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Karl Kraus
Worte
in Versen VI . 1. Auflage 1922
Im Untergang
Es schaudert mir, in dieser dunklen Zeit
vor Mensch und Menschenähnliches zu treten.
Fiebriges Licht belügt das große Leid;
auf Gräbern tanzend, um im Tanz zu töten,
nützt ihre Gier nur die Gelegenheit -
um Beute könnten sie zum Herrgott beten!
Ach, als der Bluttat einziges Ergebnis
erleben wir des Menschentums Begräbnis.
Es dorrt das Mark, es stöhnt das Lebensholz.
Unselige Zeit, der Baum trägt Zeitungsblätter!
Sie nennens Fortschritt und zum Abgrund rollts,
und nirgend zeigt sich der Natur ein Retter.
Geschändet liegt der hohen Schöpfung Stolz.
Wie kam ich in das gottverfluchte Wetter?
Wie wird in diesem Weltenlauf mir bange!
Es ist die Stunde vor dem Untergange.
Alles dahin. Nichts blieb als der Genuß,
den sie mit ihrer Seele zahlen mußten.
Gefallen ist der Menschheit Genius,
seit sie das Blut in Geld zu wandeln wußten.
Musik betäubt ein furchtbar mahnend Muß,
das Nachwort allen inneren Verlusten.
Sie können täglich noch in Kursen lesen
und fallen tiefer selbst, als sie gewesen.
Und gierig greifen sie nach Schmach und Spiel;
und dafür mußten jene Bessern bluten.
Auf Ehre speiend, zu der Selbstsucht Ziel
sich hastig ziffernd durch die Zeit zu sputen,
zertreten sie was vor die Füße fiel,
der Blick erstarrt vom Abglanz der Valuten.
Sie haben sich das Weh der Welt erworben.
Und jene Guten sind uns abgestorben.
Gekerbte Puppenmänner schreiten aus,
daß man die Brut an ihren Gürteln fasse.
Doch blutiger Wucher wohnt im sichern Haus,
daß er vom Tagwerk sich erholend prasse,
und überlebt den Sturz des Weltenbaus.
Oh wie ich diese Geldvampire hasse!
Sie trotzen lachend allen Galgensträngen -
wir waren längst zu schwach, sie aufzuhängen!
Ganz ausgeblutet, waren wir zu matt,
um vorerst unsern Mördern heimzuzahlen.
Die dürfen weiter auf der Leichenstatt
von den verblichnen Herrlichkeiten prahlen.
Des Wuchers aber werden wir nicht satt,
geduldig hungernd bei den Bacchanalen.
Es finden sich nach heldisch tollem Wähnen
todsicher ein die praktischem Hyänen.
Sie schlugen uns die Pranken tief ins Herz,
die wir um nichts als um die Nahrung sorgen.
All unser Denken zielt nicht höherwärts
als an die niedere Not sich zu verborgen.
Es stand ein schuldbeladnes Haus aus Erz,
dem danken diese Nacht wir ohne Morgen!
Wie hat sie uns in Tod und Not betrogen
die Majestät, die reiflich es erwogen!
Sie riß uns alle mit in ihre Gruft.
Ich hatte Atem noch, ihr nachzurufen,
mit jenem Ruf, der durch die Zeiten ruft
und bis hinauf zu des Gerichtes Stufen.
Und dringe durch die grauenvolle Kluft,
die Wahn und Wucher aus der Welt erschufen.
So duldet stumm! Es wird in lichtem Stunden
mein Mund doch diese Dunkelheit bekunden!
Karl
Kraus . 1874 - 1936
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