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Karl Kraus
Worte
in Versen I . 1. Auflage 1916
Monolog des Nörglers
(Aus einer Tragödie "Die
letzten Tage der Menschheit. Ein Angsttraum". Schluß eines
Aktes.)
Nacht. Der Graben. Es regnet. Menschenleer. Vor der Pestsäule. Man kann in
eine Seitengasse blicken.
So merk ich wieder, wie's von unten regnet.
Aus Schlaf und Schlamm die alte Schlamperei,
sie spricht den schlaff zerlassenen Dialekt
des letzten Wieners, der ein Pallawatsch
aus einem Wiener ist und einem Juden.
Hier ist das Herz von Wien und in dem Herzen
von Wien ist eine Pestsäule errichtet.
(Er bleibt vor der Pestsäule stehen.)
Dies Wiener Herz, es ist aus purem Gold,
drum möchte ich es gern für Eisen geben!
O ausgestorbene Welt, das ist die Nacht,
der nichts mehr als der jüngste Tag kann folgen.
Verschlungen ist der Mißton dieses Mordens
vom ewigen Gleichmaß sphärischer Musik.
Der letzte Wiener röchelt noch im Takt
und läßt die Seele irdischen Behagens
rauschend, den letzten Regen dieser Welt
durchdringend, auf das nasse Pflaster fließen.
(Er blickt in die Seitengasse und sieht dort einen Betrunkenen, der mitten auf
der Straße ein Bedürfnis verrichtet.)
Hier steht er, eine Säule seiner selbst,
in riesenhafter Unzerstörbarkeit!
Er kann nicht untergehn, es überlebt
dies Wahrzeichen der staubgebornen Lüge
das Ende aller Schöpfung und er weiß,
nur er allein ist von dem allen übrig,
das Sterben geht ihn einen Schmarren an,
sein innerstes Bedürfnis muß er stillen,
es bleibt die Spur von seinen Erdentagen,
und dieses ist der Weisheit letzter Schluß.
Und gierig lausch ich seinem letzten Willen,
er hat dem Kosmos noch etwas zu sagen -
(Der Betrunkene steht unverändert da und spricht in rhythmischer
Begleitung, immer wiederholend:)
Ein Genuß! - Ein Genuß! - Ein Genuß!
Karl
Kraus . 1874 - 1936
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