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Karl Kraus
Worte
in Versen II . 1. Auflage 1917
Gebet
Du großer Gott, laß mich nicht Zeuge sein!
Hilf mir hinab ins Unbewußte.
Daß ich nicht sehen muß, wie sie mit Wein
zur Not ersetzen ihre Blutverluste.
Du großer Gott, vertreib mir diese Zeit!
Hilf mir zurück in meine Kindheit.
Der Weg zum Ende ist ja doch so weit,
und wie die Sieger schlage mich mit Blindheit.
Du großer Gott, so mach den Mund mir stumm!
Nicht sprechen will ich ihre Sprache.
Erst machen sie sich tot und dann noch dumm,
es lügt ihr Haß, nimmt an der Wahrheit Rache.
Du großer Gott, der den Gedanken gab,
ihr Wort hat ihm den Rest gegeben.
Ihr Wort ist allem Werte nur ein Grab,
selbst Tat und Tod kam durch das Wort ums Leben.
Du großer Gott, verschließ dem Graus mein Ohr,
die Weltmusik ist ungeheuer!
Dem armen Teufel in der Hölle fror,
er fühlt sich wohl in diesem Trommelfeuer.
Du großer Gott, der die Erfinder schuf
und Odem haucht' in ihre Nasen,
schufst du die Kreatur zu dem Beruf,
daß sie dir dankt mit ihren giftigen Gasen?
Du großer Gott, warum beriefst du mich
in diese gottverlassene Qualzeit?
Strafst du mit Hunger, straflos setzte sich
der Wucher zu der fetten Totenmahlzeit.
Du großer Gott, warum in dieser Frist,
wozu ward ich im blutigen Hause,
wo jeder, der noch nicht getötet ist,
sich fröhlich setzt zu seinem Leichenschmause?
Du großer Gott, dies Land ist ein Plakat,
auf dem sie ihre Feste malen
mit Blut. Ihr Lied übt an dem Leid Verrat,
der Mord muß für die Hetz' die Zeche zahlen.
Du großer Gott, hast du denn aus Gemüt
Vampyre dieser Welt erschaffen?
Befrei mich aus der Zeit, aus dem Geblüt,
unseligem Volk von Henkern und Schlaraffen!
Du großer Gott, erobere mir ein Land,
wo Menschen nicht am Gelde sterben,
und wo im ewig irdischen Bestand
sie lachend nicht die reiche Schande erben!
Du großer Gott, kennst du die Mittel nicht,
die diese Automaten trennten,
wenn sie sich trotz dem letzten Kriegsgericht
bedrohen mit Granaten und Prozenten?
Du großer Gott, raff mich aus dem Gewühl!
Führ mich durch diese blutigen Räume.
Verwandle mir die Nacht zu dem Gefühl,
daß ich von deinem jüngsten Tage träume.
Karl
Kraus . 1874 - 1936
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