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Detlev von Liliencron
Neue
Gedichte . 1. Auflage 1893
Aus einem Raubzuge
Nahst du aus Ninive, schimmernde Schöne,
Nicht einen Schritt mehr, sofort machst du Halt,
Gleich auf den Thron hinauf, daß ich dich kröne,
Sperrst du dich, hab' ich des Sultans Gewalt.
Trauernde, träumende indische Augen,
Trinkt ihr aus Herzen und Seele mein Blut!
Wenn sich zum Kusse die Lippen versaugen,
Sage mir, wird aus der Liebe dann Wuth!
Wollen zwei Panther sich rasend zerreißen,
Feuer und Flammen entlodern der Haft,
Ringen und Raufen und Balgen und Beißen,
Sinkende Wimpern, entstürzende Kraft.
End' ohne Ende, nach kurzem Ermatten
Fliegen die Pfeile von neuem empor,
Fülle der Jugend und Sehnsucht erstatten,
Was sich verschwendrisch im Spiele verlor.
Grinsen der Schädelburg greuliche Zinnen
Deinen Triumpf in die Lande, Despot,
Leichen, in Särgen verfaulendes Linnen,
Leben heißt Alles, Verwesung der Tod.
Küsse mich, küsse mich, denk nicht ans Sterben,
Noch ist mit Rosen die Welt überdacht,
Heimlich beschützt uns vor Dorn und Verderben,
Heimlich und huldvoll die herrlichste Nacht.
Detlev
von Liliencron . 1844 - 1909
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