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Detlev von Liliencron
Neue
Gedichte . 1. Auflage 1893
Die Pest
In einer asiatischen Riesenstadt
Bin ich auf meinen Reisen einst gewesen,
Und während meines Aufenthaltes dort
Schritt finster durch die Plätze, Höfe, Straßen
Ein schwarzer Engel viele Wochen lang.
Dem Urgrund eines breiten braunen Stromes
Aus Schlamm und Schlick war hämisch er enttaucht,
Und seine schweren Schwingen tropften Moder.
Die Rechte hielt, wie ein gezogen Schwert,
Wie Genien goldne Palmenzweige tragen,
Ein giftig Kraut, das schlug er an die Pforten,
Und tausend, abertausend winzige Käfer
Entstoben dann dem giftigen Kraut und fielen
Auf alle Menschen, alle übersäend,
Und wem sie zierlich durch die Lippen krochen,
Der mußte ohne Gnade in den Tod.
Ganz überraschend war die Pest gekommen.
Daß ihr Kommerz ja nicht darunter litte,
Verheimlichten die großen Handelsherren
Die Ekelkrankheit in der ersten Zeit,
Bis sie mit unerhörter Wut ausbrach.
Und Vieles fehlte nun: Baracken, Ärzte,
Schutzmittel. Alles starb wie hingemäht.
Und drohend ballte sich die Hand der Armen,
Um Schloß und Park der Reichen zu zerstören.
Gelähmt schien jedes Leben, jede Kraft;
Nur nach wie vor, wie stets und überall,
Klang Kinderspiel und Kinderjubelruf,
O süßer Schall, durch Wehgekreisch und Schweigen.
An einem Abend ging ich durch die Gassen,
Die unheimlich in warmem Nebel lagen.
Die Ladenlichter blinzten durch die Feuchte,
Die perlend am Laternenglase schwitzte.
Gleichgiltig schob und drängte sich die Menge,
Gleichgiltig hoben Augen sich und Ohr,
Gewohnheit macht den Tod selbst zur Gewohnheit,
Wenn uns vorbei die Siechenwagen jagten.
Da schlug mir eine kleine Hand die Schulter,
Ich sah mich um und seh ein Hindumädchen,
Schlank, überschlank, fein, zart, mit hohen Brauen,
Nein doch, ein Mädchen, das ich einst gekannt,
Fern, ferne in Europa einst gekannt,
Und das ich schmählich dort verlassen hatte.
Sie schaut mich an und spricht ein Wort nur: Komm!
Ich ihr dagegen: Hast du mir vergeben?
Sie schaut mich an und spricht ein Wort nur: Komm!
Und ich ging mit ihr durch den Völkerschwall.
Wie sie nun vor mir hinschritt, blies ein Hauch
Die Asche in mir auf zu neuen Funken,
Zu Funken, deren Glut mich schier verbrannte.
Wir traten in ein mächtiges Haus hinein,
Das, schlecht erleuchtet, schmutzige Treppen zeigte.
Dreihundert Menschen wohnten hier beisammen:
Parias, Dirnen, Gott weiß, welch Gesindel
Hier Unterkunft und Schlupf gefunden hatte.
Ein Zimmer, drin ein roter Ampelschein,
Umfing uns traulich, gastlich und behaglich.
Kannst du vergeben? Doch sie spricht nur: Komm!
Ein Feuer brach, ists auf dem Hundsstern so?
Aus unsern Herzen in einander über;
Wir liebten uns in nie gefühlter Glut.
Auf einmal welch Geräusch! Ich springe auf,
Und aus dem Fenster seh ich Gräßliches:
Leiche auf Leiche trägt man auf die Straße,
Und zwischendurch, o Graun, Kranke auf Kranke.
Die Fackeln schwirren, werfen zuckende Lichter
Auf all dies Furchtbare: Nein sieh, nein sieh,
Die Gugelmänner mit den Kappkapuzen,
Sieh, nur die Augen siehst du, komm doch, sieh!
Die Gugelmänner schleppen Leichen, Kranke,
Schleppen und schleifen roh, bestialisch roh,
Betrunken sind die Kutscher, Träger, Sprenger,
Verzeihen wird wohl jeder ihnen gern,
Auf ihre Wagen, ihre Karren unten
Das ganze pestverseuchte Haus hinaus.
Und ein Geschrei tobt wahnsinnig vom Flur,
Von jeder Stufe, jeder Stube her.
Die Mütter werfen wütend sich entgegen,
Umsonst - Greis, Säugling, Mann, Weib, Braut und Jüngling
Muß alles mit, ob tot, ob noch lebendig.
Und vor Entsetzen sträubte sich mein Haar.
Das Hindumädchen, das sich an mich lehnte,
Umspannte meine Hüfte leicht und lachte:
Wie, du bist ängstlich? Aber, Lieber doch ...
So stand und stand ich bis zur Morgenfrühe
Das Hindumädchen, lächelnd, war schon längst
Auf unsern weichen Polstern eingeschlafen.
Zuletzt noch rissen diese Höllenknechte
Einen sich wehrenden, zappelnden Knaben
Im Hemde, untern Arm gepreßt, ins Freie.
Und dann, befremdlich war das anzuschaun,
Unnennbar rührend nach den wüsten Gräueln:
Zu allerletzt, geschmückt mit Blatt und Blumen,
Erscheinen, feierlich und ungestört
Von den paar Überlebenden begleitet,
Drei Kindersärge, und verschwinden stumm.
Als ich mich endlich in das Zimmer wandte,
Lag nackt, ein schwarz und blau Gedörre, tot,
Das Mädchen vor mir auf dem Liebeslager.
Am Abend dieses neuen Tages ging ich
Hinaus zum Friedhof; es war Mitternacht.
Da hört' ich anrollen die Totenwagen,
Befrachtet allesammt wie Kaufmannsfuhren,
Die Leichen eingesackt in Zwilch wie Waaren.
An einer Fuhre bricht ein Rad, wie Kolli
Entkullerten die Leiber auf den Fahrdamm.
Und durch einander liegt die volle Ladung:
Die Frau Brahminin und die Bajadere,
Der Reisgrossist, der Elephantenwäscher,
Und aus der Leinwand springen Kopf und Bein
Und krampfgekrümmte Hälse, Hände, Finger.
Die Fackeln huschen wieder hin und her.
Die Gugelmänner: Kutscher, Träger, Sprenger,
Die Sprenger mit den großen Malerquasten,
Sind alle heute noch besoffener.
Und unter schauderhaften Scherzen fliegen
In lange Gruben die Verröchelten.
Da zerrten sie mein Mädchen auch hervor,
Doch ihrer grausigen Faust entrang ich sie
Und trug sie durch die Nacht in einen Hain,
Wo still ich einen Scheiderhaufen aufwarf.
Schon ringeln Rauch und Qualm in dicken Ballen,
Schon leckt die Flamme aus dem trocknen Reisig
Und schlingt und geilt und giert sich um den Leichnam,
Und lischt, und nochmal zieht ein dicker Qualm
Bis nur die heiße Asche übrig bleibt.
Da kommt die Sonne, und ein scharfer Wind
Nimmt jauchzend meines Mädchens weißen Staub
Auf seine raschen, unentweihten Flügel.
Und seit dem Tage war, seltsam Ereignis,
War alle Krankheit aus der Gegend weg.
Nahmst du sie mit, mein braunes Mädchen du,
Warst du an jenen dunklen Schooß ein Opfer?
Ein Opfer du, mein ungeborener Sohn,
Du Sohn der Pest, den gestern wir gezeugt
Im tollen Hundssternliebesbacchanal?
Des alten Ganges Wellen hör' ich fluten;
Mit frohen Wimpeln, ruhig, segeln wieder
Hinauf, hinab den Fluß die Handelsschiffe,
Und Freude, Dank und Frieden sind der Schluß.
Detlev
von Liliencron . 1844 - 1909
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