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A. De Nora
Erfüllung
. 1. Auflage 1916
Der Garten
Bei meinem Hause in der Stadt liegt auch
Ein Garten. Einer jener Großstadtgärten,
Die nichts als steinumbauter Rasen sind
Mit ein paar Bäumen, fahlen, schlechtgenährten,
Und oben schaut durch Nebel, Qualm und Rauch
Ein Himmel, der auf einem Auge blind...
Und doch! Vom Tage, da der Lenz beginnt,
Die ersten braunen Blättchen ans Geäst
Zu binden, bis zum Tage, da der Wind
Die letzten wieder niederkreiseln läßt,
Ist dieser Garten meine Augenweide.
Denn seht, es ist doch Grün, was ich erschau'!
Und Bäume sind's, und dieser Rasen gleicht
Den Wiesen doch in meinem Heimatgau,
Und dieser Himmel, der so schwächlich blau,
Grüßt irgendwo das Land, nach dem ich leide.
- Ich hab' einmal ein Mütterchen gesehn
Viel Stunden lang vor einem Bilde stehn,
Dem Alter, Licht und Tränen so gebleicht
Die Züge, daß sie kaum mehr zu erspähn.
Allein das Herz der Törin hielt sie fest,
Denn ach, es waren ihres Liebsten Züge,
Und ob es gleich ein Bild war am Vergehn,
Nur einer fernen Wahrheit blasse Lüge,
Es ließ ihr doch aus dem vergilbten Rest
Hell auferstehn den teuren Toten wieder...
- So starr' auch ich in meinen Garten nieder,
O Heimat, - und aus einem kleinen Nest
Singt mir der Vogel deine schönsten Lieder...
A.
De Nora . 1864 - 1936
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