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Neue Gedichte
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Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Der Kartäusermönch

Auf der Bergesspitze,
Unweit meines Klosters,
Wo die braune Felswand senkrecht abstürzt,
Sitz' ich in meiner weißen Kutte und Kapuze,
Und stütze mein Haupt in die Hand;
Sitz' ich im kurulischen Sessel,
Den die Natur,
In einer Laune,
Hier sich schuf.
Mein Blick schweift
Über die unendliche Ebene.

Mit mir in gleicher Höhe,
Mitten über der weiten Fläche,
Über der sonnendurchglitzerten,
Schwebt ein Geier,
Schwingenstill.
Scharf äugt er nach unten,
Um hinabzustoßen.
Der Geier Schicksal
Schwebt so über uns Menschen.
Und ahnungslos
Schreiten wir die mühevollen Wege.

Einst lebt' ich unten.
Auf eines Messers Schneide,
Wie auf hochgespanntem Drahtseil,
Ging ich,
Barfuß.
Und ich ging sicher wie der Nachtwandler.
Rechts wollte mich die Unehre
Mit ihren Haken herunterreißen.
Links stieß nach mir
Die benachtmützte Philistermoral.
Und ich ging,
Gradaus schauend,
Auf eines Messers Schneide,
Wie auf hochgespanntem Drahtseil,
Und ich ging sicher wie der Nachtwandler.
Ich trug viel Leid.
Und ich schüttelte mich
Wie die Ente,
Wenn sie flügelschlagend
Nach dem Tauchen im Teiche steht.
Und es glitt ab.

Ich trug viel Leid.
Immer wieder kam ich hoch,
Wie die Korkboje,
Die ein Schiff überfahren hat.
Die Menschen halfen mir nicht.
Der Himmel half mir nicht.
Zu euch, ihr Götter, hab' ich gebetet,
Als Kind, als Mann:
Helft mir.

Aber ich sah nie ein Zeichen von euch,
Ich sah nie eure Arme,
Nie eure hilfestreckenden Hände.
Und ich ward trotzig.
So geh' allein meinen Weg ich.
Bleibt auf euern fetten Wolkenhöhn.
Die Faust schlug ich auf den Tisch:
Ich helfe mir selbst hindurch!
Ich lernte, daß Geld haben
Alles heißt.
Dann nur: Der Preis?
Ich lernte, daß kein Geld haben gleich ist
Einer armen alten ausgetrockneten,
Mürrischen, mutlosen, erblindeten, verhungerten
Achachherrje-Spinne
In Grabgewölben.
Des Mitleids holde Gestalt
Schob ich rauh bei Seite:
An das Portal
Eines goldprächtigen Saales,
Wo geputzte Menschen ein und aus gehn,
In ärmlicher Gewandung,
Lehnt sie, und bietet Rosen zum Kauf;
Und ihre unschuldigen Kinderaugen flehn:
Seid gut.
Mein Herz verhärtete sich
Mehr und mehr,
Herb und Herber ward meine Seele.
Einmal glättet die Ruhe mir
Das Totenhemd.
Auf meinem Leichenstein soll stehn:

Hier schläft den ewigen Schlaf
Ein tapferer Soldat,
Unbesiegt gefallen
In der mörderischen Feldschlacht.

Wo bin ich?
Lernt' ich nicht die Kunst des Vergessenkönnens,
Die schwere, die seltene, die herrliche Kunst
Des Vergessenkönnens?
Meine Ordensbrüder kommen,
Um mich abzuholen.
Paarweise, in langer Reihe,
Langsam nähern sie sich.
Ich erhebe mich
Und geh' ihnen entgegen.
Streng und stumm ist unser Gruß,
Gemessen unser Verneigen.
Ich schließe mich ihnen an.
Und um uns und in uns
Ist das Schweigen,
Das Gott nahe bringende Schweigen,
Das große, das erlösende Schweigen.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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