162 Bücher
|
Karl Kraus
Worte
in Versen III . 1. Auflage 1918
Inschriften
Bunte Welt
Der Unterschied war einst die Norm,
das war im Frieden.
Jetzt ist jeder durch eine Uniform
vom andern unterschieden.
Und Feld und Wald ist nur ein Feld
in dunkler Stund'.
O Gott, wie farblos wird die Welt,
treibt sie's so bunt!
Die Werte
Ein weiser Wechsel herrscht im Land,
der Wesen und der Dinge.
Denn Blut und Geld sind blutsverwandt;
es rollt im gleichen Ringe.
Geld: nichts es uns und alles gilt;
und Blut, so viel man wolle.
Was jetzt die größte Rolle spielt,
das spielt jetzt keine Rolle!
Das Lebensmittel
Hungernd die Familie lungert,
"Vater, Brot!", so rief sie aus,
als derselbe kam nachhaus.
"Kinder!", rief er, "Rußland hungert!"
So lesen wir alle Tage
Der Feind, er leidet, uns geht's gut,
nur er hat unsere Sorgen,
was er schon jetzt entbehren tut,
entbehren wir erst morgen.
Der Feind, er lügt, wir sprechen wahr,
er soll uns nicht verlästern,
er lügt so grob, er lügt so klar,
wir lügen schon seit gestern.
Zusammenhänge
Die Butter fehlt, das Obst ist teuer,
Kartoffeln noch schwerer zu kriegen heuer,
mit den Eiern hats seine liebe Not,
Brot braucht man wie einen Bissen Brot,
es ist verboten das Zimmer zu lichten,
mit der Kohle kann man vielleicht es sich richten,
man setzt sich bei manchem Klachel in Huld,
denn Vorräte hat man nur an Geduld,
das Rauchen verbieten sie zu erlauben,
ein Wahn ist's an ein Stück Seife zu glauben,
dem Wucher öffnet man weit alle Taschen,
selbst die Hand wird nur noch in Unschuld gewaschen,
ein Schuhband vermiss' ich schon lange schier,
der Kaffee ist aus Eicheln und der Spagat aus Papier,
Papier ist knapp, möcht' unter Siegel es geben,
daß dieses immer schon schöne Leben
mit jedem weiteren Siegestag
wird schöner - es stinkt der Siegellack.
Da möchte man fort, doch weil sie doch siegen,
ist auch kein Wagen zur Bahn zu kriegen.
Das alles tut mir vom Herzen leid.
Wie immer jedoch sie den Notstand benennen,
was immer uns fehlt, es läßt doch erkennen
unsre artilleristische Überlegenheit.
Der Geschäftskrieg
"Der Krieg ist am Kommerz entbrannt!"
Zur unfrommen Meinung der Teufel lacht.
Er hätte ihn Religionskrieg genannt,
denn ein Geschäft hat ja keiner gemacht.
Der allgemeine Verteidigungskrieg
Da zehn Millionen Menschen begraben,
so bleib' ich der Menschheit weiter gewogen.
Nur möcht' ich das gute Gewissen nicht haben,
mit dem sie in jenen Krieg gezogen!
Die Schuldfrage
Wer diesen Krieg hat angefangen:
die endlose Frage den Schlaf mir stört.
Doch soll ich wieder zur Ruhe gelangen,
beginnet: Wer hat damit aufgehört!
Einem Strategen
Dem wahren Ruhm tut keine Herkunft leid;
er ist durch allerlei erwerblich.
Du wirst dank massenhafter Sterblichkeit
ganz sicher einmal unsterblich.
Aschermittwoch
Was ist von der Menschheit geblieben?
Kein Menschenmaterial!
Wir haben es toll getrieben
im tragischen Karneval!
Linguistik
"Einrückend": ist's nicht auch schon hart,
dies Partizip der Gegenwart?
Nun setzt man zu dem Massenleid
ein Partizip der Vergangenheit.
Das hat dem Herrgott Zweifel gebracht.
Seine Menschheit wurde "einrückend gemacht".
Er wandte sich von dem Haufen weg:
Zwei Mittelworte für keinen Zweck!
Den Handel machte erst abnorm
des Zeitworts wahre Leideform.
Vor dem Heldentod
Ja, beim gefährlichen Ungefähr
muß jeder seinen Mann stellen.
Jedoch die Plackerei vorher?
Auch zum Sterben muß man sich anstellen!
Jahreszeit
Das Leben geht weiter, ins Varieté
und in die Theatersäle.
Man macht sich warm, schon fällt der Schnee
auf dem Monte Gabriele.
Die Tauglichen und die Untauglichen
Der Baum der Menschheit ist ein eignes Holz
und es gefällt den strengen Gärtnern allen,
daß er verkehrt muß treiben,
und solches Wachstum macht ihn selber stolz:
Die grünen Blätter fallen,
die welken bleiben.
Wahlspruch
Nur immer heiter,
den Tod übertollt!
Das Leben geht weiter -
als Gott es gewollt.
Sinn und Gedanke
Die Sprache ist ein umständliches Wesen,
dem man nicht beikommt mit geschäft'ger Hast,
und was geschrieben, dreimal sei's gelesen,
auch wenn auf's erste man den Sinn erfaßt.
Ein leicht verständliches Epigramm
So mancher manches Wort verschmäht,
weil er es einfach nicht versteht.
Was kann der Leser denn erfahren
aus dem Gedichte "Memoiren"?
Doch merk' er sich: Das Wort ist gut,
weil er es nicht verstehen tut.
Was kann an manchem Worte sein,
sagt mancher, denn ihm leuchtet's ein.
Geh, sagt er, bring uns schwerere Kost
als dieses Witzwort von der "Post"!
Doch merk' er sich: Das Wort ist gut,
wiewohl er es verstehen tut.
Er kann an diesem Merkwort sehn:
es ist zwar gut, doch zu verstehn.
Geht leichten Reims der Sinn hervor -
die Seele ist der Sprache Ohr.
Denn was da Wort und Welt verband,
das trennt das Rätsel vom Verstand.
Unterricht
Mein eigner Zweifel ist mein Wesen,
ich weiß nur sicher, daß der eure nicht weit her ist,
nie wird von ihm mein Wort erreicht sein.
Ich rate jedem, dem's zu schwer ist,
es noch einmal zu lesen -
dann wird es ihm vielleicht schon leicht sein.
Doch wenn's zuvor schon leicht gewesen,
und wenn es unschwer vom Verstand erreicht ist,
auch da muß ich zum Lehrer werden.
Ich rate jedem, dem's zu leicht ist,
es noch einmal zu lesen -
dann wird's am Ende schwerer werden.
Es klingt anders
Weil euch der Reim nur ein Klang ist,
mag eure Ohren er immer erfreuen.
Wie würden sie allen Genuß bereuen,
wüßte das Herz, daß er ein Zwang ist!
Die Schwärmer
Als ich in der Nacht mein Werk geschrieben,
sind an meinem Licht
viele Mücken hängen geblieben.
Und ihr Summen stört mein Gedicht.
So müssen, will ich weiter schreiben,
fortan meine Fenster geschlossen bleiben.
Nun sitzen sie an den Fenstern
und sehen mir zu.
Nun ist keine Ruh
vor den Nachtgespenstern.
Der Hörerin
Daß mir die letzte Freude niemand stört!
Die Freude, ihr es vorzulesen? Nein.
Doch will sie größer als, mir zuzuhören, sein.
Nur eine Freude habe ich allein:
ihr zuzusehn, wie sie mich lesen hört!
Karl
Kraus . 1874 - 1936
|
|