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Gedichte, Lyrik, Poesie

Worte in Versen VI
162 Bücher



Karl Kraus
Worte in Versen VI . 1. Auflage 1922



Wien

                            In einer Straße des dritten Bezirkes
                            ist ein wutkranker Schakal aufgetaucht.


Nirgend auf der Hemisphäre
leben solche Mißgeburten
wie im Land der Habedjehre;
und jetzt tragen sie noch Gurten.

Aug vom Schwein, Hyänenpranke,
doch ein elegantes Tragen,
in den Köpfen kein Gedanke -
da muß man schon tulli sagen.

Drahn und obidrahn ihr Leben,
es ist eine eigene Sekte,
und mir wills den Magen heben
schon vor diesem Dialekte.

Taarlos -! ist ihnen alles,
stets wird Kaiserwetter lachen.
Hat jedoch der Dreck den Dalles,
no da kann man halt nix machen.

Doch es kann ja nix geschehen,
darum nur sich nicht genieren,
denn man wird ja doch da sehen
oder gar net ignorieren.

Diese jüdisch-arschen Töne
kommen wie von einem Grimmen
und gebannt von Schönpflugschöne
hör ich schaudernd Wiener Stimmen.

Bot der Himmel was er konnte:
D' Geigerbuam die bestbekannten,
so erstehn am Horizonte
sogenannte Resitanten.

Aber zu den Drahdiwaberln
zählt die mudlsaubere Nichte,
Mädchenbrüste sind Gspaßlaberln,
aber Mehlspeisen Gedichte.

Dort bei Sirk, gleich um die Ecke
gilt es, seine Zeit zu nützen.
Denn das Leben dient dem Zwecke,
teils zu würzen, teils zu blitzen.

Schieber schieben auf dem Striche,
Strizzi, Mizzi, Kipper, Wipper.
Aber jener fürchterliche
Oberleutnant hat den Tripper.

Gustomenscherln gibts hienieden -
manche, die es hergegeben,
mit dem Tausch war wohl zufrieden,
denn sie kriegte was fürs Leben.

Nichts besteht. Jedoch zu haben
alles ist bei den Lemuren.
Gehn die Weiber gern am Graben,
sind dafür die Männer Huren.

Wie sie wackeln mit den Ärschen,
eingedenk der Lorbeerreiser,
gerne ließen sie beherrschen
wieder sich von einem Kaiser.

Müssen mit dem Feind sich fretten -
Katzelmacher haben Lire.
Weiber bieten ihre Betten
und die Männer stehn Spaliere.

Diesen ist es eine Ehre,
jene heben ihre Hemden,
alles hebt sich im Verkehre
mit den langentbehrten Fremden.

Also fahr' ma, also drah' ma
um und auf vom Turf zum Thury -
Hetz und Gstanz und Ramatama,
Pallawatsch und Remasuri.

Unterhalten, überhalten
und ein Griff tief in das Tascherl.
Ehe alles bleibt beim Alten,
trinken wir halt noch ein Flascherl!

Nichts gelingt in diesem Lande,
dem gemütlich faulen, holden,
wo der Dialekt imstande,
den Verdruß dir zu vergolden.

Willst in hoffnungslosem Harren
telephonisch dich beklagen,
hält ein Kobold dich zum Narren
und wird gleich "Momenterl!" sagen.

Alles steht dir zu Gebote,
doch es steht. Und wie am Schnürl
geht es nur mit einer Note.
Oder auch durchs Hintertürl.

Alles steht herum im Raume,
alles hindert dich im Schreiten
und du lebst in einem Traume,
wo dich Lamien begleiten.

Auf Plakaten, grell und gräßlich,
stößt ein Eber seine Hauer
in das Leben - unvergeßlich
bleibe dir der Rockenbauer!

Tausendfacher Alpdruck täglich
soll dir ins Bewußtsein dringen.
Jenes Ungetüm, unsäglich,
kann die ganze Welt verschlingen.

Farbenbrüllend weist ein Satan,
wo die Quelle für den Durst ist,
doch das Maul vom Leviathan
zeigt, daß eh schon alles Wurst ist.

Magyar ember packt zuhause
Menschen an mit einem Messer.
Kurzerhand macht ers zur Jause
ab als der Salamifresser.

Pest der Straße, Fest der Presse,
diese prassen, jene fasten.
Tag und Nacht ist Teufelsmesse
zu den gräßlichen Kontrasten.

Unbewegt vom Untergange,
fühllos wo die Menschheit duldet,
wird dem Bürgersinn nur bange
nach den Mächten, die's verschuldet.

Kinder haben keine Windel.
Ganz und gar in Seidenwäsche,
trauert dieses Erzgesindel
um die Majestät, die fesche.

Frierend läßt um eine Semmel
eine für ihr Kind sich hunzen.
Vormittag schon frißt bei Demel
eine pelzgefüllte Funzen.

Wie der Feschak, unerschlagen,
dieser süße, dieser satte,
ihr gleich "Kißtiand!" wird sagen
und "Was macht der Göttergatte?" -

grausend fühl ich die Gebreste
und das Chaos rings um diesen
und vor dieser einen Geste
welken alle grünen Wiesen.

Welch ein Ratschluß, daß hienieden
nur der Schuft gesund spaziere!
Blinde gibts und Invaliden,
Göttergatten, Gürteltiere.

Welch ein Korso! Jene hungern,
jene mühn sich und ermatten.
Und um die Hoteltür lungern
Gürteltiere, Göttergatten.

Diese Mienen, diese Mähnen
sonderbar gekerbter Wesen!
Schwarzgelb fleckige Hyänen,
doch sie können Kurse lesen.

Seht, wie sie die Luft beglotzen,
eh sie sie den Menschen nehmen.
Und sie können Phrasen kotzen,
diese blutgenährten Schemen.

Daß von Müttern sie geboren,
nimmer möchte ich es glauben,
die, nachdem die Schlacht verloren,
unverzagt den Tod berauben.

Nein, dem Teufel, ich will wetten,
sind sie als ein Furz entsprungen
oder gar aus Operetten
in das Leben eingedrungen.

Und noch immer nicht genug war,
was für sie die Menschheit büßte,
deren Opfer ein Betrug war.
Und das Leben wächst zur Wüste.

Wölfe sind es, groß und greulich.
Wahrt das Blut, das euch geblieben!
Schon hat sich ein Schakal neulich
wütend hier herumgetrieben.

Moderluft erfüllt die Gasse,
denn es leben nur Gespenster.
Um zu atmen, rat ich, lasse
schleunig schließen alle Fenster!


  Karl Kraus . 1874 - 1936






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