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Karl Kraus
Worte
in Versen I . 1. Auflage 1916
Die Krankenschwestern
Gott hat sich als ein Hirt des Schäfleins angenommen,
der suchts, der fands, der führts neu in den Schafstall ein.
Auch nur um eine Seel wär er auf Erd gekommen:
Wie werth muß doch bey Gott die ärmste Seele seyn.
Die ärmste Seel bei Gott war eines Schmetterlings,
der wie ein grünes Blatt auf weißer Mauer lag.
Die Welt war schwarz von Blut. Wer achtete des Dings,
das ihrer Nacht entfloh, zu retten seinen Tag.
So abgewandt der Zeit, so zwecklos, pflichtvergessen,
so Spiel und Farbe wie der grüne Schmetterling,
so freuten sich mit ihm die stolzen zwei Komtessen,
das ganze Schloß war stolz, daß es den Gast empfing.
Doch abends war man bang. Schwer wurden leichte Herzen.
Was hat der Not der Welt die beiden zugewandt?
Am Himmel brennt ein Stern, im Zimmer brannten Kerzen,
dahin zur letzten Lust - der Falter war verbrannt.
Noch zuckt das grüne Ding, die ärmste Seele zittert
vor ihrem letzten Flug. Die Hinterbliebnen weinen.
Die wundenreiche Zeit hat keine so erschüttert,
wie solcher Schwestern zwei das Sterben dieses einen.
Die Wärterin, sie muß so lang des Menschen warten,
muß warten, bis der Tod an ihre Stelle tritt.
Weh dieser Mitleidswelt, weh dieser allzu harten,
so lang will sie das Leid, dann leidet gern sie mit.
Weil wahres Mitleid schnell das Leid sucht zu beenden,
so schicken zwei zum Arzt um Äther, aus dem Haus
eilt ein beflissner Knecht, in seinen guten Händen
bringt er die Wohltat; seht, es zuckt, der Kampf ist aus.
Der Diener ist schon alt, als hätt' er viele Jahre
schon Gott gedient, so sieht er in die fremde Zeit.
Zehntausend Juden sind nicht wert dies eine, wahre,
einfältige Gesicht voll Dienst und Dankbarkeit.
Die Welt trägt ihren Fluch, hier diese Welt ist gnädig;
die kämpft um Höllenlohn, die um den Himmel warb.
Zwei Krankenschwestern stehn, so aller Pflichten ledig.
Die Welt ist todgewohnt; der hier ein Falter starb.
Hier findet Gott noch gut, was einstens er erschuf.
Hier freut er sich am Spiel, spielt Mensch und Hund und Wind.
Hier liegt ein grünes Blatt. Die Seele folgt dem Ruf.
Ihr Tag war schön, so schön wie hier die Tage sind.
Karl
Kraus . 1874 - 1936
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