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Gedichte, Lyrik, Poesie

Worte in Versen V
162 Bücher



Karl Kraus
Worte in Versen V . 1. Auflage 1920



Inschriften

Trost des Generalstabs

Faßt euch und zählt die Häupter unsrer Lieben,
ein süßer Trost ist wahrlich euch erlaubt:
es fehlt - wir alle sind zurückgeblieben -
kein Haupt.

Wie immer wir's in diesem Krieg getrieben
- teils in den Tod und teils nur in Misere -
so ist das letzte doch, was uns geblieben:
die Ehre.




Immer feste druff!

Sie sahen nur das, was nicht geschehn,
und hörten nur das, was ihnen frommt.
Ich hab' schon am Anfang das Ende gesehn
und wußte, was nach dem Ende kommt.

Dies Volk, genährt mit Weltenhasse,
des Wahnes entbunden, der Lüge bloß,
sie stürzen mit Messern hinaus auf die Gasse
und gehn dort aufeinander los.

Und sollt' ich nun in die Zukunft schauen,
so würde der Horizont mir zu eng.
Denn wieder seh' ich das alte Grauen
und höre das alte Schnedderedeng.

Sie werden die Welt gegebenen Falles
verwandeln ins unentbehrliche Feld.
Denn dieses geht Deutschland doch über alles,
über alles doch in der Welt!




Die Republik ist schuld

Es war ein Mann, dem sein Begleiter
die Börse stahl, und der Gewitzte
ging dann mit einem andern weiter,
der ihn vor solchem Unfall schützte.

So traurig es auch war, so heiter
war's, wie er die Erfahrung nützte:
Er schalt den schützenden Begleiter,
weil jener ihm das Geld stibitzte.

Denn damals, als er mit dem andern
spazierte, war er noch vermögend.
So arm jedoch dahin zu wandern,
verleidet ihm die ganze Gegend.

Er seufzt, die Zeit kehrt nicht mehr wieder;
wie muß die Gegenwart er hassen!
Wer wollt's auch leugnen: er kam nieder,
als jener andre ihn verlassen.

Schon klingen ihm die alten Lieder.
Bald hat a Ruh die arme Seele.
Und rasch ruft er den Räuber wieder,
damit er ihm das Hemd noch stehle.

Ja, war er denn nicht der Gewitzte?
Die Wahrheit lautet, unverhohlen:
es hat auch, daß ihn nichts mehr schützte,
ihm jener den Verstand gestohlen.

Verflucht, durch Schaden dumm zu werden,
büßt er nun erst die alten Sünden.
Das dümmste aber ist auf Erden:
Mit Trotteln Republiken gründen.




Reaktion

Die mit ihm allzulange lustgewandelt
und die er dafür hat mißhandelt,
rief einmal doch die Polizei
zu ihrem Schutz und ihrer Sicherheit herbei.

Nun, seit es keine Schläge mehr gegeben
und seit sie nicht mehr bei dem Leben,
fand sie, daß es kein Leben sei
und überhaupt, und rief den Rohling rasch herbei.

Da endlich waren sie erst eins im Hasse
wie auch im Glück der Seitengasse.
Und, was auch zwischen ihnen sei,
nicht schützt vor ihm, doch er sie vor der Polizei.




Umsturz

Heil dir in dem Siegerkranze!
tönt es weiter zum Entzücken,
und sie gehen noch aufs Ganze
in zerschlagnen Republiken.
Und sie fühlen noch das gleiche
Gott erhalte, Gott beschütze.
Und es haben Kaiserreiche
Präsidenten an der Spitze.




Bessere Methode

Sie wußten es, sie sagen fest und steif:
das Volk hier ist zur Freiheit noch nicht reif.
Damit das Volk zur Freiheit endlich reife,
zäumt man das losgelassne Pferd beim Schweife.
Es kann das Volk, wer sollt' es nur begreifen,
nur in der Sklaverei zur Freiheit reifen.




Wohnungswechsel

März und November sind die Ausziehzeiten
für jenen Hausherrn, dem der Mieter kündigt
beim Weltgericht.
Und leider gehts nicht ohne Streitigkeiten
und ohne daß man blutig sich versündigt
gehts leider nicht.

Ihm heimzuzahlen, das ist die Entlohnung,
mit welcher jener jetzt vorlieb muß nehmen
statt des Gewinns.
Und die Parteien wechseln nun die Wohnung,
der Hausherr muß sich fürder anbequemen
und zahlt den Zins.

Nicht werden die Parteien ihrem Hasse
- politisch-garstgen Liedes letzter Strophe -
je ganz entfliehn.
Ein Kabinett mit Aussicht auf die Gasse
ist jenem mit der Aussicht nach dem Hofe
doch vorzuziehn!


  Karl Kraus . 1874 - 1936






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