig weiten, hügellehnig breiten,
von
Honigbienen, Hummeln, Heuhupfern, Libellen,
Blaufliegen, Käfern und Grillen
summelnden, brummelnden,
surrenden, sirrenden, zirpenden, schrillenden,
von allerhand Spinnentierchen durchkrochenen, von allerlei Ameisenvolk
durchkletterten, von allerart Kribbelzeug durchkrabbelten,
buntblühenden, buntwehenden, buntwebenden, buntschillernden
Juniwiesen,
unaufhörlich, unablässig,
unermüdlich,
in allen Farbierungen, in allen Schattierungen, in allen
Flimmerierungen, in allen Schimmerierungen, in allen Glimmerierungen
spielten,
schaukelten, schwebten, gaukelten,
schwankten,
taumelten, tanzten, tummelten,
fliegflatterten, flugflitterten,
haschten und wiegten
sich
tausende,
tausende und aber tausende
von
Schmetterlingen;
der
hohe, heiße,
lichtglutende, lichttriefende, lichtflutende
Himmel darüber
glänzte.

Du kamst nicht!

Die
Schatten der Erlen
reckten...und...streckten
sich; das
lautlos geschäftige
Faltergespiel
wurde
müder...und...müder;
über die immer stiller werdende Ebene rings
weitete
sich schon, breitete sich schon, spreitete sich schon
der
erste, feinste,
zartlilabläuliche Dämmerungsduftschleier.

Der Abend stieg; die
blasse,
verschwebende, schwüldunstige
Nebelrundferne
färbte sich, langsam,
blaugrau;
aus
den weißen, friedlichen,
silberschaumdampfgetürmten
Nachmittagswolken
wurden
feuerig flammende,
flackernde, funkelnde, lodernde,
lohende Berge mit Burgen!

Meine sorgend sich bangende, meine dürstend verlangende, meine
fiebernde
Sehnsucht nach dir
wuchs.

Wo
bliebst du?

Ich
wartete!

Wartete...und...wartete!

Wie...lange?

Immer wieder
in
die alte, wonnige,
wunderbare
Seligkeitszeit zurück,
herzpochend, leidvoll...erinnerungsschwer
tauchten
meine Gedanken.

Jedes
gemeinsame Doppel-Entzücken, jedes winzigste Zwie-Erleben,
jede
unschuldigst kleinste
Freude
wurde mir, schmerzlich,
wieder wach!

Dich haben! Dich halten! Dich hüten! Dich hegen! Dich
schützen! Dich schirmen!
Dich
liebend umfassen! Dich nie wieder lassen!

War das jetzt wirklich
alles...aus?

Unsichtbar
wie
ersticktes Weinen...wie...trauriges Klagen,
wie
stilles Jammern
klang
unter den Weiden
der Fluß.

Du kommst nicht!

Die
nahe Nacht
durchschauert mich mit ihrer Kühle;
das
Wasser gurgelt;
der
letzte, fahle,
schwele Schwefelstreif drüben
verlischt.

Durchs
Dunkel...neben
mir,
taste ich nach
den nassen, kalten, dornigen, roten,
taufeuchten Blumen.

Sie...sind
tot.

Tot
wie das bißchen kurz verflogene,
wehe,
sinnlos, inhaltslos, ruchlos
gewordene
Glücksjahr, das du mir schenktest,
tot
wie jenes
beste, allerbeste,
wertvollste Stück Selbst von mir,
das ich dir freudigst,
mit
vollen Händen,
vergeudendst, vertrauendst, verschwendendst,
verschleuderischst
aus
meinem
innersten Inneren
gab!

Tot
wie mein Glauben,
tot
wie mein Lieben...tot...wie mein Hoffen!

"Ex est...voluptas!"

Ich
durchstrebe...die...Finsternis.

Dein
schwaches, schwankes,
launisch
wetterwendisches Wankelgemüt
dreht sich
jetzt
einem anderen
zu;
deine
kranke, irre...wirr...geleitete
Flatterseele
gehört
mir nicht mehr;
dein
hartes, dein treuloses, dein unstät
undankbares
Herz
hat mich auf...immerdar
vergessen!


  Arno Holz . 1863 - 1929






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