Die heimliche Wiege

Seltsame Augen haben die jungen gesegneten Frau'n,
Augen, die immer wie lauschend ins eigene Innere schau'n,
Immer wie lauschend der leise läutenden Melodie,
Deren heimliche Stimme niemand vernimmt als sie.

Durch das Dröhnen der Straße und Lärm und Wagengeklirr
Hören sie nur dies Stimmchen, und lächeln plötzlich wie irr -
Groß schaun ihre Augen dich an - und sehen dich nicht! ...
In einer stillen Stube brennt ein verhülltes Licht.

Brennt eine dämmrige Lampe, und im alten Kamin
Rotes Feuer, das knistert, als wisperten Mäuschen darin -
Sie sitzen dir gegenüber und horchen in sich hinein,
Ihre Gesichter leuchten von zwiefachem Schein.

Leuchten und schauen dich an, indessen ihr kleiner Schuh
Wippt im Takte. Im Takte rascheln die Röcke dazu...
Singen sie stumm? Denselben unhörbaren Gesang
Sangen Mütter schon an den Wiegen jahrtausendlang.

Ihre Füßchen singen. Und ihre Lippe summt mit.
Plötzlich stockt der summende Mund und der Schaukeltritt -
Hörst du? - ihr Atem hält an, ihr Herz zittert erregt...
In der Wiege - innen - hat sich ihr Kindchen bewegt!...


  A. De Nora . 1864 - 1936

Expressionisten
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