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Detlev von Liliencron
Neue
Gedichte . 1. Auflage 1893
An Otto Julius Bierbaum
"Die Deutschen sind übrigens
wunderliche Leute. Sie machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die
sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer als
billig. Ei, so habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken
hinzugeben - - -; aber denkt nur nicht immer, es wäre alles eitel, wenn es
nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee wäre!"
"Es war im Ganzen nicht meine Art, als Poet nach
Verkörperung von etwas Abstraktem zu streben. Ich empfing in meinem Innern
Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensfroher, lieblicher,
bunter, hundertfältiger Art, wie eine rege Einbildungskraft es mir darbot;
und ich hatte als Poet weiter nichts zu thun, als solche Anschauungen und
Eindrücke in mir künstlerisch zu runden und auszubilden und durch
eine lebendige Darstellung so zum Vorschein zu bilden, daß andere
dieselbigen Eindrücke erhielten, wenn sie mein Dargestelltes hörten
oder lasen.."
"- - - vielmehr bin ich der Meinung: je
incommensurabler und für den Verstand unfaßlicher eine poetische
Produktion ist, desto besser."
"Mich soll nur wundern, was die deutschen Kritiker
dazu sagen werden; ob sie werden Freiheit und Kühnheit genug haben,
darüber hinwegzukommen. Den Franzosen wird der Verstand im Wege sein, und
sie werden nicht bedenken, daß die Phantasie ihre eigenen Gesetze hat,
denen der Verstand nicht beikommen kann und soll. Wenn durch die Phantasie
nicht Dinge entständen, die für den Verstand ewig problematisch
bleiben, so wäre überhaupt zu der Phantasie nicht viel. Dies ist es,
wodurch sich die Poesie von der Prosa unterscheidet, bei welcher der Verstand
immer zu Hause ist und sein mag und soll."
Goethe.
Lange wollte ich dir schreiben,
Doch mein Schädel, muß ich sagen,
Blieb wie eine leere Hülse.
Endlich, als heut Nacht um drei Uhr
Stark Betrunkne meinem Fenster
Gröhlend, schwer vorüberfielen
Und mich weckten, kam mirs plötzlich
Wie Gedanken. Ich erhob mich,
Setzte mich an meinen Schreibtisch,
Und nun kritzel' ich drauf los:
Denke nur nicht, daß ich itzo,
Irre durch die Wüstheit eben,
Allerhand Gejohl und Orgien
Aus den Jugendzeiten krame.
Nein, zuvörderst kam zu Sinne mir,
Daß wir uns in Alpenländern
Einst vergnügsam umgetrieben.
Denkst du noch des "wilden Kaisers,"
Wo wir eine Sennin fanden,
Außerordentlich an Jahren,
Dick und häßlich wie sonst keine,
Die uns einen Schmarrn gerichtet.
Du erzähltest auf der Alm dort,
(Du erzähltest, das Gelächter!)
Daß zwei brave deutsche Dichter
Sich gemütlich in Poemen,
In gedruckten, öffentlichen
Frageversen, Antwortversen,
Unterhalten könnten über
Zu begehende Verbrechen:
Feuersbrünste, Mord und Totschlag,
Diebstahl, Schmuggel, falsche Münze,
Niemand würde etwas merken,
Denn ein Deutscher läse niemals
Ein Gedicht; so bliebs Geheimnis,
Wenn dem Staatsanwalt nicht einer,
Dem das Denunzieren Spaß macht,
Der sogar die Kunst durchschnüffelt,
Diese Blätter brächt' ins Haus.
Lieber! Was vor diesem Briefe
Obenan steht, las ich gestern.
Wohl, so scheints mir, nach zehn Jahren
Les' ich überhaupt nur Goethen
Einzig und allein noch. Sachte,
Das ist doch zu schroff behauptet.
Könnt' ich unsern Kritikastern
Täglich eine Stunde Goethen
Tüchtig zum Verdauen geben,
Diesen nüchternen Kunstrichtern,
Die des Lebens großes Leben
Nie vor lauter Kleinlichkeiten,
Dörgelei verstehen werden,
All den Hämischen und Hetzern,
Unsern muffigen Doctrinären
Mit den kalten Schulgehirnen,
All den widerlichen Menschen,
Die wie finstre Lumpensammler
Durch des Daseins Schönheit schreiten,
Ohne selige Lust am Weibe,
All dem Professorendünkel,
Allen den Verstandessimpeln,
Die nach mathematischen Regeln
Poesie zergliedern wollen,
Allen denen, die da glauben,
Daß der Riese vom Olympos
Ein Gelehrter sei gewesen,
Allen, denen seine lichte
Himmelsanmut, Himmelsfreiheit,
Denen seine Jugendlieder,
Diese schönsten auf der Erde,
Tiefst im Herzen sind ein Abscheu.
Allen! und nun sollst du selber,
Julius, deine Verse hören:
"Ihr armen Schächer, wie thut ihr mir leid
In eurer Tugend engem Kleid,
Darunter die Triebe zu Krankheiten werden,
Zu bösen Dünsten und allen Beschwerden
Der Leibeslüge und Heuchelei.
Nie seid ihr froh, nie seid ihr frei,
Denn euer Wahn hat zur Sünde verdacht,
Was Kreaturen selig macht.
Des Lebens Quell mit Schmutz zu verschlammen,
Tragt alle Unnatur ihr zusammen;
Was fröhlich, rein, lebendig fließt,
Wird euch und uns zum faulen Bache,
Zur giftigen Sünden-Unken-Lache,
Wenn eure "Moral" hinein ihr gießt.
O Jammermißbrauch mit dem Wort.
Was blüht, ist Leben, tot, was dorrt.
Ihr aber streut Salz auf des Lebens Fluren,
Was keimt und treibt, ist euch verhaßt,
Dem Leben grabt ihr ohne Rast
Das Grab, ihr "sittlichen" Lemuren."
Könnt' ich unsern guten Deutschen
Täglich eine Stunde Goethen
Auf den Weg zum Tage geben:
Ach, der Landsmann, immer, ewig
Will und wünscht er nur Abstraktes,
Alles, was konkret heißt, ist ihm
Innerlichst ein Greuel, Scheuel,
Denn es fehlen ihm die Sinne
Für konkrete Kostbarkeiten.
Deshalb ist mir auch verständlich,
Daß ihn Mörike, Annette,
Kleist und Storm wenig berühren.
Aber, aber blinkt das Krügel,
Gehts an Sauf- und Sumpfbardiete,
Gehts ans Zanken und Gelärme
über Politik, Parteien,
Hurrah, sitzt er dann die Nächte
Bis ans Frührot hart am Fasse,
Und Gambrinus ist sein Held.
Denkst Du noch des Einöd-Bauern,
Unsers reichen Einöd-Bauern,
Dieses Königs auf den Bergen?
Dort erinnr' ich mich der Linde,
Jener ungeheuern Linde,
Unter deren weitem Schatten,
Unter deren knorrigen Ästen
Wir so manchesmal gesessen.
Neben ihr strebt hoch der Maibaum,
Und das kühle Hauskapellchen
Lehnt sich kindlich an den Stamm an.
Und in diesem Paradiese,
Mit dem Blick in blaue Fernen,
Mit dem Blick auf Gletscher, Firnen,
Dunkle Wälder, in die Thale,
Kam mir plötzlich das Verständnis,
Daß uns Moritz Schwind und Thoma
Deutsche Herrlichkeiten schenkten.
Nicht gar weit lag uns Italien,
Weit doch lag das Nordgelände,
Wo am Meere ich erzogen
Unter feuchten Winden, Wolken.
Und ich fühlte eine Sehnsucht
Nach den Knicken, nach den Hecken,
Nach den düstern Einsamkeiten
Meines Flachlands, meiner Haiden.
Doch wie dort ist hier dasselbe,
Ist mein großes, heißgeliebtes,
Keusches, heiliges Vaterland.
Dann Sankt Heinrich, Jagaseppel,
Fischerrosl, und so weiter.
In der Kirche: Heinrich, comes,
Aus dem alten Andechshause,
Das den Hohenstaufenkaisern
Kluge Kanzler hat gegeben.
Vor dem Kirchlein, auf dem Friedhof,
Ruht "der tugendsame, fromme,
Ehrenhochgeschätzte Jüngling,
Damianus Hinterhuber,
Neun und siebenzig geworden"
Kamen wir, du mit Forellen,
Ich mit Wildbret in die Herberg,
Hatte Marei, mit dem feinen
Hakennäschen, uns erwartet,
Um "die Kost" uns vorzusetzen.
Einst auf unsern Jagdausflügen
Fanden wir in Schilf und Röhricht,
Hart am See, von Buchen, Tannen
Sanft geküßt, ein Roccocoschloß;
Zierlich, nippesfigurenartig
Lugt es reizend aus den Zweigen.
Daß es einem jungen Fürsten
Aus Volhynien (oder Fynien?)
Eignet, sagte uns ein Diener,
Der uns ferner auch erzählte,
Daß zwei Freunde Seiner Hoheit,
Maler, dieses Zauberschlößchen
In Begleitung zweier Damen
Heute früh verlassen hätten;
Und daß Seine Hoheit selber
Morgen zu erwarten wären.
Als wir durch die Zimmer schritten,
Lag noch alles durcheinander:
Halbgefüllte Spargelbüchsen,
Teller, Salz, Salatölfläschchen,
Hier ein seidener Pantoffel,
Dort ein Korb, auf dem die Inschrift
Louis Roederer, Carte blanche
Prangte, leer getrunkne Stätte.
Auch ein Skatspiel; die Berechnung
Schmutzig, weinbefleckt daneben.
Zwischen schon verwelkten Rosen
Zigarrettenreste, Asche,
Ungewaschne spitze Gläschen:
Neigen de la Grande Chartreuse.
Scheffel: aufgeschlagen, "göttlich"
Stand am Rand mit Blei gekritzelt
An der Stelle: Ichthyosaurus.
Auch ein Zettelchen, entnommen
Augenscheinlich dem Notizbuch,
Fanden wir, darauf die Worte:
"Gestern waren wir sehr luhstig,
Mein Andreas ist ein Schaaff."
Als wir dann nach einigen Tagen
Wieder in die Gegend kamen,
Bot sich uns ein artiger Anblick:
Unter einem Baum im Garten,
Angelehnt ans Marmortischchen,
Rückwärts mit der Hand sich stützend,
Stand der Prinz, ein blutjung Kerlchen
Mit gelockten dunklen Haaren,
Blauen Augen, schwarzem Bärtchen,
Und sah träumend auf die Wellen,
Die sich, sonnenglitzernd, neckten.
Vor ihm, mit dem Schirm im Nacken,
Mit dem roten Sonnenschirme,
Sah ihn an mit braunen Augen,
Sah ihn an ein schlankes Mädel,
Und in echter Münchner Mundart
Schmollt sie, bittet, mault sie, fleht sie:
"Mach, geh zua, mach, geh zua,"
Bis er lachend um die Kleine
Kräftig seinen Arm geschlungen,
Daß die Hüte schnell verschwinden
Unterm roten Sonnenschirm.
Bald, mein braungebrannter Julius,
Kam für uns der Abschiedshanddruck,
Und wir trennten uns am Dampfschiff.
Immer seh ich dich noch vor mir,
Und ich sehe deine Schultern,
Diese mächtigen, trotzigen Schultern,
Und ich seh den breitumkrempten,
Ungeheuern Kalabreser
Tauchen in der Wälder Trost.
Acht und vierzig Stunden später
Traf ich ein in meinem Hamburg,
Und das erste dort war, daß ich,
Gleich schon im Pariser Bahnhof,
Schwerentbehrtes froh verzehrte:
Ein Stück Swattbrotbotterbrot.
Detlev
von Liliencron . 1844 - 1909
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