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Karl Kraus
Worte
in Versen VI . 1. Auflage 1922
Nach Nestroy
"Ja, die Zeit ändert
viel"
(Der Talisman)
Wer hat nicht den glorreichen Helden gekannt,
Wie sein Zigarrl steckt er eine Ortschaft in Brand.
Die Mannschaft war ihm gut genug zum krepieren,
Derweil sich die Herrn in der Mess' amüsieren.
Ja, damals war's bunt, aber nacher wird's bunter,
Beim Umsturz da reißen s' die Stern' ihm herunter.
Jetzt is er ein einfacher Schieber in Zivil.
Ja, die Zeit ändert viel.
Kam' einer aus'm Grab heut, der erlebt' allerhand!
Um den Preis einer Villa fahrt er jetzt auf das Land.
Den Zins in der Stadt zahlt er mit ein' Packl Zigarren,
Aber um a paar tausend Kronen kriegt er erst einen Schmarren.
Mit'n Aufhängen gehts nicht, dazu is er zu stier,
Und außerdem sein ja die Strick' aus Papier.
Nur die Regierung is ihr Geld wert. Sie druckt, wie viel s' will.
Ja, die Zeit ändert viel.
Jetzt sieht man Gestalten in unserem Wien,
Die sind g'wiß von der Hölle direkt ausgespien.
Bevor diese Erde in Brand aufgegangen,
Haben s' irgendwo unten ganz klein angefangen.
Jetzt sind sie obenauf, und vom Felde der Ehre,
Wo die andern begraben, beginnt ihre Karriere.
Jetzt sitzen s' in Logen, fahren im Automobil.
Ja, die Zeit ändert viel.
Es hat einer einst alles reiflich erwogen.
Drauf sind Millionen zur Schlachtbank gezogen.
Ja, das ghört sich, daß die Völker fürs Vaterland sterben,
Denn nur so kann es sich ein Prestige ja erwerben.
Jetzt, wo sie statt dessen ein bißl Fleisch dürfen suchen -
Ja, jetzt möcht man doch glauben, daß sie die Betrüger
verfluchen?
Konträr, sie ersehnen sie tränenden Blicks.
Nein, die Zeit ändert nix!
"Da hab' i schon g'nur!"
(Der Talisman)
Die Minister jetzt gfall'n mir; man weiß, was sie wollen,
Ihr Programm ist, daß die andern mehr arbeiten sollen.
Und weil die Minister bisher zu verschwenderisch waren,
So sollen die andern dafür jetzt mehr sparen.
Ja und nacher möchten s' auch Ordnung und Ruh.
Na, da hab' i schon g'nur.
Um nicht immer wieder zu warten und lauern
Auf Milch für ihr Kind, fährt eine zum Bauern.
Sie bietet einen Tausender. Doch der Handel ist ihm fremd,
Er spekuliert nicht auf Gewinn, er will bloß ihr Hemd.
"Was? An Tausender?" - und haut gleich die Tür vor ihr zur -
"Da hab i schon g'nur!"
Uns fehlts ja an allem und vor allem an Geld,
Denn wir haben es in Fülle und so kommts, daß es fehlt.
Wir wollen's ja net g'schenkt hab'n, was glauben S' denn, ich bitt,
Euer Gnaden, so fahr' mr halt gegen Kredit!
Und Versprechungen strömen uns schaffelweis zur.
Na, da hab'n wir schon g'nur!
Es gibt einen Schnorrer - Sie wer'n ihn ja kennen -
Der will sich von seinen Gobelins halt nicht trennen.
Er bettelt mit aufgehobenen Händen
Um a Brot, doch er laßt keinen Teppich verpfänden.
Er kann ja nicht leben ohne Kultur!
Na, da hab' i schon g'nur.
Zur österreichischen Bank is einer gegangen,
Denn es steht auf der Note: sie zahlt sofort auf Verlangen
Das gesetzliche Metallgeld. Er besteht auf dem Schein.
Da sagt der Kassier: "Ja, was fallt Ihnen ein?
A Metallgeld! Gehn S' harn und geb'n S' a Ruh!
Da ham mer net g'nur!"
"Die Welt steht auf kein'
Fall mehr lang"
(Lumpazivagabundus)
Es is kein' Ordnung mehr jetzt in die Stern',
D' Kometen müßten sonst verboten wer'n;
Ein Komet reist ohne Unterlaß
Um am Firmament und hat kein' Paß;
Und jetzt richt' a so a Vagabund
Uns die Welt bei Butz und Stingel z'grund.
Aber lass'n ma das, wie's oben steht,
Auch unt' sieht man, daß's auf'n Ruin losgeht.
"Ja, a Kontroll' muß halt sein, sonst gibt's kein' Kredit!"
So hab'n s' g'sagt, doch sie wer'n mit uns anders noch quitt.
Was ein richtiges Schaf is, gibt auch so seine Woll':
Jetzt krieg'n ma an' Dreck und dazu a Kontroll'!
Da wird einem halt angst und bang,
Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang lang lang lang lang lang
Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang.
Am Himmel is die Sonn' jetzt voll Kapriz,
Mitten in die Hundstag' gibt's kein' Hitz;
Und der Mond geht auf so rot, auf Ehr',
Nicht anderster, als wann er b'soffen wär';
Die Millistraßen oben, die verliert ihren Glanz,
Die Milliweiber ob'n verpantschen s' ganz.
Aber lass'n ma das - herunt' geht's bunt,
Herunt' schon sieht man's klar, die Welt geht z'grund.
Ich war jüngst im Theater, das vergesse ich nie,
Vom Stück weiß ich nix mehr, aber von der Regie!
Überm Orchester war a Steg und auf der Bühne a Treppen
Und g'spielt hab'n s' wie die Trotteln und applaudiert hab'n die Teppen,
Da wird einem halt angst und bang,
Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang lang lang lang lang lang
Die Welt steht auf kein' Fall mehr lang.
Der Mondschein, da mög'n s' einmal sag'n, was s' woll'n,
Ich find', er is auf einer Seiten g'schwoll'n;
Die Stern' wer'n sich verkühl'n, ich sag's voraus,
Sie setzen sich zu stark der Nachtluft aus;
Der Sonn' ihr' G'sundheit is jetzt auch schon weg,
Durch'n Tubus sieht man's klar, sie hat die Fleck'.
Aber lass'n ma das, was oben g'schiecht,
Herunt' schon sieht man, 's tut's in d' Länge nicht.
Nein, das wird sich nicht halten, wir brauchen an' Herrn,
Denn fürs Vaterland sterben die Leut' halt so gern.
Wann wir erst einen Kaiser hab'n, da is nacher ka Kunst,
Dann krieg'n ma das Fleisch und die Butter umsunst.
Nach'm Kaiser is uns halt schon bang,
Denn dann steht d' Welt g'wiß noch recht lang lang lang lang lang lang
Denn dann steht d' Welt g'wiß noch recht lang.
Die Fixstern', sag'n s', sind alleweil auf ei'm Fleck,
's is erlog'n, beim Tag sind s' alle weg;
's bringt jetzt der allerbeste Astronom
Kein' saubre Sonnenfinsternis mehr z'samm';
Die Venus kriegt auch ganz eine andre G'stalt,
Wer kann davor, sie wird halt a schon alt.
Aber wenn auch ob'n schon alles kracht,
Herunt' is was, was mir noch Hoffnung macht.
Die Bankschieber, die retten uns - doch ziagt es sich hin.
Zuerst legen s' uns hinein und so lieg'n ma halt drin.
Dann retten s' uns wieder - da is's wieder aus.
Da hab'n s' g'sagt, ja die Notenbank, die reißt uns heraus.
Bis zur Rettung, da brauch'n ma noch lang -
Sie schieben sie halt auf d' lange Bank Bank Bank Bank Bank Bank
Sie schieben sie halt auf d' lange Bank.
Mit den Himmelszeichen, da is's auch a G'schicht',
Der Schütz trifft halt den Löwen noch immer nicht;
Der Wassermann in so viel tausend Jahr',
Hat die Fisch' halt noch nicht g'fangt, 's is wahr;
Mit der Jungfrau, da is's auch a Sach',
's rennen ihr so stark die Zwilling' nach.
Aber lass'n ma das, was oben passiert,
Herunt' geht's zu, daß ei'm fast übel wird.
Wie der Wiener neulich unterging, schön langsam halt ging's,
Und der Wachmann bei der Oper, der rief: Bitte links!
Ja so geht das nicht, das geht ja drüber und drunter,
Jetzt gehn S' noch amal zruck und erst nacher gehn S' unter!
Ja, da wird einem halt angst und bang
Bei so einem U - unter - gang gang gang gang gang gang
Bei so einem U - unter - gang.
Da hab'n s' oben im Tierkreis sich zusammeng'funden,
Dem Stier den großen Bären aufgebunden.
Ja was fallt denn denen ein, der fallt nicht 'rein:
Der Stier wird doch am End' kein Wolff nicht sein!
Doch ginget man der Sache auf den Grund,
So is g'wiß der große Hund ein Grubenhund,
Dahinter steckt, das is doch klar, der Schütz -
In uns er m Tierkreis macht er noch viel bessre Witz'.
Beim nächsten Erdbeben gibt's wieder a paar Stoß',
Da nimmt der Schuster die Bussole und schreibt's in die Press'.
Denn das ist nun einmal so der irdische Lauf:
Wenn die Welt untergeht, sitzt die Presse doch auf!
Da lachen die am Sirius sich krank,
Weil 's wieder einmal so gelang lang lang lang lang lang
Weil 's wieder einmal so gelang.
Die Herrn Kollegen, die von meinem Fach,
Die entdecken neue Stern' und denken nach,
Wie so ein Stern, den selbst am lichten Tag
Man doch nicht sehen kann, wohl heißen mag.
Ich bitt', wie können s' denn mit ihrem Geist
Herauskrieg'n, daß a Stern grad Zita heißt!
Ich glaub's ja selbst, daß sich das Firmament
Nach allem Allerhöchsten gern benennt.
Das haben die Sterne am Himmel so gern,
Im Herzen sind s' doch Monarchisten die Stern';
In der Republik gibt's kein' Orden, das hat keinen Reiz,
Und gibt es kein Sternkreuz, so is's für ein' Stern halt ein Kreuz.
Da wird ihnen halt angst und bang -
Die Republik steht auf kein' Fall mehr lang lang lang lang lang lang
Die Republik steht auf kein' Fall mehr lang.
's geht droben drunter und drüber, das is gewiß,
Es scheint, daß 's jedem Stern schon schnuppe is.
Herunt' hat man zu wenig Angst davor,
Wie wir mit Bomben, schmeißen s' mit die Meteor'.
So mancher Glücksstern hat schon lang kein Glück,
Der Merkur gibt 's G'schäft auf und der Krebs geht z'rück.
Doch kennt kein Fixstern und auch kein Planet
Nicht unsre Pleite und nicht unser Gfrett.
Was wir immer projektieren, so lautet 's Programm:
Da kann man nix machen und die G'schicht geht net z'samm.
Uje, da gäb's Strophen zu diesem Kuplet!
Doch denk ich mir lieber: Euer Gnaden wissen eh.
's is g'scheiter, ich hör auf mit dem G'sang -
Denn sonst dauert's am End noch zu lang lang lang lang lang lang
Sonst dauert's am End noch zu lang.
"Dieses G'fühl - ja da
glaubt man, man sinkt in die Erd'!"
(Papiere des Teufels)
Man liest was von Nestroy und es kommt einem vor
Wie eine höhere Welt und ein tieferer Humor.
Doch die unsrige Welt liebt ganz andere Stück',
Denn sie schreitet im Fortschritt gewaltig zurück.
So riskiert man, wenn ein Stück von Nestroy ist aus,
Daß sich keine Hand rührt, daß man hört kein' Applaus;
Und die Leut' finden fad, was man selber verehrt ...
Dieses G'fühl - ja da glaubt man, man sinkt in die Erd'!
Es war einst ein König, der hatte kein Land
Und außerdem leider noch weniger Verstand.
Paar Trotteln - paar andre - die raten ihm: Flieg z'rück,
Das ist für die Völker das allerhöchste Glück!
Voll froher Erwartung fliegt er hin durch die Luft,
Steigt ab und schon hört er, wie niemand Eljen ruft.
Da möcht' er wieder hinaufflieg'n - doch das ist jetzt erschwert ...
Dieses G'fühl - ja da glaubt man, man sinkt in die Erd'.
"Sich so zu verstell'n, na
da g'hört was dazu!"
(Der Zerrissene)
Auf der Welt, da gibts Räuber, Geld her oder Leben!
Ja Krieg ist halt Krieg, und Krieg wird's immer geben.
Und stets wird's den Staatsmann nach Kriegführ'n gelüsten
Und rüstet der eine, wird der andre auch rüsten.
Doch halt ... nur diplomatisch! bei so nützlichen Werken
Darf der andre doch nicht unsre Absicht gleich merken.
Wir sind für den Frieden! Ohne Fürchten und Beben
Soll'n künftig die Lämmer mit den Löwen z'sammleben!
So sagt es der Löw' und frißt die Schafsköpf' im Nu ...
Sich so zu verstell'n, na da g'hört was dazu!
"So gibt es halt allerhand
Leut' auf der Welt!"
(Der Zerrissene)
Wenn S' mich nicht verraten, ich weiß eine Stadt,
Da is's bunt - daß der Herrgott seine Freud' daran hat!
Zwischen Verhungern und Erfrieren bleibt den einen die Wahl
Und sie sterben dahin ohne Lärm und Skandal.
Die andern, die leben mehr lärmend dahin
Und was die dort verlieren, is denen ihr G'winn.
Nichts stört sie und niemand, 's wird weitergepraßt;
Hier ist das Leben eine Lust und dort nur eine Last.
Die zahl'n nur mit dem Leben; aber die andern mit Geld ...
So gibt es halt allerhand Leut' auf der Welt!
Karl
Kraus . 1874 - 1936
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