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Karl Kraus
Worte
in Versen IV . 1. Auflage 1919
Die Gerüchte
Laßt mich der Regierung ein Loblied singen,
damit sich die Feinde gehörig giften.
Denn nimmermehr wird es ihnen gelingen,
in unseren Reihen Verwirrung zu stiften!
Die weise Vorsicht warnte beizeiten,
Gerüchte zu glauben und zu verbreiten.
Sie mahnte, das Unkraut auszujäten
und den Gerüchten energisch entgegenzutreten.
Denn solche Gerüchte, wie sattsam bekannt,
sind doch eine Mache der Entente.
Hat man die Quelle nur, den Lauf
hält jeder gleich mit Empörung auf.
So riß denn jeder sich um die Ehre,
daß energisch er den Gerüchten wehre,
und jeder fragte jeden empört,
ob er schon so etwas gehört,
und jeder erwiderte beklommen,
daß auch er schon von den Gerüchten vernommen,
so daß keiner im Land mehr das Faktum bestreitet:
Die Feinde haben Gerüchte verbreitet.
Sie im Keim zu ersticken, ist keiner faul
und jeder steht da mit offenem Maul,
zu spucken in alle Feindessuppen.
Es bilden sich schon die bekannten Gruppen.
Bald gab es Gerüchte ohne Zahl
und jedes schwoll an zur Ohrenqual,
doch niemand wußte, welches der Feind
Verwirrung zu stiften hatte gemeint.
Denn solcher Art sind seine Schliche:
ist man den Gerüchten auf der Spur,
und hat man sie schon, so vermißt man nur
noch von den Gerüchten das eigentliche.
Doch jeder schwört, kriegt er's zu fassen,
es sollte ihm ordentlich Haare lassen.
Drum ist auch jeder mit Recht beflissen,
was man nicht sagen darf, doch zu wissen.
Und weit und breit im Publikum
gab' jeder jedem viel darum,
wenn er ihn nicht mehr mit Gerüchten quälte,
sondern ihm die Gerüchte erzählte.
Und es erhob sich ein großes Geschrei,
was in den Gerüchten enthalten sei.
Jedoch sie zu glauben, war keiner verleitet,
denn sie waren ja doch von den Feinden verbreitet.
Drum eben gab es ein Fürchten und Flüchten
vor den verbreiteten Gerüchten,
es liefen die Männer, die Kinder, die Damen,
sobald nur die Gerüchte kamen,
und alle gelobten, darüber zu wachen,
um einander aufmerksam zu machen,
und den Gerüchten entgegen aus ihren Betten
sprangen sie, um sich davor zu retten,
und alles rief und riet und rannte,
bis Stadt und Land wie ein Lauffeuer brannte.
Nur durchgehalten, nur durchgefrettet -
schon ruft eine Stimme: Alles gerettet!
Drum sei der Regierung ein Loblied gesungen,
die Feinde aber sollen sich giften.
Denn ihnen ist es fürwahr nicht gelungen,
in unseren Reihen Verwirrung zu stiften!
Karl
Kraus . 1874 - 1936
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