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Gedichte, Lyrik, Poesie

Worte in Versen IV
162 Bücher



Karl Kraus
Worte in Versen IV . 1. Auflage 1919



Inschriften

Verzicht

Laßt uns nach der Ehre streben,
Sieg sei unser täglich Brot.
Unerschwinglich ist das Leben
und umsonst ist nur der Tod.




Mittel und Zweck

Wir dienten dem Lebensmittel
und setzten uns dreist hinweg
unter des Fortschritts Titel
über des Lebens Zweck.

Nun ist der Zweck entschwunden,
nun wird das Leben frei,
und nach wenigen schmerzvollen Stunden
ist's auch mit den Mitteln vorbei.

Die Sterbemittel ergeben
der technischen Eile Gewinn.
Wir kamen zwar um das Leben,
doch auch um des Todes Sinn.




Orakel

"Sag an,
wer wird in diesen Kriegen
unterliegen?"
"Der tapfere Mann."
"Der kann nur siegen!"
"Wohlan!
Weil er nur siegen kann."




Religionskrieg

Nun wird gar der Glaube hienieden
der feindlichen Völkerrotte
zum frechen Spott.
Denn keinen Verständigungsfrieden
schließt mit dem deutschen Gotte
der liebe Gott.




Hurra!

Kein größres Glück kann einem Sieger widerfahren,
als wenn er sich zurückzieht, zum Verdruß
des Feinds. Der fühlt sein ganzes Ungemach.
Er folgt enttäuscht und zögernd nach,
und während er den Sieger suchen muß,
kann der die Kräfte für den nächsten Rückzug sparen.




Die veränderte Lage

Als der deutsche Herrgott in Frankreich gehaust,
da kam man ihm mit dem Verständigungsfrieden.
Er drohte mit der gepanzerten Faust:
"Der Krieg wird nur militärisch entschieden!"

Verständigungsfrieden hieß dem, der gesiegt,
daß er einen Toten vom Tode verständige.
Bis er selbst eines Tags auf der Erde liegt,
denn es war gar kein Toter, es war der Lebendige.

Einen Räuber freute der tägliche Sieg,
denn ihm wollte ein Platz an der Sonne behagen.
Nun ruft er: "Das ist ein Verteidigungskrieg,
wir können uns auch im Schatten vertragen!"

Es sagte ein Sieger am Siegestag:
"Na wart, du bekommst keinen weichen Frieden!"
Und als er nun selbst auf der Erde lag:
"Der Krieg wird nicht militärisch entschieden!"




Die militärische Lage ist günstig

Worauf wir gewartet und was wir erstrebt,
vorbei ist's, wir hätten's zu gerne vernommen.
Fast hätten wir freudig die Kunde erlebt:
die Deutschen sind nach Paris gekommen!

Doch hat eine Hoffnung der Schmerz uns genommen,
wir haben noch Aussicht und die ist gewiß:
Denn wären wir nach Paris gekommen,
wir kämen im Leben nicht nach Paris!




Die Parole

Immer feste druff: das bleibt nun mal die deutsche Reichsparole,
ob man sich dabei nun Lorbeern oder etwas andres hole.
Bis zum Endsieg durchzuhalten - nein, das war kein eitles Prahlen,
denn nun gilts beim Sieg der andern immer feste druffzuzahlen.




Der Nationalitätenstaat

Der weltgeschichtliche Wille verheißt,
so sagten alle Braven,
daß endlich der germanische Geist
wird fertig mit den Slaven.

Die Patrioten sagten es laut
und dachten sich die Böhmen
auch ihrerseits patriotisch erbaut
von diesem Unternehmen.

Ja, hatten die Czechen denn einen Grund,
den Erwartungen nicht zu entsprechen?
Man hielt sie für Österreicher und
sie waren im Grunde Czechen.

Die Deutschen aber wagten frisch
und sie verloren später.
Das ist ein buntes Völkergemisch:
Esel und Hochverräter.




Feindliche Propaganda

Gerüchte und Lügen sind abgeprallt
an unsrem Ehrenschilde.
Wer uns so schwarz in schwarz gemalt,
der traf sich selber im Bilde.

Nun haben sie erst unsre Ehre verletzt,
uns gereizt mit rotem Tuche.
Denn deutsche Wahrheit ward übersetzt
aus dem deutschen Fliegerbuche.




Straßenrufe

Hätt' man mich gefragt, ich hätte die Zeit
mir gewählt, in die ich geboren,
sie mir ausgesucht nach der Neuigkeit,
die der Tag mir ruft in die Ohren.

O könnt' ich noch einmal zurück aus der Qual!
Wie lärmen doch Handel und Händel!
Einst hatte die Zeit - ach hätt' ich die Wahl -
nur die Neuigkeit: "Kaufts an Lavendel!"

Jetzt kreischt mir am Sonntag die Vettel ins Ohr
als verkörperte Weltgeschichte,
die den Sieg gewann und den Athem verlor:
"Extraausgabee! Beide Berichte!"




Optimismus

Bei diesem gewaltigen Weltensturze,
bei dem kein Stein auf dem andern steht,
und alldieweil hinterm Schicksalsschurze
der Wind bald dahin, bald dorthin weht,
trau' ich einem weltgeschichtlichen Furze,
daß alstern der Wiener doch untergeht.




Die unzulängliche Macht

Was uns so radikal verheert,
was uns durch Macht geführt zum Dreck,
war neben Herzverhärtung Hirnerweichen.

Nicht Bosheit, Dummheit hat uns aufgezehrt.
Wir waren fähig zu dem schlimmsten Zweck,
unfähig aber, diesen zu erreichen.




Rekonvaleszenz

Die Welt soll am deutschen Wesen gesunden?
So zahlen wir erst die Erholungsspesen
und gehen selber dann in die Kur!
Nicht allzuweit: wir brauchen ja nur
zu sorgen, bis unser deutsches Wesen
von Potsdam nach Weimar zurückgefunden.


  Karl Kraus . 1874 - 1936






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