162 Bücher
|
Karl Kraus
Worte
in Versen II . 1. Auflage 1917
Inschriften
Verzicht
Man sagt, zu sauer seien uns die Trauben.
Sie hängen höher, als man glaubt.
Begehre jeder, was er raubt!
Wir glauben nicht mehr an die Welt. Wir glauben.
Der Besiegte
Streit' ich vergebens gegen allen Schmutz der Gosse,
entschädigt mich die Ohnmacht vor dem Licht.
Das Leben, meistens greller als die Glosse,
ist manchmal schöner doch als ein Gedicht.
Der Unähnliche
Wenn ich mich so in eurem Spiegel sehe,
so seh' ich ein: ich habe oft geirrt.
Doch wäre ich's darum noch immer.
Ein andres ist es, was mein Bild verwirrt,
und die Entstellung ist weit schlimmer.
Daß ich es nur gestehe:
Der Spiegel hat sich oft in mir geirrt.
Zum Namenstag
Sag, hat nicht jeder Tag, an dem du lebst
In meinem Leben, deinen Namen?
Dankt meine Saat nicht deinem guten Samen,
Ob heute, ob du morgen zu mir strebst?
Noch spür' ich, wie du hebst
Ins Namenlose, Taglose den Lahmen.
Es glaubt ja Gott an dich. So sag' ich Amen!
Drei
So nehmt zum Abschied dieses Liedes Lohn,
Ich schenk' euch gerne ein Akrostichon.
Die Namen zweier sind nicht zu verkennen,
In Lied und Leben sind sie nicht zu trennen.
Doch bitt' ich euch, nehmt mich in euern Bund.
Ob Sidis Ohr, ob Doras Liedermund -
Ruf ich "Verwandlung" ihnen beiden zu,
Antwortet beides, Stimme mir und Ruh'.
Kaum glaubt' ich je, ich ahnt' es selber kaum,
An eurem Maß blieb' mir noch Reim und Raum.
Reicht mir die Hand, so schließen wir die Reih' -
Leicht finden sich zusammen alle drei.
Das Buch und die Frau
Sprach einem Buch sie zu, so sprach's ihr zu.
Es machte nicht viel Kopfzerbrechen,
und ließ das Herz in Ruh.
Sprach sie von einem Buch, so sprach sie gut.
Sie haben beide mit sich sprechen lassen,
und waren leicht zu fassen.
Doch einmal nahmen beide es genau:
die Sprache selbst und selbst die Frau.
Sie zeigten höhern Mut
und konnten zueinander sprechen.
Den Neubildnern
Wer seinen Durst am Sprachquell stillet,
dem winken ungeahnte Wonnen.
Wem sich das alte Wort erfüllet,
der hat es wahrlich neu begonnen.
Es schwelgen mißgeborne Knaben
in adjektivischen Gefilden.
Sie müssen eine Krankheit haben:
der Krebs nur neigt zu Neugebilden.
Gespräche
Die beiden ließen sich durch mein Gespräch nicht stören.
Sie horchte auf, wenn er dazwischen sprach.
Es war so wichtig ihr, mir zuzuhören,
daß sie mich, sagt sie, unterbrach.
Selbstlose Gesellschaft
Mit jenen schlimmen Schwindlern Vorsicht übe,
die sich in deine Sachen mischen.
Sie machen dir das Wasser trübe,
ohne darin zu fischen.
Sie mengen sich in deine Interessen
zu einem ganz selbstlosen Zwecke.
Sie möchten nicht von deinem Tische essen,
nur: daß es dir nicht schmecke.
Gerüchte
Der Mann war das leibhaftige Gerücht.
Lief er auf leisen Sohlen durch den Saal,
so war es ein Skandal,
und man erfuhr die Quelle nicht.
Wie gleich und gleich sich gleich verflicht,
die Gattin, die er nahm, sah aus wie Fama.
Das gab ein Ehedrama,
das Kind war ein Gerücht.
Und eh die Ehe, die nicht ehern, bricht,
gesellt sich einer zu dem Pärchen,
erzählte ihr ein Märchen.
Was war die Folge? Ein Gerücht.
Dem Schönfärber
Der beste Teil ist noch das Eingeweide.
Wie rosig malt Kokoschka manchen Wicht!
Ihn zu entlarven, das gelingt ihm nicht.
Wie anders Schattenstein. Der malt am Kleide!
Wiener Mode
Helfen wir uns aus der Not,
schlagen wir die Fremden tot!
Doch zu heben hilft uns mehr
mit den Fremden den Verkehr.
Heiter auch in ernster Zeit,
durch und durch voll Süßigkeit,
untergehen tun wir nie.
's Herz ist unsere Industrie.
Der Geschmack muß gschmackig sein.
Unsere Mode zu befrein,
mangels anderer Idee
gründen wir ein Komitee.
Ham mr nix, so mach' mr was.
San mr traurig, gibts an Gspaß.
Nicht zu waschen ist die Wäsch' -
aber heimisch! San mr fesch!
Wiener Mahlzeit
Die Nahrungsfrage abzuwickeln,
findet der Dialekt Verwendung.
Er hat es schwer mit den Artikeln
und leugnet doch der Speisen Endung.
Ach Gott, es fehlt uns an der Fetten,
wir müssen fleischlos uns bequemen.
Wenn wir nur einen Butter hätten,
wir würden auch die Schinke nehmen.
Der Wiener spricht
Wir brauchen keinen Richter nicht.
Uns protegiert das Weltgericht,
daß unsereins kein Unrecht geschieht.
Und wenn die Welt zusammenbricht,
wir richtend bei der Weltgeschicht'.
Das Hochquellwasser ist gesund.
Drum ist das Ausland auf dem Hund.
Und richtet sich die Welt zugrund,
mir san ja mir bekanntlich und
so richten wir's uns selbst - zugrund!
Merkwort
Dreifachem Reim entziehe sich die Welt
Dem Reim auf Feld und Geld und Held.
Ein Anfangsreim beendet alle Not:
Technik und Tinte führt in Tod.
Ich und die Zensur
Nie wird bis auf den Grund meiner Erscheinung
der kühnste Rotstift eines Zensors dringen.
Verzichtend auf die Freiheit einer Meinung,
will ich die Dinge nur zur Sprache bringen.
Einem schwerhörigen Freunde
Glaubst du noch jetzt, es geh' zu Gott empor?
Mißtrau dem Aug, hat dich getäuscht dein Ohr.
Hätt'st du so gut gesehn, wie schlecht gehört,
du wüßtest, daß sich's gegen Gott empört.
Karl
Kraus . 1874 - 1936
|
|