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Neue Gedichte
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Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Der Kranz

Die Nacht war unruhig. Die Bernhardiner
Schlugen zuweilen an. Was habt ihr denn?
Und Dutcheß, meine Gordon-Setter-Hündin
Schob ihre feine Nase mehr als einmal
In meine Hand, die übern Bettrand hing.
Ich wälzte mich, ich hatte wirre Träume,
Fuhr aus den Kissen, schloß die Augen wieder.
Wenn doch der wackre Hahn sich hören ließe.
Und dann, nicht länger trag' ich diesen Zwiestand,
Sprang ich mit beiden Füßen aus den Decken.
Rasch angekleidet, nahm ich meine Mütze
Vom Hermeskopf, dem ich sie gestern Abend
Schief aufgesetzt, als ich nach Hause kam.
Fix einen Cognac fine Champagne, und vorwärts.

Zum Walde will ich. Um dahin zu kommen,
Muß einen kleinen Kirchhof ich durchschreiten,
Der einem Dorfe meines Tantchens eignet,
Der alten guten Jungfer, Gräfin Mimi.
Mein Tantchen ist so lieb und fromm, so fromm.
Sie hat ein großes weißes Marmorkreuz
Inmitten auf die Friedensstatt gestiftet.

Es ist in frühster Sommermorgenstunde,
Vom Tage bröckelt weg das erste Stück,
Die Schwalbe schwang sich schon vom Balken ab,
Und letzter Traum, in Faschingszügen, gaukelt
Vorbei den Schläfern.

Ich greife aus. Blendend von ferne gleißt
Im Sonnenglitzern schon das Kreuz herüber,
Das einen Kranz mit langen Bändern trägt.
Und ich betrete nun den Gottesacker,
Und stutze; was, spielt dort ein kleiner Affe
Hoch oben auf dem Kreuze mit dem Kranze?
Wahrhaftig! Jetzt durchspringt er, gleich dem Clown
Im Zirkus, ihn wie einen Reifen, jetzt
Bekränzt er sich das edle Haupt: zu weit,
Jetzt hängt er um die Schultern ihn abwechselnd,
Und nun beriecht er ihn, und schwingt ihn dann,
Als wär' ein Feuerbrand er, um die Ohren.
Nun, und wer biegt denn um das Glockentürmchen?
Das ist, nein doch, das ist ... das ist der Tod.
Er schleicht heran wie eine Katze, klettert
Wie eine Katz' am Kreuz hinauf, entreißt
Dem Äffchen triumphierend, wild den Kranz,
Und hastdunichtgesehn herab, davon.
Zuerst blickt Joko ihm verwundert nach.
Dann hinterher! Und über Grab und Stein
Und Rasen geht die drollige Jagd. Bald hat
Den Kranz der Affe, bald hat ihn der Tod,
Und lautlos, wie zwei Vögel, die sich haschen,
So flitzt und blitzt dir Narretei umher,
Wie junge Hunde, die sich übertollen,
Mit Kapriolen der Gevattersmann,
Der Affe, nun, wie Affen jachtern können.
Und jetzt wie Kinder, die Verstecken spielen
Und Nu-h rufen, so stellen sie sich oft
An Ecken auf, die Köpfe vorsichtig
Vorbiegend: Ob er mich wohl finden wird?
Nun schaukelt in der Traueresche Zweigen
Der Aff' sich hin und her, als säß' im Seil er.

Und wieder hat der Tod den Kranz erobert.
Und weiter durch Gebüsch und Ranken geht
Die wilde Hetze, jupp! und übers Gitter
Des alten Erbbegräbnisses, wie rasend.
Da hör' ich einen kurzen Schrei: es hat
Hans Klapperbein genug des Spaßes; schnell
Hat er den Hals des Thierchens umgedreht.
Er würdet storchartig dem Kreuze zu,
Und steigt hinauf, und stellt sich oben hin:
Die Knochenarme streckt er seitwärts aus,
In seiner Rechten hängt das arme Äffchen,
Die Linke hält den arg zerzausten Kranz.
Da kommt der Küster, um zu läuten, her,
Und wie ein Blendwerk ist der Spuk verschwunden.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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