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Gedichte, Lyrik, Poesie

Worte in Versen III
162 Bücher



Karl Kraus
Worte in Versen III . 1. Auflage 1918



Inschriften

Kinematographischer Heldentod

Das Weltgericht macht uns nicht bang,
doch wird uns gerne weltgeschichtlich.
Kein Epos, ein Kino die Zeit besang:
"Sämtliche Heldentaten ersichtlich!"




Tradition

Wie? Herder schon war dem U-Boot gewogen?
Die Kunde wurde in Preußen laut.
Auch die älteren deutschen Theologen
hätten somit auf die Waffe vertraut.




Bomben auf den Ölberg

Laßt Hosianna erschallen, laßt Hosianna erschallen:
Bomben sind auf den Ölberg gefallen!
Das gläubige Ohr kein Zweifel belästigt:
Der Ölberg war längst militärisch befestigt!

Lob sei von euch dem Kühnen gesungen,
und preiset mir auch den Weisen laut:
dem endlich der große Wurf gelungen,
und jenen, der rechtzeitig vorgebaut.

Jenen und diesen, die's endlich vollbrachten,
laßt sie auf Lorbeern, auf Dornen nicht ruhn.
Denn wenn sie sich auch etwas anderes dachten,
ach, sie wußten doch, was sie tun.

Wenn statt der Kanone das Kreuz getroffen,
bei verfehltem Ziel ist die Absicht löblich.
Nicht splitterrichtend, wollen wir hoffen:
Der militärische Schade ist unerheblich.




Der Flieger

Arsenale zu treffen, wäre nicht ohne,
doch werden nur Kinderzimmer ruiniert.
Vielleicht, wer auf einen Säugling visiert,
zerstört endlich doch einmal eine Kanone!




Der neue Krieg

Am schwersten in diesem Krieg wird mir:
Gasmaske zu einen und Panier.
Wie ist das? Die vor dem Feind nicht weichen,
den Tod ihm mit chemischen Mitteln reichen,
die chlorreich bei der Waffe geblieben,
ob auch die Sonne über uns scheint -
sie wurden nicht aus der Armee getrieben
für rühmliche Feigheit vor dem Feind?




Siegesfeier

Sieg entflammt die Bürgerherzen,
das Gemüt erstrahlt im Trugschein.
Anzuzünden auch die Kerzen,
braucht man leider den Bezugschein.
Auch das Holz für Freudenfeuer
sollte füglich man bestellen.
Doch der Umstand, daß es teuer,
reicht, die Siege zu erhellen.




Zwischen den Schlachten

"Er strebt nach Lorbeer. Unter welchem Titel?
Durch welche Tat will er hervor sich tun,
auf daß sie seinen Namen nicht vergessen?
Bloß der Erkorne darf auf Lorbeer ruhn!"
"Die andern aber wollen ihn nur essen.
Er strebt nach Lorbeer, der ein Lebensmittel."




Vorräte

Wir hoffen doch, es wird erklecken,
wenn wir das Mehl und den Zucker strecken.
Noch weniger Müh' aber würde es schaffen,
mit weiser Voraussicht zu strecken die Waffen.




Ausgleich

Daß dich dein Schuster jetzt beraubt,
das schaffe dir kein Grämen.
Hast je du an deinen Schneider geglaubt,
sollst du dich selber schämen.
Ich habe mein Mütchen daran gekühlt,
wie jetzt der Schneider den Schuster bestiehlt.




Knappes Leben

Ich wollte in einem Kaffeehaus Kaffee;
da sagte der Kellner: "Gar ka Idee!"
So bat ich ihn um zwei Zigarren:
da sah er mich an wie einen Narren.
Ich hatte zum Glück noch eine bei mir:
da sah er mich an wie ein Wundertier.
Nun wollt' ich sie rauchen, da brauchte ich Feuer:
da schien ich ihm vollends nicht geheuer,
er sprach: "Ja was fallt Ihnen ein, lieber Herr,
wo nehmen denn mir ein Strafhölzl her?"
Ich hatte noch eines bei mir zum Glück:
ihn faßte das Staunen, er prallte zurück.
Ich rief ihn wieder, da stand er stumm,
mein Wesen ging ihm im Kopf herum.
"Was ist noch zu haben?" Da brachte er bloß
von Zeitungen einen ganzen Stoß.




Kriegsküche

In einem Gasthaus gab's noch eine Speise
und einen Kellner, der nicht eingerückt;
die letzten Gäste hatten Kummermienen.
Daß er den Notstand vollends mir beweise
- ich hoffte schon, es sei geglückt -
der Kellner kam und sprach: "Kann nicht mehr dienen!"




Die Redensart

Ja beim Bäcken!, sagt von je der Wiener,
wenn er meint, daß etwas nicht zu haben,
neckend die Verneinung zu verstecken.
Will er heut an einem Brot sich laben,
ists zu haben doch, korschamer Diener,
wohl beim Bäcken, nicht wahr? Ja, beim Bäcken!




Propaganda

Die Gunst der Neutralen uns zuzuwenden,
ist's verkehrt, unsre Künstler hinauszusenden.
Ich freilich bin wieder nicht zu gewinnen,
läßt man unsre Künstler bei uns herinnen.
Ich denke, es wäre zu Gunsten des Staats,
und hätte für mich einen eigenen Reiz :
man gibt ihnen einen Paß in die Schweiz
und behält unsre Künstler in Kontumaz.




Burgtheater-Tradition

Der Zustand macht uns nicht wenig stolz:
unsre Kunst war aus Marmor, jetzt ist sie von Holz.
Ich hatte stets das beste Kleid:
spricht ein Parvenü der Vergangenheit.
Wenn wir so mit dem Gehabten protzen,
hat der Gast nichts zu essen, aber reichlich zu kotzen.




Girardi im Burgtheater

Hat man deiner Kunst den Palast erschlossen,
o fliehe den Fluch der unseligen Erben!
Es glückt ihnen, deine Natur zu verderben.
Spiel ihnen, ebendort, einen Possen!




Der Ruf der Wienerstadt

Wie anders als sonst eine Frau, die gefallen,
steht diese Stadt da in schlechten Tagen.
Es darf als ihr guter Ruf erschallen,
ihr eine Vergangenheit nachzusagen!




Der Fremdenverkehr

Die Vindobona ergab ihre Ehre
einem geregelten Fremdenverkehre.
Sie wollte es immer am liebsten erleben,
er sollte sich womöglich noch heben.
Sie lockte sie, die sich ließen verführen:
Komm Kleiner, wir werden sich gut amüsieren.
Und jetzt im Krieg steht sie auf der Gassen
und fühlt sich von jedem Verkehr verlassen.
Die Fremden ließen sie schnöde im Stich -
nur durch die Hoffnung allein geht der Strich.
Doch jene bleibt: wird es Frieden geben,
so werde der Fremdenverkehr sich heben.




Die Instrumente

Ich habe es nie so recht vertragen,
daß ein Fleischer sich füllt seinen eigenen Magen.
Es hat mich besonders aufgeregt,
daß ein Schneider selbst einen Anzug trägt.
Der peinliche Anblick gab mir den Rest,
wie ein Friseur sich einmal die Haar' schneiden lässt.
Nur eine Betrachtung schien mir zu frommen:
ein Beamter hat eine Grobheit bekommen.




Unsere Post

Das ist nun hierzuland der Brauch:
die Post ist findig, doch verliert sie auch.
Du beklagst den Verlust von einem Brief?
Du wußtest doch selber, es gehe schief!
Was immer dir widerfährt durch die Post,
ein jeder Verlust hat in sich schon den Trost.
Du gabst einen Brief auf die Post - nun eben:
da hattest du ihn doch aufgegeben.




Repressalien

Konnte kein Fremdenverkehr sich entfalten,
so fühlte sich unsere Ehre verletzt.
Wie mochten wir's dennoch zum Vorteil wenden?
Die Fremdwörter waren in unseren Händen.
So haben wir sie zurückbehalten
und schlecht übersetzt.




Etymologie

Sehr wahr, der Söldner kommt von Sold.
Soldat wird man aus Pflicht.
Was so ein Händler frei gewollt,
ein Held kriegt so was nicht.




Sprachgebrauch

Was komisch ist, in deutschem Land
sehr häufig "gottvoll" wird genannt,
und als 'ne Moschee ein Berliner betrat,
er sie deshalb gottvoll gefunden hat.




Vergnügungsanzeiger

Schulter an Schulter zusammen zu wandern,
so kommen wir bis in den Wurstelprater.
Was ist dort los? Nun, unter andern
das Bundestheater.




Ersatz

Das ist ein sonderbarer Fall:
es braust ein Ruf wie Donnerhall.




Zeichen und Wunder

Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
doch kann ein Umschwung geschehen.
Der Opposition fiel das Drohwort ein,
in die Opposition zu gehen.




Revolution in Deutschland

Genossen Schliefke aus Teltow fiel es bei,
einmal auch zu Hof zu spazieren:
Wir sind eine revolutionäre Partei,
wir müssen uns revolutionieren!




In eigener Regie

Die Deutschen sind das Volk der Dichter und Denker.
Drum eben nannt' ich sie das Volk der Richter und Henker.
Stante pede aber köpfte mir ab dies Wort ein deutscher Denker.
Und gnädig machte dann den Russen sofort es zum Geschenk er.
Wahr wahr, die Barbaren waren ohne Recht, da Zaren die Lenker.
Der Deutsche aber ist sein eigener Knecht, sein eigener Henker!




Revolution

Die Zeit hat sich männiglich aufgerafft
und hat den Tyrannen vertrieben.
Ein Selbstherrscher wurde dort abgeschafft,
die Selbstknechte hier sind geblieben.




Die Balten und die Letten

Dem Freund der Freiheit ist es nicht leid:
die Deutschen haben die Balten befreit.
Nun haben also endlich die Balten
ihre Freiheit von den Letten erhalten.
Erfreulich wär's nur, wenn bald auch die Letten
durch die Deutschen schon ihre Freiheit hätten.
Und wenn beide befreit sind, so wär's an der Zeit,
daß man bald die Letten von den Balten befreit!




Die deutsche Schuldfrage

Nichts ist schwerer zu erraten:
Haben deutsche Diplomaten
erst das Volk durch ihre Taten
auf dem Hassesherd gebraten?
Oder - wer zerteilt die Wolke -
schulden sie den Haß dem Volke?




Wie es kam

Wie sie traten in Erscheinung,
machten sie die fremde Meinung.
Wollet ihr den Fall ermessen,
so begleitet nur ihr Wandeln,
sehet ihnen zu beim Essen,
höret ihnen zu beim Handeln.
Trat hinaus der Platzagent,
macht er, daß die Erde brennt.




Expansion

'nen Platz an der Sonne erlangen?
Nicht leicht.
Denn wenn er erreicht,
ist sie untergegangen.




Made in Germany

Den Handel hat uns eingerührt
die kommerzielle Gilde.
Denn das was sie im Schild geführt,
das führte sie im Schilde.
Eh' sie die Herkunft deklariert,
hat sie die Warenbilder
dem Feinde aus- und eingeführt.
Nun Schilde gibts für Schilder.




Verkehrte Götterwelt

Das ist ja ein mythologischer Spott,
man staunt nicht genug des Wandels:
Seit wann ist Merkur denn des Krieges Gott
und Mars der Gott des Handels?




Mit Gott

Vor solchem Saldo, solchem Siege
bleibt keine Allmacht ungerührt,
Geschäftsbücher und Kriege
werden mit Gott geführt.


  Karl Kraus . 1874 - 1936






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