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Karl Kraus
Worte
in Versen V . 1. Auflage 1920
Inschriften
Christen
Sagt, warum achtet ihr die armen Kinder,
die nicht entstammt dem anerkannten Bunde
und also der naturgeweihten Stunde,
die außerehelichen Kinder minder?
"Nur um in sündenfernen Tagen
der eignen Unmoral sie anzuklagen.
Weil wir nicht sorgsam vorgebeugt,
zeugt gegen uns, was wir gezeugt.
Längst fault die Zeugin unsrer Lust.
Auf Gottes Schweigen läßt sich bauen.
Was wir getan, ist einem noch bewußt,
und grade diesem möchten wir nicht trauen.
Was einstens eine Stunde könnt' versüßen,
zu viel, ein Leben lang dafür zu büßen,
und täglich größer wird das Sündenmal.
Die Mutter starb, der Sohn ist ein Skandal!"
Und was nicht aus der Welt zu schaffen ist
- denn wahrlich leichter konnte es gelingen
und lustiger, es in die Welt zu bringen -
verwünscht ein Vater und ein guter Christ.
Das siebente Gebot
Es stahl
ein ruhmbedeckter General.
Man weiß
gar viel von manchem Heldengreis.
Und scharf
besprachen sie, was man nicht darf.
Ihn fichts
nicht an, der Vorwurf gilt ihm nichts.
Zuletzt
hat er ihn gar noch übersetzt.
Man darf
- er wollt' es ihnen nicht verhehlen
und scharf
sprach er und ohne jedes Zieren -
nicht stehlen?
nein: nicht generalisieren!
Schlechter Tausch
Gut und Blut und vorher den Verstand
hat man uns fürs Vaterland genommen,
und es war ein trauriges Erleben.
Ach, wir haben nichts zurückbekommen,
und bloß so viel Grütze vorderhand:
daß wir, gäb' es noch das Vaterland,
wünschten, es für Gut und Blut zu geben!
Prestige
Für das Prestige ging dieser Krieg verloren:
wer zweifelt noch, daß es die Wahrheit sei.
Prestige bedeutet Ansehn für die Toren,
doch ursprünglich bedeutet's: Gaukelei.
Müßt' ich es aber ferner noch beweisen,
so sind Beweise schnell genug zur Hand.
Schnell, wie sie Gold verwandelten in Eisen
und Gut und Blut im Handumdrehn verschwand.
Prestigiateure waren Diplomaten,
und wir vergessen diesen Zauber nie.
Für das Prestige - wer kann die Kunst erraten
verschwand geschwind die ganze Dynastie.
Felix Austria
Sie wollte sich durch Heirat nur vermehren
und hat das Siegen andern überlassen,
und dies behagte allen Landeskindern.
Um aber noch gemütlicher zu spassen,
geizte sie einmal doch nach blutigen Ehren.
Und glänzend glückt' es ihr, sich zu vermindern.
Nibelungentreue
Zwei Kaiser sind in den Krieg gezogen
und wußten nicht, wie zurückgelangen.
Denn der eine hatte es reiflich erwogen,
drum ists auch dem andern schief gegangen.
Doch hätte gewiß ihm davor gebangt,
wiewohl er alles reiflich bedacht hat,
und er ist nur darum ins Unglück gelangt,
weil der dort ihn nicht davon abgebracht hat.
Und Schulter an Schulter vom Feinde besiegt,
sie gaben für Eisen ihr letztes Gold,
und dieser fühlte sich drangekriegt
von jenem, welcher es nicht gewollt.
Doch jener tat nur, was dieser geplant,
jetzt weiß er, wer ihn hineingezogen.
Er hatte ja nicht im geringsten geahnt,
daß der da sich alles reiflich erwogen.
Wie haben wir drob dieses Leben verbracht
und wie viele Seufzer sind uns verschollen!
Ach, hätte doch dieser nicht nachgedacht,
und hätte doch jener etwas wollen!
Karl
Kraus . 1874 - 1936
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