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Neue Gedichte
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Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Der schwermütige König

Auf einer meiner Wanderungen einst,
Im Norden wars, berichtet Ahasver,
Und siebenhundert Jahre sind verflossen,
Ging einem großen Schloßbau ich vorüber,
Der klotzig zwischen kahlen Feldern lag.
Im Kreise, auf Entfernung einer Meile,
Umzog ein Tannenkranz die nackte Fläche.
Die Feste selbst und deren Garten gürtet
Ein Mauerring mit Türmeschmuck und Zinnen.

Es war ein Wintertag. Im Osten liegt
Der Nebel grau und blau, im Westen schimmert
Ein äußerst blasses, gelbes Wolkenrot.
Der Schnee bedeckt die Erde; nur die Föhren
Im Hintergrunde prägen dunkle Farbe.
Verstecken spielen Einsamkeit und Stille.
Leckt irgendwo ein Ungeheuer sich
Die Vorderpfoten, ungestört im Winkel?
Ein Ungeheuer, das die Burg bewacht?

Kein Mensch ist sichtbar außer wenigen Posten,
Die langsam auf und ab, gemessen gehn,
Die sich vor Kälte in die Fäuste blasen,
Die Spieße von der rechten nach der linken
Und wieder nach der rechten Schulter werfen,
Gespannt minutenlang die Gegend mustern,
Um dann von neuem auf und ab zu schreiten.
Ist ein Gefangner ihrer Hut vertraut?
Ein dicker weißer Qualm steigt plötzlich auf,
Steil aus des Schloßhofs Mitte in die Höhe;
Die Luft ist starr, und lautlos träumt die Welt.
Der Rauch hört auf, das Opfer ist geschehn,
Nun wird dem Götzen noch Musik gebracht,
Ein wildes Tongewirr von Schellen, Tuben
Verklingt, wird schwächer, stirbt, und alles schweigt.
Da öffnet sich das Thor und zeigt den König,
Dem buntgewürfelt die Begleitung folgt.
Er geht ins Feld mit tief gesenktem Haupte.

Strohgelbe Haare fallen um den Nacken
Dem Vierzigjährigen. Die oceanfinstern,
Von schweren Lidern halbgeschlossnen Augen
Durchirren unstät erst die Fern' und Nähe,
Und werden ruhig dann und bohren sich
Fest in die Erde. Zögernd, schrittverhalten,
Begiebt er auf den Weg ins Weite sich.
Er trägt ein reiches Pelzgewand, gehalten
Von einem feuerrothen breiten Gurt.
Die Reiherfeder schwankt auf seiner Zcapka;
In herrlicher Arbeit, edelsteingeziert,
Schwingt im Gehenk der Dolch im Zittergang.
Zunächst ihm auf dem Fuße folgt der Narr,
Dann hinter diesem schlendern Würdenschlepper.
Und endlich, im gemischten Durcheinander,
Drängt Kopf an Kopf sich die Trabantenschaar.
So zieht der Zug, wie Leichenträger traurig,
Hinaus ins leere weiße Feld.

Erkennbar naht ein Wagen auf der Straße,
Die Vorderräder weit getrennt den andern.
Ein Rieseneichenstamm bedrückt die Achsen.
Als ihm der Schneckenzug begegnet, hält er.
Den alten Fuhrmann unterstützt die Tochter,
Greift ein in Rad und Speichen, löst die Kette,
Führt vorsichtig die Pferde um die Ecken.
Der König hat sie schnell bemerkt, er stutzt:
"Ei, du, mit deinen hellen Wellenhaaren,
Wie lachen deine blauen Nordlandaugen,
Dein Mund wie frisch, wie flaumig deine Wangen,
Komm, du gefällst mir, heut noch bist du mein,
Meld' dich im Schlosse. Doch, nein nein, komm nicht,
Der kurzen Lust folgt Unbequemlichkeit
Nur allzurasch, ich will mich überwinden.
Was sagt mein Narr dazu?" "Wie du befiehlst.
Herr, du thust gut; doch Recht ist Unrecht oft,
Und Unrecht Recht, kaum läßt sichs unterscheiden.
Lädst du die hübsche Bauerndirne dir,
So warten deiner einige lustige Wochen.
Doch dann, gar bald, macht Ärger dir das Weib.
Sie mault und zetert dir die Ohren voll,
Weil du verwöhnt sie hast mit deiner Liebe,
Die du nicht zügeln konntest. Besser also,
Du läßt sie gehn, daß ihrem Liebsten sie
Die blanken Zähne zeigt, beugt er sich nicht.
Wirklich, ich weiß nicht, was ich raten soll;

Ich kanns in diesem Fall nicht unterscheiden."
"Dummkopf," herrscht ihn der König mürrisch an,
"Doch vorwärts, daß wir uns Bewegung machen."

Im Tann wird auf des Häuptlings kurzes Wort
Von trocknem Reis ein Feuer angefacht.
Der König wärmt die Hände. Über ihn
Fliegt unbeholfnen Flugs ein Rabe hin.
"Seht Ihr des Vogels Flügel, die mit Kraft
Ihn leichtlich in die Wolken tragen können.
Im Frost selbst findet er genügend Futter,
Mit seinen gierigen Jagdgesellen bäumt er
Am Rande einer Hölzung durch die Nacht,
Um Morgens wieder seinen Fraß zu finden.
Den Hunger stillen, schlafen und verdauen,
Vom Tod nichts wissen, nie zu denken brauchen,
Ich sollte glauben ... Narr, und deine Meinung?"
"Herr, das ist schwer. Der Vogel möcht' ich sein,
Denn Freiheit hat er sicher mehr als wir;
Und was du sagst: Gedanken hat er nicht;
Gedanken aber sind des Lebens Übel.
Hab' ich Gedanken nicht, was fichts mich an:
Ich lebe wie der Vogel sorgenfrei,
Doch wieder auch: sind wir nicht sorgenfrei,
Wenn wir die Humpen und die Hörner leeren,
Und trinken, bis Vergessenheit uns küßt?
Und den Genuß des Becherns kennt er nicht.
So möcht' ich doch der Vogel nimmer sein."
Der König lacht und alles lacht mit ihm.
Zurück ins Schloß verliert, löst sich der Zug.
Es sank die Nacht. Der Mond ist nicht zu sehn,
Der Dunst läßt nicht die goldne Scheibe durch,
Und matt beleuchtet glänzt der graue Plan.
Verschallend aus der Burg verklingt Gesang.
Das Lied der Skalden mischt sich mit den Harfen.
Im Waffensaale zecht im Kreis der Männer
Der blonde König. Alle trinken Meth
Aus mächtigen Hörnern und aus Silberhumpen
Und aus den Schädeln schlachterschlagner Feinde.
Wie glühn die Stirnen, wie versinkt das Auge,
Oft spielt ein Lächeln um den stummen Mund,
Und hier und dort, das Haupt zum Schlaf gelehnt
An eine Säule, schläft ein Ritter ein.
Der König ruht an eines Barden Brust,
Deß langer weißer Bart ihn überschwellt;
An seine Kniee schmiegte sich der Narr,
Der Glöckchenkappe Zipfel tief gesenkt.
Und alle tranken sich Vergessenheit.

Tot draußen liegt die lange Winternacht,
Nur um die Mauern wachen noch die Posten,
Die langsam auf und ab, gemessen gehn
Und sich vor Kälte in die Fäuste blasen,
Die Spieße von der rechten nach der linken
Und wieder nach der rechten Schulter werfen,
Gespannt minutenlang die Gegend mustern,
Um dann von neuem auf und ab zu schreiten.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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