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Gedichte, Lyrik, Poesie

Bunte Beute
162 Bücher



Detlev von Liliencron
Bunte Beute . 1. Auflage 1903



Die Zwillingsgeschwister

Trümmer und Asche. Vereinzeltes Feuer
Zuckt noch am Himmel in Garben empor.
Tempel und Straßen und Villen und Scheuer,
Alles zertreten in Schmutz und Geschmor.
    Hier zerstörte kein Cunctator,
    Den das Schicksal ausersah.
    Hier steht Titus Triumphator
    Auf der Burg Antonia!
Triefende Wunden, zerspaltene Knochen,
Zähne im Feinde, verkralltes Gebein,
Kämpfen die Juden, im Tod ungebrochen,
Wollen im Sterben die Herren noch sein.

Wer nicht erlegen den Heiligtumschändern,
Den fesseln Ketten um Nacken und Hand,
Der schleppt die Ketten nach fernfernen Ländern,
Heimatvertrieben, für immer verbannt.
    Von des Hohenpriesters Kindern,
    Weggerissen vom Altar,
    Fällt den wüsten Überwindern
    Ins Gehark ein Zwillingspaar.
Mirjam und Jonathan heißen die beiden,
Schwester und Bruder, ein lieblich Geflecht.
Wer hat die Roheit, den Blutstamm zu scheiden?
Sklavin wird Mirjam und Jonathan Knecht.

Grausames Schicksal, sie werden geschieden,
Zitternd Lebwohl und unendliches Weh.
Treffen sie je noch zusammen hienieden?
Gleißt ihnen niemals mehr Libanons Schnee?
    Zwei von Romas Senatoren,
    Cajus und Sulpicius,
    Haben sie für sich erkoren.
    Abschied ohne Abschiedskuß.
Norden und Süden, Italiens Gefilde,
Lösen den zwillingsverschwisterten Bund.
Lindernd verweht wie ein Schleiergebilde
Jährlich der wechselnden Monate Rund.

Jonathan hütet die Kälber und Kühe,
Spaltet das Brennholz und säubert den Stall;
Arbeit am Tage, des Abends noch Mühe,
Schanzen und schuften und Fron überall.
    Riesenfest wie Baschoms Eichen,
    Wild wie Simson wuchs er auf,
    Löwenstärke war sein Zeichen,
    Flüchtig wie der Hirsch sein Lauf.
Und seine Stimme behielt ihre Würde,
In seinen Augen lag silberne Glut,
Königlich trug er die furchtbare Bürde,
Heimlich erhob ihn sein fürstliches Blut.

Mirjam hütet die Enten und Gänse,
Klopft in der Küche das Pfauenfleisch weich,
Hilft bei der Ernte mit Sichel und Sense,
Feiste Muränen entnimmt sie dem Teich.
    Sarons Lilien auf den Wangen,
    Auf der braun verbrannten Haut,
    Steht sie abends oft befangen,
    Steht wie Hebrons schönste Braut.
Keiner kann je ihrer Gunst sich erfreuen;
Stolz von unnahbarer Hoheit umdornt,
Läßt sie es jeden Bewerber bereuen,
Der seine Seele zum Angriff gespornt.

Römisches Schwelgen und römische Feste.
Einst in den Straßen im Völkergewühl
Treffen zusammen zwei lustige Gäste,
Gehn zur Taverne auf Polster und Pfühl:
    Die sich lange nicht begegnet,
    Cajus und Sulpicius,
    Rufen jeder: Sei gesegnet,
    Daß ich hier dich treffen muß.
Und bei Faustiner und bajäschen Zungen
Schwatzen sie, was sie erlebt all die Zeit,
Was sie verloren und was sie errungen.
Flötenspiel, Aufbruch und Fackelgeleit.

Vor einem Porticus, wo sie sich trennen,
Sprechen sie viel vom judäischen Land,
Und wie auf einen Schlag rufen sie, nennen
Jonathan, Mirjam, welch Pärchen, charmant!
    Und es witzeln, scherzen, lachen
    Cajus und Sulpicius,
    Bis sie, topp, ein Ende machen,
    Und sie fassen den Entschluß:
Heimlich im Dunkel vereinen wir beide,
Riegeln sie ein zur Verhütung der Flucht.
Und aus der Hochzeitsnacht lustigem Leide
Blüht uns zum Vorteil die trefflichste Zucht.

Sinkende Dämmrung, der Tag geht zu Ende,
Abendrot, nur noch ein blaßgelbes Band.
Still wie im Schlafe verschlungene Hände,
Still wie die Wurzel im tieftiefen Land.
    Unerkannt, im finstern Raume,
    Flüstert drängend die Natur,
    Und die Jugend folgt im Traume
    Ihrer ewig starken Spur.
Sylphenumjachterte ferne Fontäne,
Rosenversunkene klanglose Nacht;
Auf den Granatbaum, auf Quellen und Schwäne
Tüpfelt der Mond seine täuschende Pracht.

Klärender Dämmrung neugierige Augen:
Zwei, die erwachen aus Glück und aus Glut.
Grimmiger Sonne reugierige Augen:
Zwei, sich erkennend aus eigenem Blut.
    Bruder, Schwester! Schrecklich funkelt
    Gottes Rachediadem.
    Grell beleuchtet, hart umdunkelt
    Schauen sie Jerusalem.
Zwei, die sich bebend vom Mauernkranz warfen:
Aufklatscht zum Himmel das tuskische Meer.
Zithern und Cymbeln, davidische Harfen
Bringen verklingend ein Hochzeitslied her.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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