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Karl Kraus
Worte
in Versen V . 1. Auflage 1920
Inschriften
Franz
Joseph
Wie war er? War er dumm? War er gescheit?
Wie fühlt' er? Hat es wirklich ihn gefreut?
War er ein Körper? War er nur ein Kleid?
War eine Seele in dem Staatsgewand?
Formte das Land ihn? Formte er das Land?
Wer, der ihn kannte, hat ihn auch gekannt?
Trug ein Gesicht er oder einen Bart?
Von wannen kam er und von welcher Art?
Blieb nichts ihm, nur das Wesen selbst erspart?
War die Figur er oder nur das Bild?
War er so grausam, wie er altersmild?
Zählt' er Gefallne wie erlegtes Wild?
Hat er's erwogen oder frisch gewagt?
Hat er auch sich, nicht nur die Welt geplagt?
Wollt' er die Handlung oder bloß den Akt?
Wollt' er den Krieg? Wollt' eigentlich er nur
Soldaten und von diesen die Montur,
von der den Knopf nur? Hatt' er eine Spur
von Tod und Liebe und vom Menschenleid?
Nie prägte mächtiger in ihre Zeit,
jemals ihr Bild die Unpersönlichkeit.
Der Letzte
In manchem waren sie doch nicht zu tadeln,
was immer sonst Habsburgs Häupter vollbrachten:
sie verstanden den richtigen Unwert zu adeln
und waren perfekt in verlorenen Schlachten.
Einstens, wenn Kaiserwetter uns lachte,
so war's doch sehr schön, wenngleich miserabel,
wie alles gemütlich und würdig verkrachte,
Gemischtsprachenhandlung und Sündenbabel.
Der uns mit weiser Hand so geführt hat
in das Verderben, ließ nie uns vergessen,
da er uns die Blutsuppe eingerührt hat,
daß sichs gehört, sie korrekt auch zu essen.
Aber bei weitem schon nicht so pedantisch
war, der als letzter zu herrschen erkoren.
Seit Menschengedenken ging so dilettantisch
keine Schlacht, keine Macht, keine Ehre verloren.
Zusammenhänge
Im Pferch und Stank, im stundenlangen Zwange
riß einer Wartenden die Schafsgeduld.
Verzweifelt rief sie hieramts auf dem Gange:
Die Habsburger, die sind an allem schuld!
Ungläubig lacht dazu ein Bildungsbengel
und spottet in der Zeitung jenem Schrei.
Sie aber war ein ahnungsvoller Engel
und kennt den Urgrund aller Schweinerei.
Kein bessres Wissen treibt sie in die Enge,
ihr guter Spürsinn führt sie blitzesschnell.
Nicht spanisch sind ihr die Zusammenhänge
von Wiener Dreck und Zeremoniell.
Gespräch mit dem Monarchisten
Die den Krieg gemacht und was weiter entstanden,
sie werden nimmer daran zu Schanden;
und sich zu behaupten auch ohne Degen,
sind sie vor Not und Tod nicht verlegen,
indem sie mit Recht sich darüber beklagen,
daß die heutigen Zustände nicht zu ertragen.
"Wir wären, wenn wir einen Kaiser noch hätten,
zwar auch keine Prasser,
doch längst heraus aus den Fatalitäten,
wenn schon nicht aus dem Blut, so doch aus dem Wasser.
Als er noch regierte, war alles viel billiger,
und die Arbeiter waren auch arbeitswilliger.
Ja, Krieg ist Krieg, da war nicht zu spaßen,
und im übrigen: leben und leben lassen!
Selbst im Krieg war's noch besser zu leben für jeden;
von der schönen Vorkriegszeit gar nicht zu reden.
Als Franz Joseph sein Ultimatum geschrieben,
nachdem er alles reiflich erwogen,
ist jedem noch was erspart geblieben.
Heut werden wir vorn und hinten betrogen.
Es war doch sehr schön und hat uns gefreut,
jetzt woll'n s' nicht mehr arbeiten, die Leut!
Das kann mich von allem am meisten erbosen:
man züchtet ja förmlich die Arbeitslosen.
An dem Hunger und sonst allem Mißgeschick
ist schuld nur, ich sag's ja, die Republik!"
Um mit dem Trottel ans Ziel zu gelangen
und ihm zu zeigen, wie richtig er's meint:
"Wer hat denn", sag' ich, "den Krieg angefangen?"
Sagt drauf der Trottel: "Natürlich der Feind!"
"Falsch!" sag' ich und straf ihn mit einem Blick.
"Wer denn?" sagt er. "Wer? No die Republik!
Und wissen S', warum so viel Monarchisten
sich laut über die Republik entrüsten?
Weil nicht mehr der Kaiser das Staatsoberhaupt ist,
sondern im Gegenteil: weil's jetzt erlaubt ist!"
Restauration
Schon kehren wieder alle Diebe
in das durch sie verarmte Heim
und ihnen geht die alte Liebe
halt immer wieder auf den Leim.
Wie findet sich, wie freut sich alles
und wie vollendet sich das Glück:
erst hinterließ man uns den Dalles,
nun kehrt man gar noch selbst zurück!
Seitdem sie von einander schieden,
der Dieb und jener, dem's geschah,
da waren beide unzufrieden
mit einem, der zum Rechten sah.
Mit Undank jene ihm vergalten,
die packten ihre Frechheit aus,
der Dieb und der Bestohlene schalten
auf den, der nun betreut das Haus.
Des neuen Elends gleiche Hasser,
das von einander sie getrennt,
sind die hier endlich aus dem Wasser,
die dort in ihrem Element.
Doch ahnen nicht die gern Beraubten,
wie häufig sich die Hoffnung irrt.
Was immer sie im Herzen glaubten,
der Dieb ist doch der bessre Wirt.
Denn jene, die da Speichel lecken,
sie finden ihre Nahrung schon.
Doch diese wollen weiße Wecken
von ihrer Restauration.
Was sie getan, es ist vergessen
von jenen, welchen es geschah.
Sie haben alles aufgefressen
und finden, nun sei nichts mehr da!
Vermögenssteuer
Die ihr so heftig widerstreben,
man tadelt sie für ein gerechtes Walten.
Wenn die andern schon ihr Blut hergegeben,
so wollen sie doch ihr Geld behalten.
Das Kirchenvermögen
Sag an, wer ist im ganzen Land
der schlecht'ste Zahler?
Es fällt ihr Lebtag aus der Toten Hand
kein blanker Taler.
Der Funktionär
Entgegenkommend zu sein und verbindlich
des k. k. Beamten äußerstes Lob war,
das in der Amtssprache tunlichst erfindlich,
wenn er nicht diesbezüglich auch grob war.
Um die Bestandteile gut zu verbinden,
mußte der Funktionär konnivent sein,
nach oben, nach unten, nach hinten sich winden,
rücksichtlich weil mr eh schon am End sein.
Nun, da sie doch auseinandergegangen,
was soll ihm noch seine Verbindlichkeit frommen?
Tunlichst, um hinsichtlich anzufangen,
unserem Ende entgegenzukommen.
Freiheit in Wien
Wann ist es Matthäi am Letzten?
- Der Österreicher hat keinen Vorgesetzten.
Sprachenpflege
Als Kaiser Karl sich aus Österreich entfernte,
für jeden Fall er schnell Ungarisch lernte,
damit er, wär' er bald genötigt heimzukehren,
hätt' er das Land, die Sprach' nicht müßt' entbehren.
Die Jahre gingen hin und siehe, unterdessen
hat Kaiser Karl längst sein Deutsch vergessen.
Doch von Natur begabt und prächtig aufgeweckt,
sprach er indessen Ungarisch perfekt.
In hohem Alter noch saß Kaiser Karl auf Kohlen,
daß man ihn möcht' zurück nach Österreich holen.
Da endlich fragt' er sich, vom Ziele weit entfernt:
Wozu hab' eigentlich ich Ungarisch gelernt?
Erzherzog Friedrich
Heroischer Vers
Als er, im Kino geschah's, sie da fallen sah, rief er: Bumsti!
Wozu der Lärm?
Wozu der Lärm? Brächt' er mich auch zum Schweigen,
der Ausgang könnte nimmer uns versöhnen.
Den Lärm, zu dem sie sich entschlossen zeigen,
ihn würde laut mein Schweigen übertönen.
Und wenn die unberufnen Stimmen rufen,
und wenn sie noch so laut den Saal durchschallten,
in dem Skandal, den sie sich selbst erschufen,
werd' ich den letzten Pfuiruf doch behalten!
Karl
Kraus . 1874 - 1936
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