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Gedichte, Lyrik, Poesie

Erfüllung
162 Bücher



A. De Nora
Erfüllung . 1. Auflage 1916



Fünf Totenklagen der Liebe

I.

Meiner Liebe tiefstes Maß
Ist: daß ich vergessen habe...
Daß entschlummert wie im Grabe
Alles liegt, was ich besaß - -

O es war ein teures Grab!
- Stille! Stille! Nicht mehr wecken,
Was die Schollen gütig decken!
Totenhände zieh'n hinab!

Still! Ich kenn' sie ja nicht mehr,
Die da unten sich verbergen!
- Blumen blüh'n aus ihren Särgen,
Blumen, Blumen rings umher -

Heiße rote Blumen senken
Ihre Wurzeln in den Grund,
Küssen mich mit fremdem Mund
Und betäuben all mein Denken,

Und ich lieg', von ihrem Hauch
Eingewiegt, als ob ich schliefe....
Schlafen so in ihrer Tiefe -
Schlafen meine Toten auch?



II.

O geh nicht über die Menschen zum Glück,
O geh an ihnen vorbei!
Und pflückst du eine Beere, zerdrück'
Nicht ihre Schwestern dabei!

Erweck' den wandelnden Träumer nicht,
Der über die Dächer geht!
Sei still! Sei still! Das Glück ist ein Licht,
Das jeder Hauch verweht!

Und brennt es, halte die Hände davor,
Behutsam trag' es nach Haus!
Es brennt nicht länger und heller, Tor,
Wenn andre Lichter gehn aus.

Eine gütige Lüge gilt so schwer,
Als grausame Wahrheit gilt!
Kein Lächeln getrübt zu haben, ist mehr,
Als eine Träne gestillt!



III.

Ich wandle durch die Straßen
Und suche, suche, suche -
Und weiß gar nicht,
Daß ich nur eines suche, - -
Dein Angesicht!

Es gehn wohl meine Füße
Einem Ziele zu,
Doch meine Augen wandern
Nach einem andern, - andern, -
Ohne Ruh - ohne Ruh...

Die Seele, meine wunde,
Wunde Seele hat
Gleich einem armen Hunde
Ihren Herrn verloren
In dieser großen Stadt...



IV.

Wo ich geh' und stehe,
Jede Scholle Erde,
Über die ich schreite, -
Von meiner Liebe geweiht!
Alle Näh' und Weite,
Die ich um mich sehe,
Gab wie mein Gefährte
Einst meiner Liebe Geleit.

Nun ich einsam gehe,
Reden alle Steine,
Straßen, Plätze, Haine
Von meiner Liebe Zeit!
Tröstend nimmt die warme
Holde Näh' und Ferne
Mich in ihre Arme,
Daß ich vergessen lerne
Meiner Liebe Lied.



V.

Ach, was wißt ihr von Liebe denn, ihr Jungen,
Kaum Flügg-gewordnen, mit dem Flaum am Kinne,
Die ihr ins Leben kommt hereingesprungen
Wie in den Ballsaal bunte Harlekine?

Ihr schlürft sie nicht mit wählerischen Zungen!
Euch ist sie noch im tollen Rausch der Sinne
Ein Becher Sekt, voll Übermut geschwungen,
Gleichgültig, was davon zu Boden rinne!

- Uns aber, die wir wissen, wie sie endet,
Ist jede Liebe gleich dem heil'gen Grale,
Die alles Reine vom Gemeinen wendet,

Und die wir trinken bis zum Grund der Schale,
Verschwendungslos, als würde sie gespendet
Vom Schicksal jedem stets zum letzten Male


  A. De Nora . 1864 - 1936






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