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Der Haidegänger und andere Gedichte
162 Bücher



Detlev von Liliencron
Der Haidegänger und andere Gedichte . 1. Auflage 1890



Ich war so glücklich

(Ausflug.)

Mittsommertag.
Um sieben Uhr früh schon
Spritzen die Sprenger
Das glühende Pflaster.
Und um sieben Uhr früh
Bin ich unterwegs
Nach dem Bahnhofe.
Die schönste Rose, die zu erlangen ist
In der Stadt,
Eine mächtige Marschall Niel,
Kauf' ich mir im Blumenladen.
Daß sie nicht welkt,
Umschlägt sie die Verkäuferin
Mit weißem Seidenpapier.
Und nun glänzt es
Durch die zarte Umhüllung
Wie schmelzende Butter.

Welcher Wirrwarr
Auf dem großen Bahnhofe.
An allen Schaltern Gedränge;
Viele Sprachen umtönen mich;
Rote Reisebücher stechen aus allen Händen.
In den Hallen und Sälen und Fluren
Wartende,
Sich Treffende,
Schwatzende,
Sich Durcheinanderschlingende,
Schuppsende,
Entwirrende.
Und im Mittelbau
Wart' auch ich,
Umbrandet
Von Menschenwogen.
Und meine Augen
Wandern immerfort wieder
Nach dem Haupteingange:
Jetzt, jetzt muß sie kommen.
Mit schrillem, durchdringenden Tone
Schlägt eine Uhr drei Viertel.
Nur noch sieben Minuten
Und - da ist sie, da ist sie.
Ihr gelbbraunes Jäckchen
Erkenn' ich aus tausenden.
O Glück, ich fing dich, ich halte dich,
O Tag, du bist so schön.
Rasch steckt die Rose
An der Brust des liebsten Mädchens.
Nun die Fahrkarten,
Und in's Koupe.
Dem Schaffner ein Trinkgeld,
Wir bleiben allein.

Nicht fern unsrer Thür,
Steht der dicke, rotmützige,
Biergesichtige Zugführer.
Er spielt mit seiner elfenbeinernen Pfeife,
Sie ab und zu
An die Lippen bringend, in die Lippen setzend,
Ohne das Zeichen zu geben.
Er schielt zuweilen nach uns hin
Und lächelt,
Lächelt ein wenig malitiös,
Und gutmütig zugleich.
Hol' ihn der Kuckuck.
Jetzt giebt er den Befehl zur Abfahrt.
Endlich!
Die Lokomotive schreit.
Langsam setzen wir uns in Bewegung.

Haltepunkt um Haltepunkt verliert sich hinter uns.
Wir nähern uns dem Ziele.
Vor'm Spiegel wird Alles in Ordnung gebracht:
In's zerzauste Haar
Die verloren gegangene
Und wiedergefundene Nadel geheftet;
Das Hütchen zurecht gerückt.
"Nichts vergessen?"
Und: "Bitt' schön, möcht'st du mir net g'schwind
Den Handschuh zumachn?"
Wir steigen aus.

Arm in Arm, o die Seligkeit!
Im fremden Städtchen
Ist Jahrmarkt.
Wir besuchen den Trödel:
Wir reiten im Carroussel
Auf Löwen und Schwänen;
Wir bestaunen "die Wunderdame";
Wir lassen uns photographieren:
"Immer herein die Herrschaften;
In zwei Minuten ist Alles fix und fertig."
Die Bilder sind herrlich;
Nur das linke Auge
Des Mädchens fehlt;
Statt dessen zeigt sich ein weißer Fleck,
Erbsengroß.

Und nun in den Wald.
Welch ein wundersamer der ist:
In gleichen Zwischenräumen
Stehn uralte Eichen,
So weit auseinander,
Daß die äußersten Spitzen jeder
An die äußersten der nächsten stoßen.
Englischer Rasen, merkwürdig: hier,
Breitet sich zwischen ihnen.
Wie ein anderweltlicher Hain
Mutet er mich an.
Und unter einem dieser Riesen,
Beim Eintreten ist's natürlich schon,
Schlag' ich um des Mädchens Schultern
Den Arm.
Sie beugt das Haupt zurück.
Und ihr den Strohhut
In den Nacken schiebend,
Küss' ich sie lang, lang und innig.

Was geht den Frauen und Mädchen
Über "die Landpartie"?
Nichts.
Selbst dem kleinen Herzensintrabbringer,
Der sonst so zärtlich behandelt wird,
Wird dann der Rücken gekehrt.
Doch nicht ganz:
Am sanften Abhange,
Am Saume der Hölzung,
Ruhen wir.
Wohlriechender Wegerich,
Hundszunge und Ehrenpreis,
Zittergras und Salbei
Sind unser Teppich.
Goldamseln umhüpfen uns.
Und Alles ist wie ein Traum.

Auf dem Rückweg
Entdecken wir im Holz
Eine offen stehende Kapelle,
Das Kirchlein "Maria Eich."
Wir treten ein in die Kühle,
In das Halbdunkel.
Geheimnisvoll leuchtet die ewige Lampe.
Das Mädchen
Verneigt sich und bekreuzt sich
Vor der schwertdurchbohrten Mutter Gottes.
Und unsere Sünden
Sind uns vergeben.
Wir hängen ein selbstgeflochtenes Kränzel
Um den Ringgriff der Eingangspforte,
Und pilgern dann
In's Städtchen zurück.

Im Garten unseres Gasthauses
Ist Concert.

Wir sitzen abseits, unbemerkt.
Kastanien, die vor unserer Laube
Ihre dicken Stämme zeigen,
Strecken ihre Dächer über uns.
Durch sie durch sehn wir,
Im Sechsuhrnachmittagssonnenschein,
Gärten und flache Wiesen,
Hinter ihnen vereinzelte Häuser,
In denen das Nachtessen
Bereitet wird:
Gradauf steigt bläulicher Kaminqualm.
Plötzlich nehm' ich das Mädel
Auf meine Arme, meine Hände,
Und halte sie hoch:
Wie Salome das Haupt des Täufers
Auf der emporgehobnen Schüssel;
Wie ein eiliger Kellner,
Der die dampfende Terrine:
"Heiß, heiß!" durch die ihn einkeilende Menge
Steuern will;
Wie einer, der ein krankes Reh trägt,
Das die Meute, mit gereckten Köpfen,
Mit hängenden, schwitzenden Zungen,
Mit an ihm hinaufstrebenden Pfoten
Gierig umläutet.

Euch, ihr Götter, bring' ich das Opfer nicht,
Ihr neidischen!
Gelt, ihr möchtet das bischen Glück
Mir gerne nehmen!
Bleibt's g'sund, sagt der Münchener;
Da lur up, sagt der Holsteiner;
Begegnet mir im Mondschein, sage ich.
Das Mädchen lacht und zappelt, zappelt und lacht.
Vor uns liegt
Die ruhige, bescheidene,
Schornsteinrauchfriedliche Landschaft.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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