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A. De Nora
Erfüllung
. 1. Auflage 1916
Fünf Lieder vom Frühling
I.
Draußen stürmt es und schneit. Märzentag.
Ich aber habe das erste Blühen im Land,
Einen Schlehdornzweig, den ich am Wege fand,
Mitgebracht nach Hause.
Und nun schimmert wie ein blühender Hag
Mir meine ganze Klause -
Von allen Wänden rieselt ein feiner Duft,
Blauer Glanz erfüllt meine Büchergruft,
Und - wahrhaftig, mit sehnsüchtigem Schlag
Fernher hör' ich ein Amselmännchen singen...
War ein Zauber, der über dem Zweige lag
Und nun seltsame Wunder für mich tut?
Oder rauscht mir mit solchem hellen Klingen
Schon der Frühling,
Schon der jubelnde Frühling im Blut? - - -
II.
Flieder! Flieder! Junger Flieder!
Laß die blassen Blütentrauben
Stäuben ihre Düfte wieder
Durch der Stube engen Raum!
Seh' ich deine blauen Sterne
Schweigend leuchten auf mich nieder,
Steigt aus violetter Ferne
Mir empor ein Frühlingstraum:
Einer Fliederlaube Düster,
Ganz in Blütenrausch versunken,
An den Honigkelchen hangen
Rote Käfer, düftetrunken - -
Händedrücke und Geflüster,
Schamerglühte Mädchenwangen
Und an Lippenkelchen hangen
Rote Lippen, küssetrunken - -
- Flieder! Flieder! Junger Flieder!...
III.
Aus den strahlenden, schönen,
Hundertarmigen Leuchtern
Der jungen Bäume züngeln
Die goldenen spitzen Flammen
Der frischen Knospen hervor
Und senden blaue Räuchlein
Wirbelnder Wohlgerüche
Von harzig herber Süße
Zur blauen Kuppel empor.
Zwischen den Kerzen allen
Schreitet im weißen Gewande,
Durchwirkt von zarten Farben,
Der Frühling wie ein Priester
Hinan zum Sonnenaltar
Und bringt mit schimmernden Händen
Das erste Grün der Wiesen,
Die ersten Lerchenlieder,
Die ersten Wünsche der Menschen
Dem Himmel als Opfer dar.
IV.
Auf allen Zweigen Gedräng
Von Blüten- an Blütenblättchen,
Als säßen da rosig und eng
Unzählige Amorettchen -
Und alle Ströme der Luft,
Die mir entgegenwogen,
Von diesem köstlichen Duft
Des Frühlings vollgesogen -
Sind's Frauen, die unsichtbar
An mir vorüberschlendern,
Wohlgerüche im Haar
Und in den weichen Gewändern?
Oft wehn sogar mir zu
Ein rosa Blättchen die Winde,
Wie ein Billetdoux
Von einem schönen Kinde...
O süße verliebte Zeit
Der Blüten und Nachtigallen! - -
Und der Tag noch weit, noch weit,
An dem die Früchte fallen...
V.
Aus einem frischen Baum zu Boden hin
Sinkt welk ein Blatt.
Da schweigt das Rauschen plötzlich, das darin
Gesungen hat.
Es ist, als ob ein mütterlich Gebot
Verstummen hieß'
All ihre Kinder, weil in jähem Tod
Sie eins verließ.
Denn auch in diesem starren Baume lebt
Der alte Schmerz,
Daß für das letzte seiner Kinder bebt
Ein Mutterherz.
Und ob es hunderttausend, oder eins -
Verloren geht
Der Treue einer Mutterliebe keins!
Kein Blatt verweht!
Doch auf dem kleinsten, das ein Windhauch nur
Vom Baume bricht,
Stehn eherne Gesetze der Natur...
- Ihr lest sie nicht.
A.
De Nora . 1864 - 1936
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