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Neue Gedichte
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Detlev von Liliencron
Neue Gedichte . 1. Auflage 1893



Der souveräne Herr

Kam über einen Kirchhof daher,
Hört' ich es flüstern kreuz und quer,
Bald ein Gelächter, bald Wimmern und Weinen,
Alles im Wisperton klangs von den Steinen.
Schwül war die Nacht und ich blieb stehn,
Ließ mich von seltsamen Schauern umwehn.
Welkende Kränze und bleichende Bänder.
Sinkender Rasen, gesunknes Geländer,
Glitzer und Glaster, vom Rost zerfressen,
Dunkle Pinien und schwarze Cypressen,
Und Alles vergessen.

Und aus den Lüften brachs brausend herab,
Da gings erst recht los von Grab zu Grab.
Flügelt mir, springt mir, webt mir ums Haupt,
Daß ich mich wahnsinnig fast geglaubt.
Beugte mich, bückte mich, hielt mit den Händen
Stirn mir und Augen als Schützer und Blenden.
Es stolpert, es strauchelt, es wippt und es wappt,
Taumelt und torkelt und foppt sich und schnappt.
Und um die große Mittelpunktlinde
Segeln und jagen die Geister im Winde.

Huschen und haschen sich, schweifen und schwärmen.
Herr des Himmels, war das ein Lärmen,
War das ein Tumult und Alles uneins,
Trotz des verehrlichen Knochenvereins.
Da schlug es Eins.

Und wieder ein Flüstern kreuz und quer
Kam von den Gräbern und Hügeln her,
Bald ein Gelächter, bald Wimmern und Weinen,
Alles im Wisperton klangs von den Steinen.
Hob ich mich langsam und schaute scheu,
Ob der Tanz begönne aufs neu.
Doch das Gepolter ward stiller und schwächer,
Aus dem Gezeter: Gezitter, Gefächer,
Sie legten sich in den Särgen zurecht,
Herrin und Zofe, Gebieter und Knecht.
Dann war der große Aufruhr vorbei,
Und Alles wieder im Einerlei.
Ueber die Gräser und Blumen und Blätter
Faulenzt ein Gähnen als Schreckenserretter
Und Unrastglätter.

Als ich mich trollen wollte nach Haus,
Überlief mich wieder ein Graus.
Neben mir war mit dem groben Spaten
Der Todtengräber hingeraten:
Du hast noch nichts gehört und gesehn,
Warte, wir bleiben hier einmal stehn.
Ich rufe jenen her und diesen,
Den ich mir grade will erkiesen.
Die stellen sich dann vor uns hier auf
Und erzählen uns ihren Lebenslauf.
Ich konnte nicht fort, ich stand wie gebannt,
Da hat er schon einen Namen genannt:
Der kluge Mann soll kommen, ich bitte,
Nur immer etwas rascher die Schritte.
Und alsobald, was er laufen kann,
Kommt, ein Skelett, der kluge Mann:
Mir hatte Natur viel Verstand gegeben,
Das hab' ich ausgenutzt im Leben.
Merkte vor allem, daß mit Schweigen
Wir viel erreichen und höher steigen.
Nun ward mir die Welt eine milchende Kuh.
Freilich gehörte auch noch dazu:
Daß ich mit der "Richtung" ging,
Kirchenbesuch, mich mit Flitter behing,
Niemand meinen Geist ließ fühlen,
Immer spielte den kalten, den kühlen.
Doch muß ich offen das bekennen,
Viel kann ich nicht aus den Tagen nennen,
Das mir behagte: Dies ewige Schweigen,
Dies zum Schein vor der Dummheit sich Neigen,
Die furchtbare Vorsicht, wollt' ich einmal
Mich heimlich vergnügen im Narrensaal.
Denn Neid und Scheelsucht passen auf
Und hindern uns den freien Lauf.
Besonders auf der Liebe Wegen
Umzäunt' ich mich mit Stachelgehegen.
That ich für ein Schätzchen entbrennen,
Entführt' ich es schleunig in die Ardennen,
Wo ich ein einsam Schlößchen besaß,
Worin ich den Tamtam der Welt vergaß.

Die Liebe vor allem hat mir im Leben
Einzig köstliche Stunden gegeben.
Suchte Nachts ihr Arm im Traume mich,
Und wenn ihre Hand mir die Haare strich,
Und sie dann, immer im Traum noch ganz,
Verschlafen mich liebkoste: Eia, eia, mein Haus,
Und sie sich, im Traum immer, an mich drängte,
Und ich sie, lächelnd, fest an mich zwängte,
Ihr Götter, wie war ich überreich,
Dem kommt euer siebenter Himmel nicht gleich.
Und mögen auch die Philister schelten,
Nur heimlich genossenes Glück laß ich gelten.
Sonst wär ich jetzt, käms noch einmal vor,
Gern ein den Menschen trotziger Thor.

Die Nähmamsell, schrie des Maulwurfs Vetter.
Und alsbald ein schnelles Gekletter,
Da kommt sie schon, das zarte Gerippe,
Hätts lieber gehabt mit roter Lippe.
Vortragen! brüllt der Gräber sie an,
Und sie fing zu erzählen an:
Wohnte mit den Eltern im Hinterhaus,
Gehörte uns nicht Katz noch Maus,
Mußte nähen den ganzen Tag,
Und keiner fragte mich, ob ich auch mag.
War ein jung Ding, erst sechzehn Jahre,
Trug gern Rosen im blonden Haare,
Sehnte mich nach Sonnenschein,
Nach Lust und Liebe im Kämmerlein.
Mein schönster Tag, ich vergeß es nie,
War in den Wald eine Landpartie.

Unter uns tischlerte ein Gesell,
Ein frischer Junge, sang klar und hell,
Der sang sich mir ins Herz hinein,
Und einer Stunde war ich sein.
Ich wollte nicht auf die Mutter hören,
Ließ mich von meinem Knaben betören,
Ertränkte mein Kind - mehr weiß ich nicht,
Und das ist meine ganze Geschicht.

Der Dumme her, der Dumme soll kommen,
Wirds bald, das Gebein in die Hand genommen.
Nun heraus mit der Sprache, wie erging es dir?
Ich graste wie das liebe Tier,
Schlug mir den Wanst voll und spielte Skat,
Gab willig jedem, der mich bat,
Hatte den Nacken immer im Joch,
Mußte für andre schwitzen, und doch:
Käm' ich noch einmal auf Erden an,
Blieb ich ganz gern derselbe Mann.

Der Scheerenschleifer, Schockschwerenot,
Wo steckt der Kerl mit dem knappen Brod.
Hier bin ich, ich schliff am Tage die Scheeren,
Um Nachts zu saufen, im Krug zu verkehren.

Der Dichter heraus mit dem langen Haar,
Dessen wird er selbst im Sarge nicht bar.
Von all den verrückten Menschengeschöpfen
Gehört er zu den possierlichsten Tröpfen.
Nun schüttle die ambrosischen Locken,
Und bleib in deiner Rede nicht stocken.

Ach, ich hatt' wenig im Garten zu pflücken.
Mußte für jeden Groschen mich bücken
Vor dem verehrlichen Publikum,
Griff immer ins Vocabularium
Für Hochzeitsschmaus und Siegeskranz,
Für Geburtstagskind und Firlefanz.
Doch wollt' ich mich in die Lüfte schwingen,
Schrien sie alle, der Narr will springen,
Seht ihn, herunter, braucht Gewalt,
Daß er den Hungergurt strammer sich schnallt.
Und in meiner Tannentruhe
Ließen sogar sie mich nicht in Ruhe,
Lärmten und lachten hinterher:
Da wird begraben der große Homer.

Der Gelbgießer jetzt, her mit dem Schuft,
Etwas gewandter aus deiner Gruft.
Erzähl' uns deine Heldenthaten,
Wie hat dich das Dasein beraten.
Meine Herren, das ist nicht viel,
Bald kam ich zum gewünschten Ziel,
Freite ein Weib, wir hatten uns lieb,
Und ich muß sagen, daß es immer so blieb.
Unsere Kinder gediehen gut,
Daß ich zuletzt im Uebermut
Mir ein Häuschen konnt' erwerben,
Hatten genug zum Leben und Sterben,
Waren immer zufrieden, gesund,
Weiter kann ich euch thun nichts kund.

Die Hure heran, wo liegt das Aas,
Daß ich sie auch bis jetzt vergaß.
Kein Genieren, das muß ich loben,
Hast es nicht vergessen von oben.
Ich ward schon im vierzehnten Jahre verführt,
Hab' nichts von Schönem und Edlem verspürt,
Fiel immer schneller, bis ich gelassen
Mich jedem anbot auf Plätzen und Gassen,
Hat sich Keiner um mich bekümmert,
Sind Seel' und Leib mir rasch zertümmert.

Nun der Minister, Potz Siebensachen,
Donner und Doria, Kerl, will er machen.
Vorwärts, wie that es dir gefallen,
Als du mußtest im Odem wallen.
Ach, meine Herren, noch einmal auf Erden,
Würd' ich niemals Minister werden,
Was hatt' ich für all meinen Fleiß, meine Plage,
Verdrießliche Jahre und fiebrige Tage,
Wäre Karrenschieber ...
                    Halts Maul, Kameel.
Willst du noch mehr sehn, ich steh zu Befehl,
Wendet der Schaufler sich mir zu.
Um der Heiligen Willen, laß mich in Ruh.

Sonst, wie gesagt, wollen wir wandern,
Von einem Kirchhof gehts zum andern.
Findest immer die gleiche Sippe,
Findest immer dasselbe Gerippe,
Nur ist vielleicht höchst edel und wacker
Der Scheerenschleifer auf dem nächsten Gottesacker,
Während dort vielleicht als Saufaus und vertiert
Der Gelbgießer sich vor uns präsentiert.

Und so gehts fort durch alle Stände,
Durch jeden Rang, durch alle Verbände,
Dem hat die Natur das geschenkt,
Ihn so veranlagt, ihn so gerenkt,
Den schuf sie sich aus anderm Teige,
Zum schnellen Fall, zum Lorbeerzweige,
In ihren sonderbaren Launen,
Was kehrt sie sich an euer Staunen.
Nur bleiben stets sich gleich im Gefuge,
Paß auf, der dumme Mensch und der kluge.

Von den Klugen dann, über das Millionenvieh,
Herrscht ein einziger wieder, das Genie.
Der hat, ob durchs Schwert, ob durch Verstand
Unter sich das ganze Land,
Und muß sich doch zu mir bequemen
Und Platz in meinen Kammern nehmen.
So geht denn jedes Wachsen und Werden
In meinen Schlund bei euch auf Erden,
Und nicht nur hier, im ganzen All
Bin ich der Generalfeldmarschall.
Du scheinst mir das nicht recht zu glauben,
So werd' ich mir einen Spaß erlauben.
Und es gab mir der Tod einen Schlag,
Daß ich kopfüber am Boden lag.

            ***
Am andern Morgen erwacht' ich am Strande
In einem mir gänzlich fremden Lande.
Vor mir dehnt sich ein großes Meer,
Ohne Wellensturz, heilig und leer.

Der Küstensand, auf dem ich geruht,
War von Gold und rot wie Blut,
Ueberschimmert von bläulichem Licht
Zweier eirunder Sonnen, die dicht an dicht
Ueber der See am Himmelsrande
Sich zeigten mit purpurnem Wolkenbande,
Das sie leicht überfällt und ungezwungen,
Als wärs um zwei Rococospiegel geschlungen.
Ich konnte, ohn' mit den Augen zu blinken,
In ihren milden Flammen ertrinken.
Dünn, wie meines Spazierstocks Lauf,
Schossen nah hinter mir Bäumchen auf,
Sechs an der Zahl, gut ausgerichtet,
Nur in den Gipfeln blattverdichtet,
Schlank und lang; in ihren Kronen
Sah ich eine Blume wohnen,
Glockenartig, zeisiggrün
Schienen die seltsamen Kelche zu glühn.
Sonst war die Gegend um mich her
Von aller Daseinsfreude leer.
Nein! Eine ungeheure Eiche
Stand in diesem Zauberreiche
Kaum einen Steinwurf entfernt meinem Haupt,
Mit Ueberfülle, verschwendrisch belaubt.
Und in den Zweigen, fast überviel,
Schoß ein reizendes Gaukelspiel.
Das waren nicht Menschen, das waren nicht Affen,
Was waren es denn, wie wars beschaffen?
So ähnlich, als wenn wir mit erstem Triebe
Fühlen die erste Kinderliebe,
Ich meine, ja wie denn, solche Gestalten,
Solche Gesichter, die wir behalten
Als Erinnerung an unsre Schülerzeit,
Voll erster süßer Entzündlichkeit.
Die warfen sich mit silbernen Bällen.
Und wie sie durchs Geäst sich schnellen,
Hintereinander, in Sprung und Geglitscher,
Mit Lachen, das klang wie Vogelgezwitscher,
Da bemerkte mich eins der Knospenwesen,
Und fort, wie weggekehrt mit dem Besen,
Hockten sie alle auf einem Ast,
Wie von unnennbarem Grauen erfaßt,
Und schauten dann voll Neubegier
Auf mich hinab aus dem schwanken Revier.
Und ich wandte mich wieder den Sonnen zu:
Ich stand auf den Inseln der ewigen Ruh.
Und wie mich ihr sanftes Leuchten beglückte,
Und wie mich ihr herrlicher Glanz entzückte,
Spannt' ich die Arme dem Schöpfer aus,
Ich wohnte in seinem Vaterhaus.
Da taucht aus fernster Ferne her
Ein Punkt auf aus dem unendlichen Meer.
Der Punkt wird größer, er nähert sich mir,
Grad auf mich zu, ein Fabeltier?
Doch kann ich nun ein Boot unterscheiden,
Ein schwarzes Segel, sturmgebläht,
Und hat doch nicht ein Lüftchen geweht.
Und dies schwarze Segel am Vorderbug
Verhüllt das ganze Schifflein klug.
Und dies schwarze Segel, wie ich sah,
Stößt an den beiden Enden der Raa,
Wie Oriflämmchen, zwei Rauchwölkchen fort,
Unaufhörlich trieb sichs dort.
Jetzt ists mir nah, und ein schriller Pfiff
Ertönt vom geheimnißvollen Schiff.
Die Stengen fallen, frei ist der Bord,
Und hinten steht aufrecht der große Lord,
Der Tod.
Die Arme sind untereinander geschlagen,
So seh ich den Gewaltigen ragen.
Ein holländisch Kalkpfeifchen steckt ihm schräge
Im vortrefflichen Zahngehege.
Ich hör sein Gelächter - und kein Entrinnen,
Ich fiel in den Sand und verlor das Besinnen.


  Detlev von Liliencron . 1844 - 1909






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