Prozession in Gardone sopra

Zwischen Himmelshöhn und Erdentiefen
In das blasse Blau
Schneidet der alten Kirche Bau
Schwarze Zacken
Wie eine Treppe zur Ewigkeit.
Aus niedern Baracken,
Die Kindern gleich in der Dunkelheit
Beisammen schliefen,
Lösen sich Lichter los wie Träume.
Schatten, als große schwankende Bäume,
Wachsen hinauf an den grauen Mauern
Bis zum Dach,
Und Singen wird in den Gassen wach,
Monoton
Und lang und klagend, ein Totentrauern:
Die Prozession
Der Karfreitagnacht.
Vor tausend Jahren ward Gottes Sohn
Ans Kreuz geschlagen.
Nun baut der seltsame Zug der Klagen
Aus Erdenenge
Zum Himmel empor
Seine Seufzerbrücke.

Knaben tragen
Die Folterstücke.
Rotmäntlige Männer, Kerzen in Handen,
Priester mit weißen Gewanden,
Ein Kreuz, umsponnen von Trauerflor,
Und hinter der roten Lichter Menge
Leise huschendes, finstres Gedränge
Verhüllter Frau'n.

Im unermeßlichen Blau'n
Ragt hoch und fern,
Ein Fels, die Kirche.
Die Burg des Herrn.
Aus dem Schatten
Des Gotteshauses leuchtet ein Tor,
Und über hellgrüne Mondlichtmatten
Ringelt die Beterschlange, die lange
In hundert Gliedern
Sich hügelauf.
Es ist als flammten
Golden die Türen Gottes auf
Und die Seelen der Seligen drängten voran
Mit Lichtgefunkel
Und frommen Liedern.
Aber dunkel
Klammert der Ring der Verdammten
Daran:
"Husch - husch - einmal aufgetan,
Darfst dich nicht schließen
Tor Erbarmen!
Die Letzten, die Müden, die Schlechten, die Armen

Sind ebenso dein
Wie jene Guten!
Husch, husch, hinein!..."
Und endlos fluten,
Wie Wellen fließen,
Die Schatten nach in den göttlichen Schein,
Bis in den Gluten
Alles verschwand...

Dann schließt das leuchtende Tor sich zu.

Und der Mond gießt in heiliger Ruh
Seiner strahlenden Gnade
Ewige Pracht
Über See und Gestade
Himmel und Land...
Karfreitagnacht.


  A. De Nora . 1864 - 1936

Expressionisten
Dichter abc