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Karl Kraus
Worte
in Versen V . 1. Auflage 1920
Hypnagogische Gestalten
Ei das ist was Schönes,
dieses hier und jenes
zwinkert, lacht und wendet sich zurück.
Lustige Gemeinde,
lauter gute Feinde,
doch durchbohrend dünkt mir jener Blick.
Der hat eine Nase
wie 'ne Walfischblase,
der hat einen mir bekannten Kropf.
Aber jener Schwarze
ist nur eine Warze,
jenem wachsen Würmer aus dem Kopf.
Und nach meinem Reste
greifen diese Gäste,
und ich habe alle schon durchschaut.
Männer sind und Weiber
Häute ohne Leiber,
aber lauter Löcher hat die Haut.
Das sind mir die Rechten,
wie sie spiegelfechten,
keinem möcht' ich über meine Gasse traun.
Und zu meinem Spasse
ist's die Seitengasse
mit den mitten durchgerissnen Fraun.
Diese Ausgehurten
führen Mißgeburten,
immer dichter wird das Wortgespinst.
"Innen spinnt der Dichter":
spricht der nichtigen Wichter
einer, der dort durch das Dickicht grinst.
Schon erscheinen Schatten,
um sich zu begatten
gegen alle vorgeschriebne Scham,
die den meisten Christen,
diesen nachher tristen,
leider Gottes längst abhanden kam.
Nur heran, ihr Bäuche,
gut sind solche Gäuche,
seid ihr einmal da, so ist bald Ruh.
Kennen uns persönlich,
aber ungewöhnlich
geht es nachts in diesem Zimmer zu.
Was sind das für Sachen,
kann man halt nix machen,
ihr seid viele und ich bin allein.
Und bei euch Gorgonen
läßt sichs wahrlich wohnen,
wenn ihr Wache haltet, schlaf ich ein.
Gierig zum Verhöre,
gute Voyeure,
alles wissen sie, was schon geschah.
Nie zu solchem Nahsein
ward mir je das Dasein,
nie war ich mir nah wie diese da.
Dort mit strenger Stirne
schaltet eine Dirne
und sie bietet auf Verlangen Qual.
Das ist eine Roheit,
nackt von aller Hoheit
hängt am Fensterkreuz ein General.
Ach und jene Freche
reizt die Männerschwäche,
wiegt sich in den Hüften her und hin.
Deutlich hör' ich sagen
aus versunknen Tagen:
Sehn S' so heiter ist das Leb'n in Wien.
Nun marschiert ein Dutzend
sich die Nase putzend
mit vollendetstem Gesellschaftstakt.
Alle Kunst ist Kleister,
sie nur sind die Meister
und ich bin im Innersten gepackt.
Dort ein Mandarine
schneidet eine Miene,
ruft mir das verlorne Wort ins Ohr.
Eines Satzes Wendung
wächst mir zur Vollendung,
wenn ich sie bis morgen nicht verlor.
Wie im Kindheitszittern
riechts wie nach Gewittern,
angefühlt von jenem Element,
wie die kleinen Knaben
leicht ein Fieber haben,
glückts mir, daß es in den Adern brennt.
Wie die Finger tasten,
fühl' vielleicht ich Lasten
und sie sind zugleich so weich und leicht.
Schwebend in der Bindung,
hab' ich die Empfindung
eines Vorlebendigen erreicht.
Hier ists nicht geheuer,
voller Abenteuer
ist im Raum hier das geringste Ding.
Drüben an der Mauer
lauert ein Zentaur,
wenn zur Urzeit ich vorüberging.
Wie sie mich verwalten
diese Wahngestalten,
wie sie mich umgeben links und rechts.
Ach in welcher Landschaft
schloß ich die Bekanntschaft
dieses nie versagenden Geschlechts!
Karl
Kraus . 1874 - 1936
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